Favoriten der Woche:Da knallt das Tischfeuerwerk

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Bilder aus friedlichen Tagen: Wolodimir Selenskij tanzt auf einer Sylvesterparty im russischen Fernsehen. (Foto: Screenshot: Twitter)

Selenskij als Gastgeber einer russischen Neujahrsshow: Diese und weitere Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Ferne Welt: Neujahrsshow in Moskau 2013 mit Selenskij

In den Tiefen des Internets ruht eine untergegangene Welt: Die Neujahrsshow des russischen Staatsfernsehens aus dem Jahr 2013 ist wieder aufgetaucht. Die Top-Acts des Boulevards sangen und tanzten damals, im Publikum saßen der Putin-Vertraute Filipp Kirkorow, eine Art russischer Glööckler, und der TV-Moderator Wladimir Solowjow, der heute einer der hemmungslosesten Kriegshetzer ist. Durch den Abend führten zwei Komiker, Maxim Galkin, den das russische Justizministerium jüngst zum Ausländischen Agenten erklärte und der aus Russland geflohen ist - und Wolodimir Selenskij, der auf Russisch Blondinen-Witze riss. Ein Jahr später annektierte Russland die Krim, neun Jahre später überfiel es die Ukraine. Dem ukrainischen Präsidenten Selenskij wünschen Putins Getreue inzwischen eine Kugel in den Kopf. Aber damals, 2013, knallte das Tischfeuerwerk - und sonst gar nichts. Sonja Zekri

Radiogeschichte: ARD Audiothek Retro

Willy Brandt im Rundfunkstudio, 1964. (Foto: Karl-Heinz Schubert/Deutschlandradio)

Wer in die Rubrik "Retro" der ARD Audiothek geht, die nun nach dem Muster der "Retro"-Rubik in der ARD Mediathek geschaffen wurde, sieht einen alten analogen Schnittplatz für Magnet-Tonbänder. So wurde vor der Digitalisierung Radio gemacht - alles war ein bisschen umständlicher als heute, aber nicht minder nah an den Menschen und am Weltgeschehen dran. Und nicht wenige Sendungen aus der Nachkriegszeit haben eine Qualität als historisches Dokument. Rund 1000 Audios aus der Zeit- und Kulturgeschichte vor 1966 wurden in einem ersten Schritt zugänglich gemacht, Sendungen aus den Archiven von Deutschlandfunk, Rias, SWR, RBB und SR. Darunter ein Interview mit Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, in dem er über sein Privatleben spricht, mehrere zeitgenössische Beiträge über die Spiegel-Affäre und viel True Crime aus den Fünfzigern. Stefan Fischer

Ausstellungsstück: Der Schildbuckel von Gommern

Der Schildbuckel aus dem Grab von Gommern. (Foto: Andrea Hörentrup)

Eines der schönsten Stücke in der an großartigen Exponaten reichen Ausstellung "Der Untergang des Römischen Reiches" in Trier ( noch bis 27. November) ist ein Schildbuckel aus dem späten 3. Jahrhundert. Der Fund stammt aus einem Fürstengrab, das man 1990 in einer Sanddüne im Jerichower Land bei Gommern (Sachsen-Anhalt) entdeckt und dann in einem Block geborgen hat. Solcherart Buckel, meist aus Eisen oder Bronze, schützten einst die Hand auf der Schildinnenseite, mit der man den Schutzschild hielt. Doch später wurde daraus eine Zierde für Prunkschilde zum Renommieren. Und man gab sie mächtigen Männern mit ins Grab, wie etwa jenem Fürsten von Gommern.

Die Trierer Schau macht auf vielfältige Weise klar, dass es "den" Untergang des (west)römischen Reiches nicht so gegeben hat, wie ihn Ideologen im 19. Jahrhundert propagierten und die Historienmalerei gern dramatisch darstellte: hier die bei aller Brutalität imposanten germanischen Eroberer, dort die dekadenten, in ihrer Zivilisation verweichlichten Römer. Die Ausstellung beweist eindrucksvoll, dass der "Untergang" ein langwieriger Prozess von Zerfall in Partikularinteressen, aber auch der einer unaufhaltsamen Transformation war. Die diversen Völkerschaften jenseits von Limes und Rhein wollten an Roms Wohlstand und Lebensstil teilhaben, ohne es deswegen zu zerstören. Viele dienten als Legionäre und Heerführer und zeigten stolz ihre römischen Angebinde, die sie oft fantasievoll mit ihrer althergebrachten Ausstattung verbanden.

Der Schildbuckel aus dem Grab bei Gommern ist ein prachtvolles Beispiel für eine solche veredelnde Verwandlung: Eine silberne römische Schale bildet die Krönung des Buckels. Um sie herum hat der Handwerker ein Zwischenband gelegt, das auf einer vergoldeten Krempe mit Kreisen für Glas und andere kostbare Einlagen fußt. Das Zwischenband zeigt einen Ring von stilisierten Vogelmasken, ein skandinavisches Motiv. Auf die Schale wurde außerdem noch ein Stangenknopf appliziert. Das Ganze bildet eine faszinierend komponierte Einheit, die nicht von Barbarei oder Vandalismus zeugt, sondern von kreativer künstlerischer Aneignung und ästhetischer Weiterentwicklung. Harald Eggebrecht

Feinsinniges Spiel: Laurence Rupp in "Barbaren"

Szene aus der Serie "Barbaren". (Foto: Krzysztof Wiktor/Netflix)

Man kann einiges lächerlich finden an der Netflix-Serie "Barbaren": den ganzen Germanenkitsch mit Fellkleidung, Kriegsbemalung und Met-Süffeln im Feuerschein, die manchmal fast slapstickhaft hyperbrutale Gewalt, die Dialoge, die zwischen archaischer Götteranrufung und heutigem Therapietonfall hin- und herspringen. Aber eine Performance hält diese bunte und ja, doch, unterhaltsame Mischung immer wieder zusammen. Laurence Rupp, 35 Jahre alt, aus Österreich und ausgebildet am Max-Reinhardt-Seminar spielt Arminius, den Anführer der Barbaren. Rupp war schon als Kind in "Kommissar Rex" zu sehen, 2016 dann in der fein nachdenklichen Hörspielaufnahme-Doku "Die Geträumten" als Sprecher von Paul Celans Briefen an Ingeborg Bachmann. Jetzt also Muskeln und Schwertkampf im Schlamm, auch gut. Aber das richtig Tolle ist: Das Feinsinnige schimmert durch in seinem Spiel und macht den Barbaren wunderbar vielschichtig. Kathleen Hildebrand

Klassik-CD: Der 119. Psalm von Heinrich Schütz

So verklärt hat sich das 19.Jahrhundert den Großkomponisten Heinrich Schütz vorgestellt. (Foto: H. Tschanz-Hofmann/Imago)

Heinrich Schütz ist der erste berühmte deutsche Komponist, er ist diesen Sonntag vor 350 Jahren in Dresden gestorben. Deutsch ist hier wörtlich gemeint, denn Schütz hat einem Großteil seiner laut Werkverzeichnis 494 überlieferten Vokalstücke, Instrumentales ist nicht darunter, deutsche Texte zugrunde gelegt, meist stammen sie aus der von Luther übersetzten Bibel. Dabei war der junge Schütz recht beeindruckt vom weltlichen Venedig, wo er ein paar Jahre lebte und bei Giovanni Gabrieli lernte, dem berühmten Organisten der Markus-Kirche. "Frühling, Jugendzeit des Jahres, liebliche Mutter der Blüten" und "Oh, du bittere Süßigkeit der Liebe" vertont er dort mitreißend verliebt und italienisch in seiner ersten Stückesammlung. Als sie erscheint, ist Schütz 26 Jahre alt. Zurück in Deutschland geht es bald nach Dresden, da ist er Hofkapellmeister von 1617 bis zu seiner Demissionierung 1671, ein Jahr vor seinem Tod. Dazwischen erlebt er den Dreißigjährigen Krieg, er schreibt die erste Oper mit deutschem Libretto, die ist verschollen. Er reist wieder nach Venedig, um den damaligen Komponistenstar Claudio Monteverdi zu erleben und komponiert unentwegt.

Das CD-Cover zu Hans-Christoph Rademanns Aufnahme des 119. Psalms von Heinrich Schütz. (Foto: Carus)

Kurz vor seinem Tod beendet er die Vertonung des Psalms 119, des längsten, den er in elf auch einzeln aufführbare Abschnitte aufteilt, Gesamtlänge eine Stunde. Das ist ein kraftstrotzendes Werk, ohne jeden Zweifel an dem hier allgepriesenen Gott: staatstragende Kirchenmusik. Schütz führt virtuos beiläufig alles vor, was ein Meisterkomponist mit zwei Chören anstellen kann. Das verblüfft und begeistert, auch wenn hier jeder radikale Zug, alles Visionäre und kühn Zukünftige fehlt, wie es bei Monteverdi und später bei Johann Sebastian Bach zu finden ist. Hier komponiert unbeeindruckt ein Meister an gegen die Verheerungen des Kriegs, gegen Hunger, Armut, Kälte, Folter und jeden Fortschrittsglauben, der ihm angesichts solch einer aus allen Fugen geratenen Welt wohl gefährlich erscheinen muss. Dieses Monument der Zuversicht hat Hans-Christoph Rademann im Rahmen seiner Schütz-Gesamtaufnahme (Carus) eingefangen in all seiner Unerschütterlichkeit und all seiner Pracht, die noch durch Instrumente gesteigert wird. Reinhard J. Brembeck

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