Süddeutsche Zeitung

Helge Schneider wieder auf Tournee:Guten Tach, auf Wiedersehen

Lesezeit: 6 min

Er ist zurück und hat Hundehaufen, Madonna und einen Mann, der in Brot eingebacken wird, im Gepäck. Auf seiner Tournee parodiert und persifliert Helge Schneider und findet dabei stets die perfekte Essenz des Absurden. Aber allein in Berlin absolviert der Künstler 22 Abende hintereinander. Ist das gut so? Oder zieht Schneider nur das immer selbe Programm durch? Ein Besuch.

Ruth Schneeberger, Berlin

Zu Beginn serviert er ein Lied über Berlin. Darin ist von Hundehaufen die Rede und von einem älteren Herren, der diese einigermaßen unbeabsichtigt in seinem Mantel hortet. Wie immer verknüpft der Mann auf der Bühne das allzu Banale mit dem möglichst Skurrilen mit dem unbedingt Überraschenden mit dem endlos Albernen. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, dass alle über diese immer selbe Art von Anti-Komik lachen. Aber Helge Schneider versteht eben sein Handwerk. Das Publikum im Berliner Admiralspalast tobt, von der ersten Minute an, als sein Idol die Bühne betritt. Der Künstler muss wenig hinzufügen, außer dem, was er schon mehr als sein halbes Leben lang macht.

Ein paar neue Lieder hat der 56-Jährige trotzdem in petto auf seiner Tournee "Superhelgi - Rettung naht", mit der Schneider zurzeit an 22 direkt aufeinander folgenden Terminen fast allabendlich das Hauptstadtpublikum beglückt, bevor es ihn nach München, Hamburg, Wien und Zürich zieht. Und diese neuen Songs haben es durchaus in sich:

"Listen, people: I was born as a baby. My mama and my papa were my parents. I was born in Hospital and I grew up. Now I'm here - and that's all." Aus diesem komplett sinnbefreiten Text macht der Mann aus dem Ruhrpott auf der Bühne eine minutenlange so mitreißende American-Songwriter-Parodie, dass kein Auge trocken bleibt. Als ginge es in jedem Lied, das in Fremdsprache von jemandem auf der Bühne gesungen wird, um irgendetwas von Bedeutung, sobald der Sänger nur genügend Schmalz in sein Organ legt und ein paar stimmliche Pirouetten dreht.

Underdog in Höchstform

Helge Schneider macht dasselbe an diesem Abend noch mit einem französischen Chanson, in dem es ausschließlich um Lautmalerei und stimmliche Übertreibungen geht, nahezu ohne Text, und mit einem orientalischen Lied. Dadaismus vom feinsten. Er persifliert sie alle. Er findet immer die perfekte Essenz des Absurden.

Was genau er da ins unendlich Komische dreht, das ist jedem im Ansatz immer schon unbewusst mal aufgefallen. Diese manchmal unerträgliche Schmalzigkeit französischer Chansonniers bei gleichzeitiger Unverständlichkeit französischer Silben, gepaart mit einer Stimme, die direkt aus der Kloake zu kommen scheint und im nächsten Augenblick in schrille Höhen umschwenkt, um die Bandbreite menschlicher Emotionen darzustellen. Aber Schneider ist der Einzige, der all diese nur manchmal peinlichen, meist doch ganz annehmlichen Auftritte von Sangeskollegen in nur wenigen Augenblicken gleichzeitig so gekonnt und so maßlos übertreibt, dass man schlicht nicht anders kann als herzhaft und aufrichtig zu lachen. Meist kommt niemand dabei zu Schaden.

Manchmal schon: Aber wenn er von "Madonna, der alten Sektenschwuchtel" und "dem Merkel mit seinen albernen Frauenkleidern" erzählt, sind diese meistens nicht im Raum. Wohl aber sein Teekoch Bodo, den er triezen kann, als auch ernstzunehmende Jazzmusiker, mit denen er sich Scharmützel liefert, in Wort und Musik. Das Publikum hat das Gefühl, dass der Künstler immer bei ihm ist, nie bei denen da oben, immer mit dem Fuß im Volk - der Underdog und vermeintliche Nichtskönner läuft zur Hochform auf.

Zusammen mit ein paar diesmal besonders ausführlichen Jazzeinlagen, Neuauflagen von sehr alten Spaßliedern und, zum Abschluss, einem großartigen und zu Recht nicht enden wollenden neuen Song über einen Mann, der in ein Brot eingebacken wird, ist das auch schon das ganze Tournee-Programm. Aber es kommt an. Wie immer. Nicht jeden Abend gleich gut. Manchmal wird er von der Hauptstadtpresse verrissen, doch danach strömen nur umso mehr Fans in den Admiralspalast, um ihn anzufeuern.

Beobachtungen im Stehcafé

Was ist das Geheimnis des Mannes, der auf derart infantile Weise nun schon seit Jahrzehnten ein Massenpublikum verzaubert? Viel ist darüber schon spekuliert worden, wenig davon ist erhellend. Das liegt unter anderem daran, dass Helge Schneider sich gerne verweigert.

Sowohl den Kritikern als auch seinen Fans, wenn er gerade keine Lust hat, als auch immer wieder den Erwartungen an ihn als auch den vermeintlichen Normen der Gesellschaft als auch, seinerzeit, irgendeiner Art von Berufsausbildung. Obwohl von Kindesbeinen an musikalisch hochbegabt, bricht Helge Schneider erst die Schule ab, dann verschiedene Ausbildungen und Jobs als Tierpfleger, Dekorateur und Bauzeichner, schließlich das Klavierstudium am Konservatorium Duisburg, das ihn nach einer Sonderbegabtenprüfung hätte in Lohn und Brot bringen können.

Aber all das hätte ihn wohl von seinem eigentlichen Berufswunsch abgebracht: auf der Bühne zu stehen, Clown zu sein und seine eigene Art von Musik zu machen. Stattdessen bringt er sich nach und nach alles selbst bei: Instrumente wie Akkordeon, Blockflöte, Cello, Geige, Gitarre, Hammondorgel, Kontrabass, Saxophon, Schlagzeug, Trompete oder Vibraphon. Er tritt mit diversen Jazzmusikern auf und macht Filmprojekte mit Christoph Schlingensief, von dem er Dramaturgie lernt, um sie dann in ihr augenzwinkerndes Gegenteil zu verkehren.

Zwischendurch verbringt er seine Freizeit in einem Stehcafé in seiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr und beobachtet die Leute. Vor allem ältere Herren haben es ihm angetan, und zwar solche, die trotz all ihrer offensichtlichen Unzulänglichkeiten immer - in ihren Augen - souverän bleiben. Später wird er diese Zeit sein "Eduscho-Studium" nennen, sich ein großes Repertoire an absurden Verhaltensweisen abgeguckt haben und selbst als "singende Herrentorte" durch die Lande gurken. Anfangs allerdings noch so gut wie ohne Publikum.

Es wird mehr als zehn Jahre dauern, bis Schneider nach unzähligen Auftritten in Kneipen und Kulturbühnen vor einer Handvoll Leuten schließlich einer größeren Öffentlichkeit bekannt wird. Bis dahin moderiert er Sendungen, unter anderem mit Reinhold Beckmann, spielt in Filmen mit, schreibt Lieder, nimmt Hörspiele auf und denkt erst 1982, nach der Geburt seiner ersten Tochter, an so etwas wie einen dauerhaften Lebensunterhalt.

Mal ist er da, dann wieder weg

Als er 1992 mit dem Album "Guten Tach" seinen Durchbruch feiert, das Lied "Katzeklo" einem Massenpublikum bekannt wird, kann er bereits auf ein so großes Œuvre als Künstler zurückblicken, dass eine CD nach der anderen folgt, ein Film nach dem anderen, ein Konzert nach dem anderen. Schneider schöpft aus dem Vollen. Und zieht sich dann, auf der Höhe seines Erfolges Mitte der neunziger Jahre schon wieder aus dem Showgeschäft zurück. Zumindest für ein paar Jahre. Warum? Weil ihm der Rummel um seine Person nicht gefällt. Den Künstler irritiert, was in der Öffentlichkeit aus ihm gemacht wird. Nachdem anfangs kein Hahn nach ihm krähte, wird er nun plötzlich als "Superstar" der Komikerszene gefeiert. Dabei macht er dasselbe wie immer schon.

Trotzdem: Die Lunte ist gelegt, inzwischen dürsten Tausende Fans nach immer neuem Helge-Material, und als er wieder loslegt mit Konzerten, neuen Liedern und ein paar Büchern, da ist er eben wieder da. Dasselbe Spiel ereignet sich fortan immer wieder: Mal ist er wieder da, dann wieder weg, zwischendurch passieren ein paar Sachen, die man sich nicht recht erklären kann, wenn man übliche Erklärungsmuster zu Rate zieht, aber das liegt daran, dass Helge Schneider eben Helge Schneider ist.

Und so war es auch im vergangenen Jahr: Mitten in einer großen Tournee musste der Künstler plötzlich abbrechen, unterbrechen, und dann ganz absagen. Gerüchte von Burn-out machten die Runde, doch Schneider ließ erst verkünden, ihm sei nur mal kurz schwindelig gewesen und erklärte im Nachhinein, er habe sich mit ein paar schwierigen Stücken auf der Bühne verhoben und müsse sich nun mal ausruhen. Kein schlechter Kunstgriff, könnte man meinen. Wer dachte, die Tournee "Buxe voll" sei nicht so gut gelaufen wie erwartet und Schneider probe nach einer angemessenen Kreativitätspause erneut die Rückkehr, um eine erfolgreichere Tournee hinzulegen unter dem Eindruck des vermeintlichen Endes seiner Karriere - der hat Helge Schneider nicht verstanden.

Wenn er keine Lust hat, sagt er das

Denn wenn der keine Lust mehr hat, dann sagt er das auch. So wie jetzt wieder: Für die Zeit nach der aktuellen Mammut-Tournee kündigt er an, sich mal wieder zurückziehen zu wollen. Um doch mal wieder Filme zu machen. Nachdem er schon des Öfteren angekündigt hatte, er werde nie wieder Filme machen.

Er selbst sagte einst in einem Interview, für seine Verhältnisse recht ausführlich: "Mein Hauptberuf ist die Musik. Nur daraus entwickle ich meine phantastischen Exkursionen. Mein größtes Vorbild war der Schweizer Clown Grock - ein hervorragender Musiker und ein hervorragender Clown. Der hat mir das Leben erleichtert. In der heutigen Zeit ist es ganz schwer, solche Idole zu finden. Jemanden, der sich selbst gegenüber hohe Ansprüche erfüllt. Der Menschen etwas gibt, was kein anderer so kann. Dadurch entsteht auch eine politische Situation. Weil dieses Anarchische, dieses völlig ausufernd Unerwartete genau das Gegenteil von Faschismus ist. Ich würde mir wünschen, dass es viel mehr Leute gibt, die auch so etwas anfangen. Und nicht nur, um Geld zu verdienen. Wir brauchen nicht Deutschland sucht den Superstar. Wir brauchen Leute, die zu Idolen werden. Die sterben sonst aus. Ich bin so ein Idol."

In seinem stärksten Stück bei seinem Auftritt in Berlin beweist er, dass er außerdem am besten in fremden Zungen spricht: Helge Schneider parodiert Udo Lindenberg, der gerade mit Helge Schneider in seinem Hotelzimmer schnackt. Alles scheinbar gleichzeitig und überzeugender als Udo Lindenberg sich selbst je sprechen könnte. Es sind Momente wie diese, die das Publikum so verblüffen - und begeistern. Dieser Mann kann mehr als eine einzelne Person eigentlich gleichzeitig können kann - auch wenn er stets versucht, das Gegenteil zu betonen.

Alle Termine unter www.helgeschneider.de/termine

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1313471
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.