Theater:Unbefleckt und hart genervt

Theater: Wenn die Welt untergeht, dann mit Wumms: Das ebenfalls ausgezeichnete Stück "Das hässliche Universum".

Wenn die Welt untergeht, dann mit Wumms: Das ebenfalls ausgezeichnete Stück "Das hässliche Universum".

(Foto: Arno Declair)

Beim Heidelberger Stückemarkt gewinnt der radikal feministische Text "Maria Magda".

Von Christiane Lutz

"Was ist die Jungfrau anderes als eine Lücke? Maria. Frage dich; warum opfern Frauen in Geschichten ihre Körper und Männer nicht. Frage dich, warum werden Frauen die Brüste abgeschnitten und Männern nicht die Schwänze." Diese wenig subtile Textstelle stammt aus Svenja Viola Bungartens Stück "Maria Magda". Mit dem hat sie den mit 10 000 Euro dotierten Autoren- und Autorinnenpreis des 38. Heidelberger Stückemarkts gewonnen, der am Sonntag zu Ende ging.

Bungartens Text ist krass, düster und feministisch, sie erzählt von der jungen Schülerin eines katholischen Mädcheninternats, der allerlei alptraumhafte Gestalten begegnen: Nonnen, die Hexenmeister jagen, ein wütender Gott, der Frauen droht und die Namensgeberinnen des Stücks, Maria und Maria Magdalena, die ewige Heilige und die ewige Hure. Uralte Kategorien, in die Frauen heute noch eingeteilt werden. Bungarten, das betont sie in ihrer Dankesansprache, geht es in ihrem Horror-Stück um absolute Befreiung aus patriarchalen Strukturen, wie die Kirche sie seit Jahrhunderten pflegt. Und sie plädiert für weibliche Selbstbestimmung, etwa im Bezug auf das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Die Jury zeichnet damit einen Text aus, der mit dem Thema Feminismus natürlich sehr en vogue ist. Dennoch: Es ist eindeutig der mutigste Text unter den sechs nominierten Stücken, von denen die anderen eher um persönliche Erfahrungen kreisen, um die eigene Lebenswelt als Ausgangslage.

Svenja Viola Bungarten_Foto Tara Jerome

Svenja Viola Bungarten, Gewinnerin des Autorenpreises, ist Hausautorin am Theater Koblenz.

(Foto: Tara Jerome)

So etwa auch das gut gebaute Familiendrama "Peeling Oranges" von Patty Kim Hamilton, das mit dem erstmalig vergebenen SWR2-Hörspielpreis ausgezeichnet wurde, sprich: Der Text wird als Hörstück produziert. Hamilton erzählt in lyrisch-rhythmischer Sprache von drei Frauen, einer Mutter und ihren Töchtern mit koreanischen Wurzeln, die in Amerika leben. Es geht um Familiengeister, um Verbindungen zur Vergangenheit und die eigene Identität.

Aus dem eigenen Leben hat auch Anna Gschnitzer geschöpft, wie sie im Video zu ihrem Stück erzählt. Sie gewinnt für "Einfache Leute" den mit 2500 Euro dotierten Publikumspreis. Mit ihrer Protagonistin Alex erzählt sie lustig und einfühlsam vom sozialen Aufstieg, beziehungsweise von den Schwierigkeiten und Stolpersteinen desselben. "Selbst wenn du alles dörfliche aus deiner Sprache gewaschen hast", schreibt sie, "dann sind es die kleinen Gesten, die dich verraten." Klassismus ist ein Problem, denn soziale Räume verhärten sich eher, als dass sie sich öffnen, befindet Gschnitzer.

Digital klappte alles, aber: nächstes Jahr doch lieber wieder analog

Sehr schräg geht es in "Das hässliche Universum" zu, dem Stück von Laura Naumann, das Sapir Heller vergangenen Sommer am Münchner Volkstheater inszenierte und das live von dort gestreamt wurde. In der trashigen Weltuntergangsrevue treten Frida Kahlo, Freddie Mercury und Dolly Parton auf, gemeinsam besingen sie das Ende aller Dinge. Die Inszenierung gewinnt den Nachspielpreis und wird bei den Autorentagen des Deutschen Theaters Berlin gezeigt.

Gastland beim diesjährigen Stückemarkt war Litauen, von wo aus zum Beispiel das furiose Supermarkt-Singspiel "Have a good day!" gestreamt wurde. Den internationalen Autorenpreis erhält die litauische Autorin Gabrielė Labanauskaitė für ihr "Immobiliendrama". Lucien Haug gewinnt den Jugendstückpreis für seine Version von "Frühlings Erwachen", das am Schauspielhaus Zürich produziert wurde und nun bei den Mülheimer Theatertagen zu sehen sein wird.

Holger Schultze, Intendant des Theaters Heidelberg, zeigt sich sichtlich zufrieden mit dem komplett digitalen Stückemarkt. Rund 3800 Zuschauer hätten die 20 gestreamten Inszenierungen und Lesungen angeschaut, das sind mehr, als ins Theater gepasst hätten. Und es ist beachtlich, was das Theater auf die Beine gestellt hat: unkomplizierte Buchungsvorgänge, stabile Streams und unterhaltsame Gesprächsrunden nach den Vorstellungen. Das ist auch nach einem Jahr Zwangsdigitalisierung noch nicht selbstverständlich. Trotzdem, sagt der Intendant: nächstes Jahr dann wieder analog. Oder besser: vor allem analog.

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