Die Dolmetscherin schwitzt. In der einen Hand hat sie einen Kuli, den sie zwischen den Fingern kreisen lässt, mit der anderen Hand stützt sie den Kopf auf, wischt hin und wieder den Schweiß von der Stirn in den Haaransatz und knetet dann die Schläfen. Das alles nur nebenbei. Die volle Konzentration liegt auf dem Sprechen. Sie übersetzt Helene Hegemann, simultan. Hegemann spricht Deutsch, und der Raum ist voller Franzosen. Eine Literaturveranstaltung des Goethe-Instituts in Nancy Anfang Juni. Helene Hegemann redet sehr schnell, aber das ist es nicht, was der Dolmetscherin so zusetzt: "Bei Hegemann kommt man mit dem nicht weiter, was man in der Ausbildung lernt", sagt sie später. Die gewohnten Regeln lassen sich auf diese 25-jährige Autorin nicht anwenden, es ist schwierig, sie zu fassen. Die Dolmetscherin spricht nur über ihren Versuch, Hegemanns Sprache zu übersetzen - aber was sie sagt, gilt auch für die ganze Person. "Zum Beispiel der Plausi-Test", erklärt sie: "Völlig nutzlos." Der Plausi-Test ist eine Technik der Dolmetscher: die kurze Abfrage des Gehirns, wie der Satz, der gerade gesprochen wird, aller Wahrscheinlichkeit nach weitergeht. Das trainieren sie so, wie sie Vokabeln lernen. Spricht jemand von einem atomaren Erstschlag, wie Hegemann an diesem Abend mal, dann gehe es höchstwahrscheinlich um Sicherheitspolitik. Auf was sie sich als Dolmetscherin in der Folge also einstelle, sei ein Satzende aus dem Bereich der Diplomatie. Das läuft nebenbei ab, in Millisekunden. Während sie die Übersetzung des ersten Teils des Satzes laut ausspreche, bereite sich ihr Gehirn auf den nächsten Teil vor.
Helene Hegemann im Porträt:Neuauflage
Lesezeit: 14 Min.
Hoffnung der jungen deutschen Literatur oder Plagiatorin? Für Helene Hegemann war der Erfolg ihres Debütromans "Axolotl Roadkill" Fluch und Segen zugleich. Jetzt hat sie ihren Bestseller selbst verfilmt - auch, um mit einem Missverständnis aufzuräumen
Von Lara Fritzsche, SZ-Magazin
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