"Heat 2" von Michael Mann:Ein kriminelles Disneyland

"Heat 2" von Michael Mann: Al Pacino 1995 im Original-"Heat". Er soll in der geplanten Fortsetzung nicht mehr dabei sein.

Al Pacino 1995 im Original-"Heat". Er soll in der geplanten Fortsetzung nicht mehr dabei sein.

(Foto: Mary Evans Picture Library/Imago/Ronald Grant)

Der Regisseur Michael Mann hat seinen Gangsterklassiker "Heat" mit Al Pacino und Robert De Niro fortgesetzt - als Roman.

Von Fritz Göttler

Ein Tierdoktor hat ihn zusammengeflickt, eine Frau, die er nicht kennt, fährt ihn durch die Wüste zur mexikanischen Grenze. Ihr Name spiele keine Rolle, sagt sie, bevor sie dann doch mit einem herausrückt: Frida fucking Kahlo ...

Chris Shiherlis ist auf der Flucht, schwer verletzt, der einzige Überlebende des Überfalls auf die Far East National Bank in Los Angeles am 7. September 1995, mit dem "Heat" endete, der große Film von Michael Mann aus ebendiesem Jahr. Nun hat Mann die Geschichte weitererzählt, "Heat 2", als Roman, geschrieben in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Meg Gardiner.

Weiter- und zurückerzählt: "Heat 2" beginnt in der Nacht nach dem Bank-Desaster, bei dem auch Neil McCauley erschossen wurde, der Kopf der Bande, der väterliche Freund. Vincent Hanna hat ihn getötet, der besessene Cop. Die Flucht von Chris organisiert Nate, der Mastermind der Bande, im Blue Room, seiner Bar. Unterschlupf findet Chris schließlich in Ciudad del Este in Paraguay - eine Freihandelszone, ein kriminelles Disneyland, wo Geschäfte der neuen Art möglich sind.

Häng dich niemals an etwas, das du nicht innerhalb von 30 Sekunden aufgeben könntest

Michael Mann liebt Netzwerke, verschlungene Beziehungen, die tief unten in der amerikanischen Gesellschaft wurzeln. Geheimnisvolle Gewebe von Dankbarkeit, Verpflichtung, Vergeltung, Solidarität, Freundschaft, Ehre, Professionalität. Er liebt die Knotenpunkte, in denen diese Beziehungen sich verknüpfen, heimliche Zusammenkünfte oder brutale Clashs, und jedes Aufeinandertreffen hat eine Magie der Notwendigkeit, die nichts zu tun hat mit Zufall oder Schicksal. In "Heat" war es die legendäre Begegnung von Vincent Hanna, dem Cop, und Neil McCauley, den Superstars Al Pacino und Robert De Niro. In "Heat 2" kreuzt ein schlimmer Sadist immer wieder ihre Wege - er drückt besonders gern Frauen eine glühende Zigarette ins Auge.

Das Buch schwenkt in der Zeit hin und her, in die Vergangenheit 1988, als Neil und seine Leute noch am Leben und an einem gewaltigen Coup dran sind, und voran bis ins Jahr 2000. Das Schreiben ist nicht sekundär für Michael Mann, er hat mit einem Literaturstudium angefangen, aber es verändert die "Heat"-Figuren, rückt sie uns pathetisch näher, weg von dem coolen Existenzialismus, den Mann visuell schafft, von Anfang an, seit er die TV-Serie "Miami Vice" betreute - Antonioni in Florida.

"Alles kommt und geht", philosophiert Neil in "Heat 2". "Wir sind alle Fußabdrücke. Die Flut kommt, und du bist nie da gewesen. Das hat ein Typ namens Albert Camus geschrieben." Der Trost des Ephemeren, die Essenz des (Gangster-)Lebens. Aus diesem Zitat erwächst auch der legendäre Spruch, der sich durch "Heat" zieht - man solle sich nicht an etwas hängen, das man nicht, wenn's sein muss, innerhalb von dreißig Sekunden aufgeben könnte ...

Chris beginnt in Paraguay eine neue Beziehung mit Ana, der Tochter eines taiwanischen Familiengeschäftsclans. Das neue Netz, mit dem er konfrontiert wird, ist das Darknet, in das nur Insider gelangen, in dem die neuen Geschäfte gemacht werden, international. Hier werden nicht mehr Waffen und militärisches Gerät verschoben, sondern Hard- und Software, Leitsysteme, vor allem solche, mit der man Angriffswaffen ausschalten kann. Durch die perverse Faszination dieser neuen grenzenlosen Kriminalität dringt immer auch Bedauern, dass große materielle Schlachten damit überflüssig werden, mit persönlichem Einsatz und Enthusiasmus, mit Pumpguns, Kollisionen, Blut und Knochensplittern, all das, was das Kino groß gemacht hat.

Natürlich will Michael Mann diesen Kampf, diese Geschichte auch auf die Leinwand bringen. Gerade hat er, 79 Jahre alt, in Modena einen Film über Enzo Ferrari gedreht, mit Adam Driver und Penélope Cruz. Was er, anders als der Kollege Martin Scorsese, nicht machen will in diesem Film, der durch diverse Zeiten dringt: die Stars von "Heat" künstlich verjüngen, durch Gesichtsprothesen oder Computerlifting. Man braucht einfach den Körper, den Rhythmus eines Akteurs. Al Pacino hat schon mal vergnügt spekuliert, als den jungen Vincent Hanna könne er sich Timothée Chalamet vorstellen.

Michael Mann, Meg Gardiner. Heat 2. Thriller. Aus dem Englischen von Wolfgang Thon. Harper Collins 2022. 687 Seiten, 14 Euro.

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