Helene Hegemanns Plagiat:Die Kirche im Berghain lassen

Eigentlich wäre jetzt Schweigen angebracht. Doch das Geschwurbel ums tote Axolotl der Plagiatorin Hegemann geht ungebremst weiter.

Bernd Graff

Nun drehen sie alle irgendwie durch: Die trendbesoffenen Kritiker, die sich sowohl als Kollektiv der Hochjazzer und mittlerweile auch als schlechte Verlierer erweisen. Ein Fräulein Hegemann, das von Intertextualität schwadroniert und dieses Wort kaum unfallfrei über die Zungenrampe bringt, geschweige denn: wüsste, was es bedeutet. Und die Leipziger Buchmesse, die eisern an einer Preis-Nominierung 2010 für Hegemann festhält, obwohl sie weiß, dass dann nicht Frau Hegemann ausgezeichnet würde, sondern der bis Montag dieser Woche nahezu unbekannte Blogger Airen.

Axolotl, Helene Hegemann; dpa

Namensgeber für den Skandalroman: Ein nachtaktiver Schwanzlurch namens Axolotl.

(Foto: Foto: dpa)

Denn von diesem hat Frau Hegemann die Koks- und Körpersaft-Delirien wohlwollend übernommen, vulgo: geklaut. Und zwar so wortwörtlich, wie man nur abschreiben kann. Die FAZ hat das dankenswerterweise Seite für Seite nachrecherchiert.

Man müsste eigentlich meinen, der Fall Hegemann, die Tatsache ihres offen eingestandenen Plagiats, bringt alle zur Vernunft oder wenigstens zum Schweigen. Pustekuchen!

Wie die Süddeutsche Zeitung (auch dankenswerterweise) abtelefoniert hat, geben sich viele der Kritikjazzer, gestandene Damen und Herren ehrwürdiger Feuilletons, die Blöße, nicht belehrbar sein zu wollen.

Schmerzbefreite Bewahrer

Es sind Kritikermenschen, die sonst wohlfeil über böse Raubkopierer und Internet-Piratenbuchten den Kopf schütteln und sowieso das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, heraufbeschwören, nur, weil Madonna- und U2-Platten in Peer-to-Peer-Netzen kursieren. Es sind Geistesblitzer, die unsere Kultur den Bach runtergehen sehen, weil nichts Neues unter der Sonne entstehen kann, wenn man die Kreativen beklaut.

All die Kulturbesitzstandswahrer zeigen sich dann aber seltsam schmerzbefreit, wenn der Klau einmal andersherum verläuft, wenn also das Töchterchen eines bekannten Altkreativen einen namenlosen Blogger beklaut. Statt sich nun zu fragen, wie man sich so kollektiv an dieser Autorenlolita berauschen konnte, wie man sie zur Überfliegerin nicht nur ihrer, sondern aller lebenden Generationen überhaupt aufblasen und damit wegpusten konnte, als habe eine Literaturwunschmaschine einen Phantomzeichner bemüht, um sich das ideale Autorinnenküken zu basteln.

Die Selbstbefruchtung des deutschen Literaturbetriebs, mit der erst von Medium zu Medium Unfassbares kolportiert wird, solange, bis es schließlich auf Preislisten von Buchmessen landet, dieser gesamte Betrieb hat sich verhalten wie die Tennismutter im Sketch von Gerhard Polt: "Oliver, Oliver, pass auf, er spielt longline" hat sie gerufen, auch wenn der Zögling kaum weiß, wie man einen Tennisschläger halten muss und welche Spielregeln es zu beachten gilt. Auch bei Buchverkäufen und einer Autorenschaft, die ernst genommen werden will.

Zumindest etwas Schamesröte

Wenn die gestellte Frau Hegemann nun von Intertextualität faselt, dann ist es so, als ob ein Dieb von interkapitalistischem Flottieren spräche, nachdem er beim Raub einer Armbanduhr erwischt wurde. Manchmal ist es eben nicht klug, was Frau Hegemann sagt, sondern nur dreist. Auch das vielleicht ein Privileg ihrer Jugend. Erwachsene sollten es jedoch als Dreistigkeit erkennen.

Heute hat Mathias Heine in der Welt indessen den größten Vogel abgeschossen, als er den "Pfaffen, die über den Zugang zur Kultur wachen" die Leviten gelesen hat. Seiner Meinung nach sorgt Hegemann nur deswegen für Aufsehen und Empörung, weil sie "ein Buch veröffentlicht hat, ohne 30 Jahre lang mit dem Federkiel Frakturschriften zu kalligraphieren".

Alte Männer also würden sie verdammen, weil Hegemann den Stallgeruch vermissen lässt, nach dem der Betrieb doch so sehr verlange. Irrtum, Herr Heine! Auch wenn Sie Hegemann tatsächlich und absolut unironisch in einer Diffamierungskampagne sehen, wie sie zuletzt Jeanne d'Arc durchzustehen hatte, als man sie mit dem Satan in Verbindung brachte.

Das Fatale an dem Fall Hegemann ist doch, dass man ihr Stallgeruch und höchste Weihen geradezu übereifrig und erfreut attestierte, dass man sie also zur befähigtsten Stimme ihres Menschheitsabschnitts erkor, nur, weil sie dem satt-erschlafften Betrieb wenigstens etwas Schamesröte ob der expliziten Beschreibung von Saft und Suff ins Gesicht treiben konnte.

Nachweislich gelang aber nicht Frau Hegemann dieser Coup, sondern einem Blogger, und wir fragen uns nun, warum man in Leipzig nicht den Namen Hegemann durch den Namen Airen ersetzt. Denn wenn wirklich etwas dran ist an Stimme und Stimmung des straßentoten Axolotls, dann wissen wir doch nun, von wem es wirklich stammt.

Statt sich also zu fragen, wie es zu dieser kollektiven Fräulein-Fata-Morgana kommen konnte, statt ein wenig Selbstzerknirschung zu zeigen und vielleicht auch innezuhalten, wird der Feuilletonfeudel einfach weiter geschwungen. Dabei bemerken die Damen und Herren Federkiel-Kalligraphen und Nymphchengroßschreiber anscheinend gar nicht, dass ihr Geschrei nun als steifes Deklamieren auf offener Bühne wahrgenommen wird - als Farce des Literaturbetriebs.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: