Heavy-Metal-Band:Vier Monster zwischen Metal und Mainstream

Katastrophe oder Meisterwerk - dazwischen gibt es bei Metallica nichts. Jetzt hat die Band ihr bestes Album seit mehr als 20 Jahren veröffentlicht. Begegnung mit Sänger James Hetfield in Berlin.

Porträt von Thorsten Groß

Natürlich denkt man sofort an Dieter Thomas Heck. In den goldenen Tagen des Deutschen Schlagers, also lange vor Helene-Fischer-Pop-Crossover und Wendler-Trash, wurde an diesem Ort das Flaggschiff der eskapistisch-gefühligen Fernsehunterhaltung produziert: die ZDF-Hitparade. Und so kann man fast nicht anders, als sich kurz dem bizarren Gedanken hinzugeben, wie es wohl wäre, wenn die institutionelle Schnellfeuergewehrplaudermaschine Heck plötzlich wie Kai aus der Kiste auf die Bühne springen würde.

Heck kommt aber nicht. Wir leben in einer anderen Zeit. Heute wird in den Studios der Berliner Union-Film Circus "Halligalli" produziert. Statt Roland Kaiser stehen Metallica auf der Bühne, die hier ihr neues Album "Hardwired ... To Self-Destruct" vorstellen und im Anschluss ein Konzert für geladene Gäste spielen.

Viele Fans würden Schlagzeuger Lars Ulrich gerne gegen eine Maschine austauschen

Nachdem die Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf alle möglichen, vermutlich sehr lustigen Dinge in den Saal gerufen haben (man weiß es nicht so genau, weil die Moderation im Saal nicht zu hören ist), demonstriert die Band mittels der Klassiker "Master Of Puppets" und "For Whom The Bell Tolls" ihre ungebrochene Souveränität als Bühnenkünstler. Wer sich jemals gefragt haben sollte, warum ausgerechnet diese vier Musiker die größte Metal-Band aller Zeiten bilden - hier ist die Antwort.

Aber das ist ja genau das Problem: Wenn Show-Veteranen wie Metallica alte Songs gegen neue stellen, bietet sich eine Möglichkeit zum direkten Vergleich. Und der fällt nicht immer schmeichelhaft aus.

Lange Jahre war es für diese Band immer nur bergauf gegangen, alleine vom fünften Album "Metallica" wurden unvorstellbare 30 Millionen Exemplare verkauft. Später verloren Metallica ihren künstlerischen Kompass allerdings in den Wirren des Mainstream-Erfolgs. Schlagzeilen machten sie nun mit einem Prozess gegen Napster, der ihren Ruf als raffgierige Millionäre festigte. Ein Image, das einige Jahre später mit dem Dokumentarfilm "Some Kind Of Monster" zementiert wurde: Eine derart pointierte Bestätigung sämtlicher Rockstar-Klischees hatte es zuletzt in der Komödie "This Is Spinal Tap" gegeben. Mit dem Unterschied freilich, dass die Komik in diesem Porträt einer dysfunktionalen Rockband unfreiwillig war.

Die Frage, ob das neue Album "Hardwired ... To Self-Destruct" nun die Abkehr von dieser kreativen Irrfahrt markiert, mag James Hetfield nicht beantworten, weil er die Dinge naturgemäß anders bewertet. Ohnehin hat der Sänger, Gitarrist und Texter die bewundernswerte Gabe, im Gespräch gewisse Fragen einfach wegzulachen.

Frage: "Metallica scheinen nicht in der Lage zu sein, mittelmäßige Alben aufzunehmen, zwischen Katastrophe und Meisterwerk ist wenig Platz, oder?" Antwort: "Hahaha". Oder: "Gab es außer David Bowie, der die Lou-Reed-Metallica-Kooperation 'Lulu' als herausragend bezeichnetet hat, noch andere Leute, die das Album mochten?" - "Hahaha".

Die Mainstreamrockalben der Band gelten Metal-Freunden als Verrat

Das Gespräch findet kurz vor dem HalliGalli-Auftritt statt, und Hetfield ist bester Laune. Der 53-Jährige ist braun gebrannt und sieht sehr gesund aus, also lacht er auch über die Kommentare zu den neuen Metallica-Songs in den einschlägigen Netzwerken. Diesmal allerdings zu Recht. Ebenfalls seit den frühen Neunzigern stehen Metallica vor der Herausforderung einer permanenten Gratwanderung zwischen den Anforderungen ihrer angestammten Metal-Klientel und denen des zahlenmäßig größeren, aber wankelmütigeren Mainstream-Publikums.

Das Problem: Der Metal-Freund betrachtet Rockmusik als quasiolympische Hochleistungsdisziplin, in der musikalische Darbietungen ausschließlich auf der Basis von Timing-Genauigkeit und Double-Bass-Geschwindigkeit bewertet werden. Die Mainstreamrockalben der Band gelten diesen Leuten als Verrat.

Gegen gute Geschäfte hat im Metal niemand etwas

Der Metallica-Schlagzeuger Lars Ulrich war stets derjenige, der derartigen akribischen Vorgaben am wenigsten entsprach. Er gilt als wenig Timing-fest und insgesamt nicht hart genug. Ulrich sammelt Kunst und entstammt einer europäischen Bildungsbürgerhippietennisfamilie. Nicht unbedingt ein Umstand, der geeignet ist, die Skepsis ihm gegenüber zu zerstreuen. Zu seinen Gunsten wird sein ausgeprägter Geschäftssinn angeführt, dem Metallica überhaupt erst ihre aberwitzige Karriere verdanken. Gegen gute Geschäfte hat im Metal niemand etwas. Trotzdem würden viele Fans Lars Ulrich gerne gegen eine Maschine austauschen.

Über jeden Zweifel erhaben ist in der Kernzielgruppe hingegen Sänger und Weglacher Hetfield. Er stammt aus einer zerrütteten Familie, die er früh verließ, er musste sich durchkämpfen, trank bis vor einigen Jahren täglich literweise Schnaps, und natürlich beherrscht er den einmaligen Hetfield-Growl. Diesen ganz speziellen, gutturalen Laut, mit dem er besonders markante Songzeilen abzuschließen pflegt. Vor allem aber lackiert er sich im Gegensatz zu dem zweiten Gitarristen Kirk Hammett nicht die Fingernägel und ist zudem eine Art wandelndes Uhrwerk. Metallica sind vielleicht die einzige Band, die ausschließlich der Rhythmusgitarre folgt. Auch bei "Halligalli" sind alle Augen stets auf Hetfield gerichtet, er gibt den Takt vor.

Und natürlich kennt James Hetfield die Vorbehalte gegen Ulrich und weiß sie zu kontern: "Wir denken darüber nach, ob wir Lars durch einen besseren Drummer ersetzen sollten", sagt er. Jetzt kommt zum Lachen noch ein Augenzwinkern hinzu. Noch mehr als die Musik dieser Band wirkt Hetfield wie ein aus der Zeit gefallenes Beispiel ungebrochener, weißer Virilität. Allerdings hat unter anderem die Wahl von Donald Trump gezeigt, dass dieses Modell eventuell doch nicht so überholt ist, wie es in der linken Kulturblase bisweilen den Eindruck macht.

Die Texte des Albums befriedigen das genretypische Bedürfnis nach Apokalypse

Überhaupt ist nichts so einfach, wie es scheint: Aufgrund seiner Jagdleidenschaft wird Hetfield gerne als Redneck bezeichnet, tatsächlich ist er eher eine Art unpolitischer Nihilist. Lars Ulrich hatte vor der Trump-Wahl bekannt gegeben, er gedenke im Falle eines Wahlsiegs zurück in seine dänische Heimat zu gehen. Kopenhagen sei eine schöne Stadt, sagt nun Hetfield, höchstens der Arbeitsweg sei dann wohl ein bisschen zu weit.

Aus den in "Some Kind Of Monster" demonstrierten Gegensätzen der beiden Männer bezieht die Band ihre Kraft. Ulrich ist der Netzwerker, der Hansdampf in allen Gassen, der für jeden immer das richtige Wort hat und auch jetzt zur Begrüßung sämtliche Hände schüttelt. Hetfield hingegen nimmt die medialen Begleiterscheinungen des Ruhms eher hin, als sie zu begrüßen. Er hat gelernt, professionell mit Situationen wie der heutigen umzugehen, aber man spürt einen Rest Unbehagen. "Ich habe immer das Gefühlt, mich schützen zu müssen", sagt er. Er wisse nie, wem er vertrauen könne.

James Hetfield ist ein optimistischer Pessimist. Zwar geht er aus Prinzip vom denkbar Schlechtesten aus. Auf lange Sicht jedoch hat er ein Grundvertrauen in die Menschheit, die ja allen Katastrophen zum Trotz noch immer auf diesem Planeten verweile. Die Texte auf "Hardwired ..." befriedigen einerseits das genretypische Bedürfnis nach Apokalypse und männerbündlerischen Treuebekenntnissen. Sie entstammen aber auch der Gedankenwelt eines Mannes, der durch einen Reifeprozess gegangen ist. Hetfield wirkt nach zahlreichen Therapien selbstreflektiert. Als Antwort auf die Fragen der Zeit empfiehlt er eine ausgewogene Balance und spricht sich deutlich gegen Extreme aus.

Es gibt jetzt wieder ein paar Songs für die Konzerte

Auch musikalisch sind Metallica um Balance bemüht. Sie führen die losen Fäden der frühen Thrash-Metal-Tage mit jenen der Mainstream-Alben zusammen, versöhnen also ihr komplettes Werk miteinander. Tatsächlich ist "Hardwired ..." das beste Metallica-Album seit über 20 Jahren. Produktionstechnisch hat die Band die misslungenen Experimente der Vergangenheit hinter sich gelassen und mit "Atlas, Rise!" oder "Moth To Flame" einige der stärksten Songs seit einer gefühlten Ewigkeit geschrieben. Allerdings ist das meiste zu lang. Eine ordnende Hand, der Verzicht auf die dritte Wendung, den vierten Break, das 25. Riff hätten mehr Klarheit gebracht.

Ob die Mühe belohnt wird, ist ohnehin fraglich. "Hardwired ... To Self-Destruct" eröffnet Metallica keine neuen Wege. Es ist aber ein überaus gelungener Verwaltungsakt. Und es gibt jetzt wieder ein paar Songs für die Konzerte. Danach wird man wieder "Master Of Puppets" auflegen.

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