Heidi Goëss-Horten gestorben:Ein Leben für die Kunst

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Sie hatte zuletzt sehr zurückgezogen gelebt: Heidi Goëss-Horten im Jahr 2018 in Wien. (Foto: Imago/Skata)

Die österreichische Milliardärin und Mäzenin Heidi Goëss-Horten ist im Alter von 81 Jahren gestorben - kurz nach der Eröffnung ihres Museums in Wien.

Von Cathrin Kahlweit

Anfang Juni erst war in Wien ihr Herzensprojekt, die Heidi Horten Collection eröffnet worden - aber die Mäzenin und Namensgeberin hatte gefehlt. Nun ist Heidi Goëss-Horten, nur zwei Wochen später, mit 81 Jahren am Wörthersee verstorben, wie eine Sprecherin ihrer Sammlung am Sonntag mitteilte. Horten hatte zuletzt sehr zurückgezogen gelebt; das Privatmuseum, das künftig zweimal jährlich Teile ihrer über die Jahre auf 700 Objekte angewachsene Kunstsammlung zeigen soll, hatte ihr zuletzt aber wieder viel Aufmerksamkeit beschert.

Denn die Heidi Horten Collection, die ihre Heimat im Zentrum Wiens in einem umgebauten, kleinen Palais neben der Albertina gefunden hat, war auch ein Symbol für Hortens Lebensgeschichte gewesen. Diese hatte, im Alter von 19 Jahren, an einer Hotelbar in Velden ihren ersten Mann, den als "Kaufhauskönig" bekannten Helmut Horten kennengelernt. Ihr dreißig Jahre älterer Ehemann, der bereits 1987 verstarb, hatte einen Teil seines Vermögens in der NS-Zeit gemacht und galt als Profiteur der "Arisierung" jüdischen Besitzes. Die Debatte über die Genese seines Reichtums, der auch ihrer wurde, hatte bis zuletzt auch einen Schatten auf ihre Sammlung geworfen.

Horten soll seiner jungen Frau etwa eine Milliarde hinterlassen haben, die sie seither geschickt vermehrte; etwa drei Milliarden Euro sollen es zum Schluss gewesen sein. Davon unterstützte sie einen Eishockeyverein, spendete für den Tierschutz und fast eine Million an die Regierungspartei ÖVP unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Und kaufte: Kunst. Immer wieder machte die Milliardärin Schlagzeilen, wenn sie mal einzelne Meisterwerke, mal mehrere zugleich auf Auktionen erwarb; der Ruf, "Trophäen" zu sammeln, hing ihr nach. Sie selbst sagte, sie sammele "aus dem Bauch heraus".

Sie lebte das Leben einer reichen Society Lady, mit Anwesen auf den Bahamas und Luxusyachten

Bisher waren Teile von Hortens Sammlung nur ein einziges Mal zu sehen gewesen: Ihre Kuratorin, Beraterin und Freundin, die Kunstmanagerin Agnes Husslein-Arco, hatte 2018 im Wiener Leopold-Museum die Show "Wow" kuratiert, die ein großer Publikumsmagnet war; erst daraufhin, heißt es, habe sich Heidi Horten dazu entschlossen, ihre Kunst in einem Privatmuseum zu zeigen.

Heidi Horten lebte das Leben einer reichen Society-Lady. Sie heiratete nach dem Tod ihres ersten Gatten einen französischen Blumengroßhändler und später den zehn Jahre jüngeren Adeligen Karl Anton Graf von Goëss. Sie erwarb Anwesen auf den Bahamas und in der Schweiz sowie zwei Luxusyachten, zu deren Design sie selbst beigetragen haben soll.

Über die Vita von Helmut Horten, über sein Agieren unter den Nazis und über seine spätere Steuerflucht in die Schweiz sprach sie nicht gern. Für sich sprechen sollte am Ende ihres Lebens das elegante, in einem Innenhof gelegene Museum, einst Reitschule, später Kanzleigebäude, klug entkernt und wunderbar ausgestattet vom Architektenpaar Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Ernst Fuchs. Sie haben es mit einem kleinen Skulpturengarten versehen und im Inneren über zwei schwebende Freitreppen und drei diagonal zu den Außenmauern versetzte, lichte Geschosse samt zahlreicher kleiner Kabinette erschlossen. 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche mit Durch- und Ausblicken sind so entstanden, mit teils repräsentativem, teils intimem Charakter.

Die Heidi Horten Collection zeigte zur Eröffnung im Juni 2022 vorerst 50 von etwa 700 Objekten aus der Sammlung Goëss-Hortens. (Foto: Imago/Viennareport)

Für sich sprechen soll natürlich auch die Sammlung selbst, von der zur Eröffnung nur etwa 50 Objekte gezeigt werden. Darunter sind große Namen wie Hirst und Flavin, Balkenhol, Wurm, Rauschenberg, Warhol und Basquiat, aber auch neuere Ankäufe von jungen Künstlern und, so überraschend wie überzeugend, Art in Situ, unter anderem von österreichischen Künstlern wie Constantin Luser, Markus Schinwald oder Hans Kupelwieser. Luser hat im Erdgeschoss eine aus einer Tuba, vier Trompeten und 20 Hörnern bestehende, meterhohe Messingskulptur aufgestellt, deren Kopf bis in den zweiten Stock ragt; die an einen Dinosaurier erinnernde und "Virbosauria" genannte, filigrane Auftragsarbeit ist tatsächlich wie ein Instrument bespielbar.

Von Schinwald und Kupelwieser wiederum stammt der "Tea Room". Er ist eine Anspielung auf höfische Salons und ein Gesamtkunstwerk aus eigens entworfenen Textilbespannungen und Sitzmöbeln und einer mit Bullaugen versehenen Vitrine; darüber schwebt, samtig rot, brutal zerknautschtes und verformtes Metall als Deckenrelief. Die erste Schau in der Collection, schlicht "Open" genannt, zeigt eine heitere Mischung moderner Kunst mit Liebe zum Detail - und mit Humor.

Über den verstorbenen Mann und wie er an sein Geld kam, erfährt man in dem Museum nichts

Was indes den ehemaligen "Kaufhauskönig" angeht, so spielt er keine Rolle in der gesamten Inszenierung und soll auch keine spielen. Museumsdirektorin Husslein-Arco erwähnt ihn bei einem Pressetermin wie nebenbei; die junge Heidi habe "nicht viel zu sagen gehabt", als ihr sehr viel älterer Mann noch lebte. Nach seinem Tod habe sich Horten "neu definiert".

Diese Sichtweise ist legitim, schließlich stellte Goëss-Horten ihre hochkarätige Sammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung. Und doch ist sie problematisch. Denn die Mäzenin ließ erst, als das Projekt in Wien schon längst Gestalt angenommen hatte, vom deutschen Historiker Peter Hoeres von der Universität Würzburg eine Studie über das Wirken ihres früheren Mannes und die Arisierungen jüdischen Vermögens erstellen. Dieser habe, heißt es in dem "Gutachten über den Vermögens- und Geschäftsaufbau von Helmut Horten im Kontext der 'Arisierung' in der Zeit des 'Dritten Reiches'", 1936 sein erstes Kaufhaus erworben. Eigentümer seien Juden gewesen, die sich "unter dem Druck der NS-Verfolgungspolitik" entschlossen hätten, zu emigrieren.

Schritt für Schritt habe Horten danach weitere Kaufhäuser aus jüdischem Besitz erstanden; er sei "Nutznießer" des NS-Unrechtsregimes gewesen, habe aber zugleich versucht, beim Ankauf "nach handelsüblichen Mechanismen" vorzugehen, berichtet der Historiker. Die Studie, die Anfang 2022 präsentiert wurde, ist auf der Webseite der Heidi Horten Collection abrufbar und hat zwiespältige Reaktionen hervorgerufen. So kritisiert die Linzer Historikerin und Provenienzforscherin Birgit Kirchmayr im Standard, das "erinnerungspolitisch problematische Gutachten" könne die Vorwürfe gegen Helmut Horten nicht entkräften, vielmehr bestätige es sie eher. Die Einschätzung, Horten habe sich "vergleichsweise fair" verhalten, sei unter den gegebenen Kriterien allerdings "schlicht suggestiv und wissenschaftlich nicht haltbar".

Höchst kritisch setzt sich auch ein Buch der deutschen Journalistin Stephanie Stephan mit Helmut Horten auseinander. Ihr Vater war während der deutschen Besatzung Vorstandsmitglied der niederländischen Modehauskette Gebroeders Gerzon's Modemagazijnen gewesen und versuchte, wie sie in ihrer hervorragend dokumentierten Biografie beschreibt, das Unternehmen vor der Arisierung zu bewahren. Stephan wirft Horten nicht nur vor, ihren Vater als "politisch unzuverlässig" gebrandmarkt zu haben (so auch der Titel ihres Buches), sondern dafür gesorgt zu haben, dass Reinhold Stephan des Landes verwiesen und unter Gestapo-Aufsicht gestellt worden sei. Horten habe sich die "antisemitische Politik der Nationalsozialisten zu eigen gemacht" und die damaligen Unternehmer so "unter Druck gesetzt, dass sie schließlich einen von ihm aufgesetzten Kaufvertrag unterschrieben".

Stephanie Stephan ist unversöhnlich. Es sei beschämend, schreibt sie in ihrem Buch, dass sich, wenn nun die millionenschwere Privatsammlung von Heidi Goëss-Horten im Juni 2022 eröffnet werde, "kaum ein Betrachter fragen wird, mit welchen Mitteln diese Kunst erworben wurde".

Im Museum soll das alles künftig keine Rolle mehr spielen. Die Leitung entschied sich, zu Ehren der Mäzenin in der kommenden Woche freien Eintritt zu gewähren. Sie sei, hieß es, eine "großzügige, warmherzige und kluge Dame" gewesen.

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