Süddeutsche Zeitung

Heimatsound:Angriff der Maturanten

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In "Folkshilfe", einer jungen Band aus dem oberösterreichischen Linz, sieht Hubert-von-Goisern-Manager Hage Hein seine neue "Kampftruppe", um die bayerischen Musikstadl zu unterwandern

Von Michael Zirnstein

Vor einem Monat tat Hage Hein etwas, was er sonst nicht tut, ja, er tat es sich sozusagen an. Er schaute die "Stadlshow" im Fernsehen. Rein berufliches Interesse, versteht sich. Frecher und jünger solle jetzt alles sein, hatten ihn die Macher vom Nachfolger des "Musikantenstadls" gelockt und gebeten, ob er nicht den einen oder anderen seiner Klienten dazu bewegen könne, auch mal zu kommen, den Hubert von Goisern etwa gerne. Also schaute er. Und der Chef des Münchner Labels Blankomusik sah, nun ja, nicht nur das Grauen, er sah immerhin die bayerische Volksrockbande Django 3000 und seinen einstigen Schützling Claudia Koreck, die sicher ein Millionenpublikum bekamen. Aber er sah auch DJ Ötzi im Duett mit Florian Silbereisen, Jürgen Drews und die Troglauer Buam, die verkrampft wie eh und je Gaudi vorspielten, und da wusste er, das würde er seinen Künstlern sicher nicht antun: "Das ist es einfach nicht."

Hage Hein ist schon seit langem auf der Mission, die Stadl zu unterwandern. Diesen altbackenen Volkskultur-Stumpfsinn von innen heraus aufzuknacken und ihm Haltung beizubringen. Aber nicht mit der Brechstange, sondern mit Raffinesse. Vor 25 Jahren brachte er Hubert von Goisern samt Alpinkatzen gegen die Zillertaler Schürzenjäger in Stellung. Jetzt hat er eine neue "Kampftruppe", wie er sie nennt: die Folkshilfe, drei ehemalige Musik-Maturanten aus Linz. Ausgerechnet beim ORF-Vorentscheid zum ersten europäischen Schlager-Grandprix nach Conchita Wurst hat er sie entdeckt. Den Tipp gab sein Künstler Julian Le Play. "Echte Bringer", seien das. Und was sie da einen Monat lang vier mal im Abendprogramm brachten! "Loss da helfn", ein Trostlied mit drei Gitarren und drei Stimmen auf drei Barhockern im STS-Stil. Einen poppigen Toleranz-Aufruf mit Ziach und multilingualer Hookline: "No matter who you are / a mol so mol so / a little loco". Das steirische Disco-Mantra "Ned au", das in seiner Extase an das dynamische Duo Attwenger erinnert. Und "Seit a poa Tog", das lässigste Dialektlied seit dem Hit "Vo Mello bis ge Schoppornou" von HMBC. Es gibt zu dem fröhlich schlurfenden Reggae-Stück ein Video, in dem die drei in einer Turnhalle eine g'schlamperte Lustlosigkeit verbreiten wie pubertierende Schwererziehbare nach der Ankündigung des Sportlehrers, man übe heute rhythmische Sportgymnastik gemeinsam mit der Mädchenklasse.

In dem Lied geht es um "die Knausrigkeit, die Kleinkariertheit und das Sudern. Die österreichische Urseele verhadert halt gern und redet alles schlecht", sagt der Akkordeonist Florian Ritt. "Seit a poa Tog" sei ihre "Working-Class-Hymne". Sie berufen sich auf die Urväter der amerikanischen Folk-Bewegung wie Pete Seeger und auf Gewerkschaftslieder, die sich ohne mediale Unterstützung von der Ost- zur Westküste verbreiteten. "Deshalb ,Folkshilfe mit F'". Man kann mit Florian Ritt, Mathias Kaineder und Gabriel Haider ewig über Politik reden, und darüber, dass sie ihre Debütplatte "Mit F" angesichts der Flüchtlingsnot heute sicher anders machen würden, "nicht mehr mit der feinen Klinge. Man muss den Zorn von den Menschen weglenken und auf das System richten". Ganz selbstverständlich erzählen sie, wie sie zu Hause im Flüchtlingsheim helfen, Handyverträge abschließen, Fahrräder organisieren, mit den Geflüchteten auch mal eine Nacht durch Linz zögen. "Normal halt."

Das hat Hage Hein in mehreren Treffen überzeugt: "Politisch voll korrekt." Entscheidend sei aber die "Mischkulanz", sagt Florian Ritt. Denn zur Haltung kommt für Hein "das Animatorische", ihr "unbedingter Zugriff aufs Publikum". Alles studierte Musiker, eh klar. Eine durchschlagende Kombination: "Wie Gabalier, nur mit was in der Birne", sagt Hein. So streng sind die drei selbst gar nicht. "Man kann vor dem Gabalier auch den Hut ziehen, er schreibt seine Sachen selber und macht eine Wahnsinnskarriere", sagt Haider, "nur wenn er politisch kokettiert, da hört der Spaß dann für uns auf." Die Einsamkeit in ihrem Altersheim-Lied "Is nu wer do?" klingt mehr nach Fendrichs "Sonntag Nachmittag" oder Goiserns "Heast es net", als nach Gabaliers "Das kleine Haus", "wo der Bua beim Opa sitzt und eine Rahmsuppe isst." So erinnert es Ritt zumindest vage aus einem Gabalier-Konzert. Dass sie oft mit dem Gipfelstürmer des Austro-Pop verglichen werden, finden sie lästig: "Natürlich, die Quetschn nimmt bei uns klanglich auch viel Raum ein, aber das ist, wie wenn man uns mit U2 vergleicht, nur weil wir auch eine Gitarre dabei haben."

Sie spielten lieber als Vorgruppe der Szene-Helden Wanda als vor Gabalier im Olympiastadion. Dennoch scheuen sie sich nicht, sein "I sing a Liad für di" einzusetzen, dazu Kindergeburtstags-Hits zu packen wie "Monsta" von Culcha Candela und "I'm Sexy and I know it" von LMFAO. Ironie? Sieht nicht so aus. Sie zelebrieren den Groove der Stücke mit wackelnden Hintern, wenn sie alles zu einem endlosen "Schranz" zusammenhauen, bis die Leute auf der Straße die Kamerahandys auf sie richten oder mittanzen und singen. Seit Jahren gehen Folkshilfe auf "Streettour" und "Tourlaub", erst jüngst waren sie wieder mit dem Wohnmobil in fünf Ländern und zehn Städten, zogen mit Gitarre, Cajon und Quetschn durch die Fußgängerzonen. Im Ausland verscheucht sie kein Bankdirektor vor seiner Filiale, ohne sie später zu fragen, ob sie nicht auf seiner Weihnachtsfeier spielen könnten. "Je weiter man wegfährt, umso weniger Denkbarrieren gibt es", sagt der klassisch ausgebildete Sänger Mathias Kaineder. "Es gibt doch nichts Geileres, als wenn in Straßburg vor dem Münster 200 Leute deine Texte mitsingen, die gar nicht verstehen, dass das eigentlich ein Schmarrn ist."

Zum Beispiel: "Heap, heap, sagt der Karl zu der Resi . . . Die Resi macht ihn crazy." Die Zeile stammt aus dem austro-afrikanesken Anbandellied "Karl und Resi", bei dem es der Folkshilfe aber anders als dem wertkonservativen Gabalier "scheißegal" ist, "ob nun der Karl mit dem Karl, die Resi mit der Resi oder die Resi mit einem Rezi" rummacht. "Hauptsache es groovt." Ihr Vorbild bei ihren Hip-Hop-artigen Wort-Flows sind La Brass Banda, die auch die Grenzen des Genres weit übertreten haben. "Folkshilfe ist Folkshilfe und in verschiedenen Welten daheim", sagen sie, "das hat auch der Hubert von Goisern geschafft, der wird in keine Szene mehr gesteckt." Um dieses Ziel zu erreichen, kam ihnen Hage Hein gerade recht. "Wir kennen Musiker, die mit ihm bei den Global-Krynern und bei Hubert gearbeitet haben. Sein Ruf eilt ihm voraus. Der macht das, Step by Step." Fünf Jahre will der Münchner Manager an der Mission Folkshilfe arbeiten. "Minimum." So etwas tut er sich leidenschaftlich gerne an.

Folkshilfe , Dienstag, 6. Oktober, 21 Uhr, Strom, Lindwurmstr. 88

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SZ vom 05.10.2015
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