Heavy-Metal-Festival in Wacken:Inszenierung der Apokalypse

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Das Heavy-Metal-Festival in Wacken war in diesem Jahr lauter, härter und schneller als die Hölle. Nicht nur, weil es einen tragischen tödlichen Unfall gab. Sintflutartiger Regen ließ die Besucher des ansonsten heiteren Festivals im Schlamm versinken. Und neue modische Akzente setzen.

Bernd Graff, Wacken

Irgendwann, es war vielleicht an Tag Drei, kam das mit den Plastiktüten auf. Eine richtige Plastic-Bag-Fashion wurde daraus. Aber das war da auch schon egal. Die Schlacht war geschlagen. Man hatte gewonnen oder verloren. Aber auch das war egal. Jedenfalls fingen die Menschen an, ihre völlig verschlammten Füße, vielleicht noch in den verdreckten Socken und Schuhen, in Plastiktüten zu stecken und diese mit Duct Tape, dem silbergrauen, auch schwarzen Gewebeklebeband, an den Fußgelenken, am Knie und am Oberschenkel zu befestigen.

Wir sprechen über große Plastiktüten. Manche umwickelten damit das gesamte plastikummantelte Bein. Dann wirkten die Schenkel, als ob sie in den Gamaschen von Fremdenlegionären steckten - in irgendeinem Krieg vor oder nach unserer Zeitrechnung. Andere hoben auf die Designs der Tüten ab: Tengelmann, Jeans-Shops, Modelabels. Hier war das Klebeband dann design-kohärent befestigt, es unterstrich das Tütenmotiv oder strich es durch, je nachdem, was man zum Ausdruck bringen wollte. Den Rinderschädel auf den Wacken-Tüten unterstrichen fast alle. Die spiegel-symmetrischen Gucci-G's wurden durchgestrichen.

Die Idee mit den Tüten aber war aus blanker Not geboren. Der schlimme Regen hatte eigentlich nie aufgehört. Und dort, wo vor wenigen Tagen noch grünstes Gras war, suppte jetzt dieser braunschwarze Modder, überall wenigstens knöcheltief, durch den die Menschen schwer und schwankend stapften. Irgendwie ziellos, irgendwohin wollten sie ja, aber wohin auch immer sie wollten: der von 80.000 Beinpaaren breiig getretene Schlamm war immer schon da. Selbst auf den Toiletten und in den Duschen. Die Menschen also hatten ihren Boden unter den Füßen verloren.

Diese Menschen, die tapfer durchnässt, aber in den neuen Stiefelprovisorien aus Plastiktüten durch den unendlichen Schlamm wateten, waren die Besucher jenes äußerst harten, sehr, sehr lauten, auch sehr dunklen, dann aber wieder in gleißende Stroboskopgewitter getauchten Festivals in Wacken, das sich harmlos Wacken Open Air nennt. Dessen Abkürzung jedoch vermittelt lautmalend einen unmittelbareren Eindruck von dem, um was es hier geht: W:O:A! Es geht um WOOOOOOOAAAA in seiner Bestform!

Am vergangenen Samstag ist ein junger Mann durch einen tragischen Unfall auf dem Wacken-Festival ums Leben gekommen. Soweit man weiß, hatte der traurige Vorfall nichts mit dem Festival zu tun. Der Mann soll an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben sein, verursacht durch die Abgase eines kraftstoffbetriebenen Notstromaggregats. Nein, dieser furchtbare Vorfall passt nicht zu der heiteren und friedvollen Stimmung des Festivals. Er überschattet es völlig.

Denn WOOOOAAAA sieht eigentlich so aus: Ein ewiger Regen, man nennt ihn hier ergiebig, dann wieder peitschender Wind und auch heiße Sonne, dazu der völlig traumatisierte Untergrund, und eine von aller Kraft käuflicher Elektronik befeuerte Musik, die in manchen ihrer Ausprägungen nicht von Flugzeugstarts zu unterscheiden ist. Sie macht die Erde beben und lässt den Brustkorb so vibrieren, dass man um die Gesundheit seiner inneren Organe fürchten muss. Dazu Pyrotechnik und Laserfeuer, die jedes chinesische Jahrtausendfeuerwerk auf einen Lady-Kracher reduzieren. Und über allem prangt der gigantische, brennende, auch feuerspuckende Wacken-Rinderschädel.

Wacken Open Air 2012
:Lauter Lebensformen

Louder than hell und heller als der Mond. Ob in der Sonne, im mildernden Abendlicht oder bei echten Flammen: Hinsehen lohnt sich. Das Wacken Open Air 2012 in Bildern.

Von Bernd Graff

Auch, wenn man Wacken nicht zum ersten Mal erlebt hat, das hier, Wacken 2012, vermittelte einen Eindruck vom Ende der Welt, es war die naturgestützte Inszenierung einer frivolen Apokalypse. Die muntere Stretta vor dem Finale. Und während die alten Prügler von Overkill ihren Thrash Metal in guter, solider Arbeit abliefern, schießen angesichts dieses Ambientes einige der letzten Verse aus Shakespeares "King Lear" in den Kopf: "Is this the promis'd end? Or image of that horror?" Ist das jetzt das versprochene Ende? Oder ein Bild jenes Horrors?

Alljährlich um das erste Augustwochenende herum kommen die Menschen aus allen Teilen der Erde zum größten Heavy-Metal-Festival der Welt nach Wacken, es ist das inzwischen größte 3-Tage-Open-Air-Festival Deutschlands. Angeblich waren in diesem Jahr etwa 100.000 Besucher dort. Wacken ist ein für die Festivalzeit völlig überlaufener, notorisch von seinen Besuchern überforderter Ort, eher ein Dorf als eine Kleinstadt in Schleswig-Holstein, nordwestlich von Itzehoe. Warum ausgerechnet dieses ländliche Kaff im Jahr 1990 zum Austragungsort dieses Festivals erkoren wurde, tut hier nichts zur Sache. Darüber ist schon ein mehrfach ausgezeichneter Dokumentarfilm entstanden: "Full Metal Village" aus dem Jahr 2005.

Zum 23. Mal also überrollten die Fremden diese ländlich herbe Gemeinde. Und sofort transformierten sie den Ort in das, was Francis Ford Coppola in "Apocalypse Now" als bizarren Dschungelstaat des Colonel Curtz gezeichnet hat. Hier bildet er sich spontan aus der anarchischen Truppe der Angereisten, die bereit sind, die körperlichen Strapazen des richtig harten Feierns auf sich zu nehmen. Es gibt gemeinsame Codes, Zeichen der Verständigung und des Einvernehmens, der großen Rücksichtnahme, der Höflichkeit und des Respekts vor dem Anderen. Es gibt Rituale und unsichtbare Regeln, die jedem der Versprengten, diesen globalen Söldnern des Sounds, einleuchten und bekannt sind. Man hält sich daran.

Einem wirklich Außenstehenden aber kommt das gesamte Ambiente: die Atmosphäre im okkupierten Dorf und auf den davorliegenden Äckern des Festivalgeländes, die viel Haut freilassenden Outfits, die unsichtbaren Ordnungen und Bräuche, die marodierten Camp-Grounds, die irren Buden und Stände, das Schwarz der Bühnen, des Bodens und des Himmels, diese gleichzeitige Nonchalance und Richtungslosigkeit und die unfassbare Lautstärke, all das kommt dem Außenstehenden vor wie eine andere, unwirkliche Welt.

Es ist, wie es in Kleists "Marionettentheater" heißt: "So findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein. Allerdings, das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt." Ja, es hat viel von letztem Kapitel und der Grazie überwundener Erkenntnis. Es ist nur hier und Jetzt. Seine Sinnlosigkeit ist seine Zwecklosigkeit. Oder sagen wir es platt: Diesem apokalyptischen, alterslosen Traum fehlt ein Oberst Curtz, der alles zusammenhält.

Das stimmt nicht ganz: Der Rang, den Curtz einnimmt, wird abwechselnd besetzt von einer der über 130 Bands, die von donnerstags bis in den frühen Sonntagmorgen auf drei zentralen und mehreren kleineren Seitenbühnen fast ununterbrochen spielen. Nein, nicht spielen, sie schuften hart. Bei aller Lautstärke, es ist präzises und schnelles Arbeiten der Metallverarbeitenden Musikindustrie. Sie arbeitet an Licht und Effekten, am Sound, an der Intonation der Stimme, an der Pyrotechnik, also an der professionellen Abarbeitung dessen, was hier zu geschehen hat. Auch wenn man nichts versteht, weil es so laut ist. Wer mitsingt, hat die Platte im Ohr, nicht das Geräusch vor der Nase.

Heavy Metal zirkuliert in Zeitlosigkeit. Es ist nicht politisch, es vertritt keine Ideologie, es richtet sich gegen nichts und kennt viele Gefühle des Menschen, das ganze Bestiarium der Gefühle sogar, aber es kennt dafür nur einen Ausdruck: Lauter, härter und schneller zu sein als die Hölle. Das ist eine quasi-mythologische Verheißung, gewiss. Aber sie begründet, dass Heavy Metal nie still steht, immer weiter geht, auch wenn es auf einer Kreisbahn zirkuliert. Das heißt nicht, dass hier keine Innovationen stattfinden.

Die dänische Band Volbeat etwa, eine mit einigen Platin-Alben veredelte Truppe, ihre letzte Platte verkaufte sich 200000 mal in Deutschland, wird zum Highlight des Festivals, weil sie musikalisch Johnny Cash und Elvis mit Metallica, Slayer und Black Sabbath versöhnt. Und weil die Band eine geradezu ansteckende Heiterkeit versprüht, die sogar den Regen für einige Zeit besänftigt. Aber darum, weil Heavy Metal trotz der Ausdifferenzierung in verschiedene Subgenres, immer nur Heavy Metal sein will und nur das sein kann, darum, ist es auch egal, wie alt die Barden auf der Bühne mittlerweile geworden sind. Die Skorpions erwähnen wir gar nicht erst.

Heavy Metal bleibt eines der professionellsten und originellsten Genres, das die Kreativ-Industrie aufzubieten hat. Dazu passt die fantastische, behutsam im Hintergrund operierende Organisation des Festivals. Alle Bands gehorchen ihr und wissen, wann sie die Bühne, dieses Schlachthaus, auch mal wieder zu verlassen haben. Es gibt keine Überraschungen, bis auf das desaströse Wirken des Wetters.

Wie gesagt: Schleswig Holstein ist umtost von wilden Meeren, und der Regen fällt. Nein, nicht Regen. Es sind Wasser, die da so heftig fallen, nicht als Tropfen, sondern als Wasser in der Ursubstanz. Ganz so, als ob es Wacken zeigen wolle, was der Herr gemeint hat, als er das Wasser schuf. Wahrscheinlich heißt Wacken auch nur so, weil es sich wacker gegen die Vertikalgewässer zu wehren versucht und doch immer untergeht. Sagen Sie jetzt bitte nicht, Sie haben auch mal bei schlechtem Wetter gecampt. Und Sie wissen, was Morast ist. Nichts wissen Sie vom Morast! Jenem Wackenmorast, der Menschen verschlingen kann, wenn auch nur bis Kniehöhe.

Stoisch ertragen dies die Festivalbesucher, die anders als die Bands drei ganze Tage auf den Plätzen vor den Bühnen verbringen, nass werden, trocknen, nass werden und schließlich im Schlamm versinken. Die Masse Mensch, die sich dort aufhält ist einzigartig in ihrer differenzierten Konformität. Zumeist schwarz gekleidet, man trägt T-Shirts mit martialischen, mythenschweren Motiven, und wo nur ein Totenkopf hinpasst, ist auch einer. Motivisch riecht es nach Magie und Schwarzer Messe, Blut kommt reichlich vor, dazu Parolen von Untergang und Jüngstem Gericht.

Die Haut der Menschen ist oft vollflächig beschriftet, es regieren auch hier die Totenköpfe und jene Zeichen und Runen, die jeden Wagner-Bassbariton wie in niedlicher Barbapapa-Bemalung aussehen lassen. Die Epidermis also setzt motivisch das Versprechen fort, das die T-Shirts gegeben haben. So die Damen in Lack-Miniröcken zu zerfetzten Nylons, so die Herren in Camouflage-Hosen und Springerstiefeln. Letztere, wie gesagt, wurden dann durch Plastiktüten ersetzt. Und sollte es jemals ein Wacken-Veteranentreffen geben, dann wird man sie dort wieder sehen. Stolz getragen wie Tapferkeitsmedaillen.

© SZ vom 07.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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