Naturschutz und Architektur:Ist das eine Todesfalle?

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Das "Haus des Jahres 2022" und seine angeblich gefährlichen Glasscheiben. (Foto: Peter Grundmann)

Dem "Haus des Jahres" in Brandenburg wird vorgeworfen, eine Gefahr für Vögel zu sein.

Von Gerhard Matzig

Peter Grundmann ist als Psychopath, der Todesfallen im Wald aufstellt, schwer vorstellbar. Der Architekt aus Berlin versichert am Telefon, dass "nach Information" durch die Bauherren "kein einziger Vogel an den Glasscheiben des Hauses zu Tode gekommen ist". Die Scheiben gibt es seit drei Jahren. Sie gehören zu einem inzwischen bezogenen Einfamilienhaus. Es steht im Wald. Fast.

Auf die Zahl Null kommt es an in diesem Streit, der in seiner Bizarrerie zeichenhaft für Zwistigkeiten ist, die das Bauen heute viel stärker auslöst als je zuvor. Es wird oft emotional. Peter Grundmann hat also für Freunde unweit des Mellensees in Brandenburg ein spektakuläres, gleichzeitig spektakulär zurückhaltendes Haus entworfen, das erst kürzlich mit dem vom Callwey-Verlag ausgelobten Preis "Haus des Jahres" ausgezeichnet wurde. Nun windet sich um Bäume herum auf einem gut zweitausend Quadratmeter großen, idyllischen Grundstück mit 70 großen Laub- und Nadelbäumen ein gläsernes Haus. Auf 142 Quadratmetern bietet es Platz - und einen gewiss fantastischen Blick ins Grüne - für zwei Personen.

Wäre nicht der expressiv mäandernde Grundriss, der respektvoll Tetris spielt mit den vielen Bäumen, die den Bewohnern das Gefühl vermitteln, mitten im Wald zu leben: Man stünde vor dem in der Architekturgeschichte legendären Farnsworth House von Mies van der Rohe. Wenn auch in einer ostdeutschen "Bio"-Variante. Und wäre da nicht der Biologe Heiko Haupt. Der hat zum Beispiel auch eine sehr ernst zu nehmende Studie über den Bonner Post-Tower und dessen Gefährdungspotenzial für die Vogelwelt verfasst. Er ist vermutlich so wenig ein Naturspinner wie Grundmann ein Naturhasser. Dennoch sind sie gerade allem Anprallschutz enteilend zusammengeprallt.

Immerhin ist niemals ein Baum dem Haus zum Opfer gefallen

Der Biologe hat die Naturschutzbehörde alarmiert und dem Callwey-Verlag eine lange, anklagende Mail geschrieben. Das Wort "Massengrab" ist darin auch zu lesen. Haupt fordert "eine möglichst vogelprallsichere Nachrüstung des Gebäudes". Er glaubt, dass sich "die vorgebliche Naturnähe" des Hauses in Wahrheit als "tödliche Vogelfalle" erweise. Tatsächlich kann man Verlag und Jury fragen, ob das "Haus des Jahres" seine Naturverbundenheit wirklich dadurch ausdrückt, dass es inmitten solcher Natur steht - als dann doch ziemlich privilegiertes Einfamilienhaus für zwei Personen. Andererseits ist das Grundstück nun mal ein Baugrundstück und kein Naturreservat. Der fast schon temporär wirkende Bau kommt mit wenig Material aus, ist (einigermaßen, aber das ist dann bei so viel Glas eher relativ) um Energieeffizienz bemüht, aber vor allem: Nicht ein Baum ist dem Haus zum Opfer gefallen. Und eben auch kein einziger Vogel.

Vielleicht hätte der Biologe mal beim Architekten anrufen sollen, um sich zu vergewissern, dass sein berechtigtes Anliegen in diesem Fall nicht als substanzlose Wichtigtuerei rüberkommt. Den Horror einer tödlichen "Vogelfalle" plus "Massengrab" dort zu erkennen, wo drei Jahre lang nicht ein Vogel in die "Falle" geraten ist, ist für einen Forscher ein verblüffendes Forschungsergebnis. Naturschutz und Hysterie sollte man auseinanderhalten - der Natur zuliebe. Die Klima-Kleber machen auch gerade diese Erfahrung.

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