Süddeutsche Zeitung

Heath Ledger als "Joker":Warum so ernst?

Joker sticht: Der verstorbene Heath Ledger schockiert und fasziniert Amerika. Er spielt den Bösewicht so kraftvoll und diabolisch, dass es schwerfällt, sich ihm zu entziehen.

Tobias Kniebe

Als der Joker schließlich gefangen ist, im neonhellen, abwaschbaren Verhörraum einer Polizeistation, geht ein Aufatmen durch die Zuschauerreihen: Was immer an Angst und Schmerz und Dunkelheit, an Irrwitz und Halluzination sich da draußen bereits zugetragen hat - hier regiert das Faktische, die nüchterne Ratio, eine höhere Ordnung, die noch jedes Monster auf Normalmaß schrumpfen ließ.

Auch dieser Gefangene sieht plötzlich nicht mehr ganz so bedrohlich aus: eher schmächtig gebaut, wirr und fettig das Haar, das irr grinsende, grellgeschminkte Clownsgesicht schon halb verwischt. Muss man vor diesem Bösewicht wirklich Angst haben?

Man muss. Heath Ledger als Joker in "The Dark Knight", das ist endlich einmal mehr als Hollywoods ewige Hype-Maschinerie. Und mehr als die respektvollen Hommagen der Kollegen, mehr als die aufgeregte, vom Studio angeheizte Spekulation über posthume Oscar-Chancen.

Natürlich geht es auch darum. Um den Tribut an ein viel zu früh verstorbenes Schauspieltalent, um die spekulative Vermischung von Rollen-Düsternis mit realen oder eingebildeten Jungmimenqualen, um das nekrophile Schillern einer Performance, die man jetzt natürlich nicht mehr anschauen kann wie jede andere.

All diese Erwartungen haben Christopher Nolans zweite Batman-Verfilmung zu einem besonderen Ereignis gemacht. In den USA, wo der Film gestern anlief, standen die Schlangen vor den Kinos nicht nur um Mitternacht, sondern auch um drei und um sechs Uhr morgens noch - und die Kasseneinnahmen des ersten Wochenendes sollen enorm werden.

Alles rauslassen

Das alles aber würde schon morgen niemanden mehr interessieren, wenn diese Rolle nicht wirklich so ein verdammtes Geschenk wäre - ein Abschiedsgeschenk, wie es sich keiner dramatischer wünschen kann.

Denn auch der gefangene Joker, in all seiner äußeren Erbärmlichkeit, ist mitnichten gebannt: Er gurrt, er raunt, lacht schrill auf - "warum so ernst?" - wispert verführerisch wie der Teufel selbst, lässt seine Zunge reptilienhaft durch die Luft schnellen - und hält Batman (Christian Bale), der ihn verhören will, zum Narren.

Nie würde er seine Nemesis töten, verspricht er mit feuchten Augen, denn: "You complete me." Dieser Satz, ein höhnisches Popzitat aus der Tom-Cruise-Schmonzette "Jerry Maguire", ist nicht nur lustig, sondern auch wahr: Ohne Batman wäre der Joker nichts - aber auch der Fledermausmann wächst gewaltig an diesem Widersacher, der schließlich seine ganze Existenz in Frage stellt.

Längst ticken schon zwei Bomben in der Stadt, an die der Joker zwei Menschen geschnallt hat, nur einer davon wird überleben können, das Spiel geht unerbittlich weiter - und Batman muss zur Rettung rasen, er kann sich gar nicht mehr um den Gefangenen kümmern.

Derweil das Clownsgesicht einen Polizisten zum Wahnsinn treibt, dessen Kollegen er vor der Festnahme getötet hat: "Ich nehme lieber das Messer, Kugeln sind zu schnell. Man kann die ganzen kleinen Emotionen dann nicht mehr spüren. Man lernt soviel über die Menschen im Augenblick ihres Todes... Sicher kenne ich deinen Freund jetzt besser, als du ihn je gekannt hast."

Tödlicher Fehler

Und natürlich verliert der Polizist jede Kontrolle, macht einen tödlichen Fehler. Wenig später rast der Joker wieder frei durch die Stadt, auf dem Weg zu neuen, epischen Zerstörungswerken...

Wie frei, wie ungehemmt Heath Ledger hier aufspielt, das ist wohl die größte Überraschung des Films. So kannte man ihn zu Lebzeiten nicht. In seinen Teenie-Schwarm-Rollen war er der eher düstere, maulfaule Typ; dann der rebellische Sohn, dessen Taten für sich sprechen sollten, oder der stille Träumer.

Wenn er das Publikum nach den Regeln des Starsystems rocken sollte, wie in "A Knight's Tale", war ihm das Unwohlsein beinah physisch anzusehen. Und nur allzu gern tauschte er den extrovertierten Charmeur bei den "Brüdern Grimm", den er eigentlich spielen sollte, mit dem Kollegen Matt Damon - um sich als weltfremder Bücherwurm hinter einer Brille zu verstecken.

Diese Fremdheit in der eigenen Haut, das langsame Glimmen einer unerfüllten Sehnsucht, die ohnmächtige Wut auf die eigenen Hemmungen - das war dann auch der Kern seiner wunderbar verhaltenen, oscarnominiert Rolle als schwuler Cowboy in "Brokeback Mountain".

Was nun als Joker aus ihm herausbricht, muss sich also lange aufgestaut haben - alle Spekulationen, das Unbewältigte dieser Rolle habe ihn vielleicht nicht losgelassen, zu Schlafstörungen geführt und schließlich zu dem fatalen Überdosis-Mix verschreibungspflichtiger Medikamente in der Nacht zum 22. Januar 2008 - sie erübrigen sich, wenn man ihn jetzt auf der Leinwand sieht.

Denn so sehr diese Figur das Potential hat, in unsere Alpträume einzudringen - so sehr gibt sie ihrem Darsteller auch die Möglichkeit, alles mal rauszulassen - die reine Therapie.

Das Ergebnis lässt Heath Ledger in neuem Licht erscheinen: als Schauspieler von fast unbegrenzten Möglichkeiten, nach dessen Tod wir nun weniger um eine Generation oder ein Image trauern, wie das vielleicht bei James Dean oder River Phoenix der Fall war, sondern um die vielen irrwitzigen Überraschungen, die er dem Kino noch hätte schenken können.

Der Regisseur Terry Gilliam jedenfalls heuerte lieber gleich drei Kollegen an, um Ledgers allerletzten, nur halbvollendeten Part zu komplettieren. In "The Imaginarium of Doctor Parnassus", die Geschichte einer Zirkustruppe im faustischen Pakt mit dem Teufel, ersetzen ihn nun Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell.

König des Chaos

Zunächst aber dürfen wir uns freuen, wenn der Joker am 21.August nach Deutschland kommt. Allein diese Figur sorgt für das kurzzeitige, sensationelle Gefühl, dass dem Bösen - in einem amerikanischen Comic-Blockbuster! - diesmal wohl wirklich nicht mehr beizukommen ist.

"Sehe ich so aus, als ob ich einen Plan hätte?", fragt der Joker rhetorisch. "Manche Menschen wollen einfach die Welt brennen sehen!" Nichts sei so lächerlicher wieder Versuch der Kontrolle, das ist sein Motto, im Chaos werden die Menschen gezwungen, ihre wahre Natur, ihre Wolfsnatur wieder zu zeigen - und wenn sie erst beginnen, sich gegenseitig abzuschlachten, wird kein Superheld mehr etwas ausrichten können: "Wahnsinn ist wie Schwerkraft - man braucht nichts weiter als einen kleinen Schubs."

Dass am Ende dann doch nicht alle wahnsinnig werden, ist das Hoffnungsmoment dieses Films - doch das schrille Gelächter seines Schurken hallt lange nach. Denn er hat alles begriffen: Viel gefährlicher als jeder Akt des Terrorismus ist die kollektive Reaktion darauf, viel mächtiger als die Anstifter des Chaos sind jene Hysteriker, die es steigern und fortpflanzen. Also wir alle.

Würden wir plötzlich den Zünder zur Zerstörung der Welt in den Händen halten, fragt der Joker - hätten wir den Mut, ihn nicht auszulösen?

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Quelle:
SZ vom 19./20.07.2008/mst
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