Heavy-Metal-Festival in Wacken:Inszenierung der Apokalypse

Das Heavy-Metal-Festival in Wacken war in diesem Jahr lauter, härter und schneller als die Hölle. Nicht nur, weil es einen tragischen tödlichen Unfall gab. Sintflutartiger Regen ließ die Besucher des ansonsten heiteren Festivals im Schlamm versinken. Und neue modische Akzente setzen.

Bernd Graff, Wacken

Irgendwann, es war vielleicht an Tag Drei, kam das mit den Plastiktüten auf. Eine richtige Plastic-Bag-Fashion wurde daraus. Aber das war da auch schon egal. Die Schlacht war geschlagen. Man hatte gewonnen oder verloren. Aber auch das war egal. Jedenfalls fingen die Menschen an, ihre völlig verschlammten Füße, vielleicht noch in den verdreckten Socken und Schuhen, in Plastiktüten zu stecken und diese mit Duct Tape, dem silbergrauen, auch schwarzen Gewebeklebeband, an den Fußgelenken, am Knie und am Oberschenkel zu befestigen.

Heavy-Metal-Festival in Wacken: Wanderer, kommst du aus Wacken, verkünde, du habest uns hier liegen sehen, wie es Heavy Metal befahl.

Wanderer, kommst du aus Wacken, verkünde, du habest uns hier liegen sehen, wie es Heavy Metal befahl.

(Foto: Mirjam Müller)

Wir sprechen über große Plastiktüten. Manche umwickelten damit das gesamte plastikummantelte Bein. Dann wirkten die Schenkel, als ob sie in den Gamaschen von Fremdenlegionären steckten - in irgendeinem Krieg vor oder nach unserer Zeitrechnung. Andere hoben auf die Designs der Tüten ab: Tengelmann, Jeans-Shops, Modelabels. Hier war das Klebeband dann design-kohärent befestigt, es unterstrich das Tütenmotiv oder strich es durch, je nachdem, was man zum Ausdruck bringen wollte. Den Rinderschädel auf den Wacken-Tüten unterstrichen fast alle. Die spiegel-symmetrischen Gucci-G's wurden durchgestrichen.

Die Idee mit den Tüten aber war aus blanker Not geboren. Der schlimme Regen hatte eigentlich nie aufgehört. Und dort, wo vor wenigen Tagen noch grünstes Gras war, suppte jetzt dieser braunschwarze Modder, überall wenigstens knöcheltief, durch den die Menschen schwer und schwankend stapften. Irgendwie ziellos, irgendwohin wollten sie ja, aber wohin auch immer sie wollten: der von 80.000 Beinpaaren breiig getretene Schlamm war immer schon da. Selbst auf den Toiletten und in den Duschen. Die Menschen also hatten ihren Boden unter den Füßen verloren.

Diese Menschen, die tapfer durchnässt, aber in den neuen Stiefelprovisorien aus Plastiktüten durch den unendlichen Schlamm wateten, waren die Besucher jenes äußerst harten, sehr, sehr lauten, auch sehr dunklen, dann aber wieder in gleißende Stroboskopgewitter getauchten Festivals in Wacken, das sich harmlos Wacken Open Air nennt. Dessen Abkürzung jedoch vermittelt lautmalend einen unmittelbareren Eindruck von dem, um was es hier geht: W:O:A! Es geht um WOOOOOOOAAAA in seiner Bestform!

Am vergangenen Samstag ist ein junger Mann durch einen tragischen Unfall auf dem Wacken-Festival ums Leben gekommen. Soweit man weiß, hatte der traurige Vorfall nichts mit dem Festival zu tun. Der Mann soll an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben sein, verursacht durch die Abgase eines kraftstoffbetriebenen Notstromaggregats. Nein, dieser furchtbare Vorfall passt nicht zu der heiteren und friedvollen Stimmung des Festivals. Er überschattet es völlig.

Denn WOOOOAAAA sieht eigentlich so aus: Ein ewiger Regen, man nennt ihn hier ergiebig, dann wieder peitschender Wind und auch heiße Sonne, dazu der völlig traumatisierte Untergrund, und eine von aller Kraft käuflicher Elektronik befeuerte Musik, die in manchen ihrer Ausprägungen nicht von Flugzeugstarts zu unterscheiden ist. Sie macht die Erde beben und lässt den Brustkorb so vibrieren, dass man um die Gesundheit seiner inneren Organe fürchten muss. Dazu Pyrotechnik und Laserfeuer, die jedes chinesische Jahrtausendfeuerwerk auf einen Lady-Kracher reduzieren. Und über allem prangt der gigantische, brennende, auch feuerspuckende Wacken-Rinderschädel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: