Helge Schneiders neuer Kinofilm:Letzte Ausfahrt Mülheim

Kinostarts - '00 Schneider 2 - Im Wendekreis der Eidechse'

Helge Schneider als Kommissar 00 Schneider. Mit seinem neuem Film überschreitet er leider eine wichtige Grenze.

(Foto: dpa)

Helge Schneiders Filme sind oft eine atemberaubende Behauptung, hinter der unmittelbar das Nichts lauert. "Im Wendekreis der Eidechse" macht optisch viel her. Leider wollte er darin unbedingt ein paar echte Lacher platzieren.

Von Joachim Hentschel

Eine der besten Szenen ist die, in der der Held gegen Ende ein Parkhaus betritt. Fliegersonnenbrille, die Anzughose halb in die Stiefeletten gestopft, begleitet vom treuen Hund Zorro, einem Spitz. Gelbes Nachmittagslicht fällt durch die Fenster, und plötzlich beginnt Kommissar Schneider zu tanzen, ohne wirkliche Tanzmusik. Er springt, dreht sich, imitiert Ballettposen. Verschwindet aus dem Bild, erscheint wieder, breitet die Arme aus, lässt die Zipfel seines matschbraunen Kunstleder-Trenchcoats durch die Luft wirbeln. Der Hund erschrickt erst ein bisschen, schaut dann zu, so wie wir.

Was den Kommissar zum Tanzen bringt, ist überhaupt nicht klar. Aber Filme sind ja oft dann richtig gut, wenn sie Dinge einfach behaupten - und ein Kinowerk von Helge Schneider kann man sogar als eine einzige, atemberaubende Behauptung bezeichnen, hinter der dann unmittelbar das Nichts lauert.

"00 Schneider - Im Wendekreis der Eidechse" ist also ein Tanzfilm. Wie andere Helge-Schneider-Filme zeigt er aber auch Anklänge an den Film Noir und an die Karl-May-Festspiele, an "Zazie"-Irrsinn und Fassbinder-Lethargie, an den "Andalusischen Hund" und an "Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe".

Deutsches Nationalmaskottchen

Schneider, der Spielfilm-Guerillero, der in grauer Vorzeit auch mal ein klein bisschen umstritten war, hat es damit bis zum deutschen Nationalmaskottchen gebracht - was überhaupt nicht gegen ihn spricht. Viele Clowns sind dann am besten, wenn das Zirkuszelt voll ist, und zur Not gibt es ja noch das ganz obskure Frühwerk.

Die Kommissar-Schneider-Figur tauchte erstmals 1993 auf. Schon ein Jahr später kehrte sie zurück in Schneiders bis heute bestem, weil strapaziösestem Film: "00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter". Für die Dramaturgie war der Kommissar essenziell: Wo zumindest theoretisch ein Täter gefasst werden soll, da gibt es narrativen Drive, eine Publikumserwartung, eine Zielrichtung. Auch wenn die zugehörigen Ermittlungen so lose improvisiert waren wie ein Jazzstück morgens um halb vier. Und auch wenn es eigentlich nur um das Warten auf den Zufall ging, das Zigarettenrauchen, die sinnlosen Arztbesuche, die kurz angebundenen Fragen und Antworten am Kiosk-Tresen. Kein anderer deutscher Regisseur hat die absolute Leere so großartig ausgeleuchtet und gefilmt wie Helge Schneider. Eine Leere, die sich selbst erkennt.

Jenseits von Zeit und Raum

Und heute? Heute hat der Kommissar eine Off-Stimme, die Raymond Chandler beschwört, einen alten, cremefarbenen Citroën DS - und das Problem, der einzige Nichtraucher in einem Büro voller qualmender Jacques-Tati-Figuren zu sein. Man riecht den Schauplätzen in Mülheimer Uraltbauwohnungen und Behördenzimmern den kalten Rauch an, die Möbel kennt man alle vom Flohmarkt. Hier herrscht Stillstand wie im Partysalon von Buñuels "Würgeengel", aus dem keiner mehr entkommen kann. Helge Schneiders Filme, so sozialrealistisch man ihre ausgeblichenen Tapeten auch verstehen könnte, spielen jenseits von Zeit und Raum. Und dort muss man dem Publikum auch nicht mit lästigen Pointen vorschreiben, wann es zu lachen hat.

Natürlich ist die Linie, die zwischen surreal behauchtem Existenzialismus und billigem Schmierentheater verläuft, erstaunlich dünn. Ein Strich, auf dem man tanzen kann wie im Tanzfilm, und genau hier liegt leider das Problem bei diesem "Wendekreis der Eidechse": Zum allerersten Mal bekommt man den Eindruck, dass Schneider darüber getappt ist, und zwar so richtig. Dass der Unantastbare plötzlich auf der falschen Seite steht.

Obwohl dies zugleich Schneiders erstes Kinowerk ist, das auch optisch ein bisschen was hermacht. Die Regie hat er sich mit der langjährigen Schreibpartnerin Andrea Schumacher geteilt, die Bilder sind farbsatt und plastisch, vor allem legt der Film ein für Schneider-Verhältnisse geradezu waghalsiges Tempo vor. Der erste Sittenstrolch ist schon nach gut zwanzig Minuten hinter Gittern, dafür hat Schneider sich mit Jeansrock und türkisen Leggings als Prostituierte verkleidet. Es gibt einen entlaufenen Gorilla, der Omas Torten ins Gesicht drückt, von Bud Spencer inspirierte Prügelszenen, diverse Udo-Lindenberg-Imitationen, und so fort.

Das ist es am Ende, was die "Eidechse" zum bislang unbefriedigendsten Schneider-Film macht: Zum ersten Mal hat man das Gefühl, dass er bei allem Gejazze und Driftertum nun eben doch ein paar Pointen setzen, echte Gags platzieren will. Dass er die Leute im Kino lachen hören will, schon beim Dreh. Aber es zündet halt nichts, der Flow ist weg, die Improvisation zerfällt in ihre Einzelteile.

Es gibt auch hier wieder eine kurze Flugplatzszene, wie im ersten "00 Schneider"-Film, nur hat sich Schneider eben dieses Mal ein echtes Sportflugzeug für sein Opus geleistet. Vor zwanzig Jahren reichte da noch eine Attrappe aus Sperrmüllsesseln und Sperrholzwänden, absichtlich schundig, in der ein als Stewardess verkleideter Schauspieler eine sinnlose Sicherheitsbelehrung zusammenfaselte. Irgendwie wirkte das glaubwürdiger.

00 Schneider - Im Wendekreis der Eidechse, D 2013 - Regie und Buch: Helge Schneider, Andrea Schumacher. Kamera: Voxi Bärenklau. Mit Helge Schneider, Tyree Glenn Jr., Rocko Schamoni. Senator, 96 Min.

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