Geschichte:Die Weimarer Republik, ein überraschend leistungsstarker Staat

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Von wegen "Weimarer Verhältnisse": Die Republik war stark, modern und wehrhaft. Blick auf die Zuschauertribüne während der Abstimmung der Nationalversammlung 1919 über die Ermächtigung der Regierung Gustav Bauer (SPD) zur Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Das soeben eröffnete Haus der Weimarer Republik würdigt die erste deutsche Demokratie und hält fest: Ihr Ende war nicht unausweichlich.

Von Jens Bisky, Weimar

Wenn's kriselt, wenn die Arbeitslosenzahlen steigen oder die Wirtschaft schwächelt, wenn Nationalisten die menschliche Dummheit mobilisieren, Extremisten erstarken und aggressives Geschrei das öffentliche Gespräch dominiert, dann sprechen Kommentatoren gern von "Weimarer Verhältnissen". Sie rufen damit Bilder des Elends und der politischen Gewalt herauf, wie sie für die ersten und die letzten Jahre der Weimarer Republik charakteristisch waren.

Die Floskel taugt wohl allein zur Dramatisierung. Sie erklärt die Gegenwart nicht, hebt an der ersten deutschen Demokratie vor allem die Momente der Schwäche hervor, ohne die erstaunlichen Leistungen zu würdigen, sie verschleiert mit dem Hinweis auf die Verhältnisse die Niedertracht der Feinde, die mit Hetze, Rechtsbruch, Terror der Weimarer Republik den Garaus machten, Hitler an die Macht brachten.

Gegenüber vom Weimarer Nationaltheater, in dem vom 6. Februar bis 11. August 1919 die Deutsche Nationalversammlung tagte und am 31. Juli die Verfassung des Deutschen Reiches beschloss, hat in dieser Woche das Haus der Weimarer Republik seine Dauerausstellung eröffnet. Sie will nicht weniger, als die Rede von den "Weimarer Verhältnissen" selbst historisieren und die Republik als starke, wehrhafte, moderne Demokratie zeigen. Seit dem Jahr 2013 hat der Verein Weimarer Republik e.V. für diesen zentralen Erinnerungsort geworben und gearbeitet. Die ehemalige Remise am Theaterplatz ist dafür mit Mitteln des Bundes und der Stadt saniert worden, 2020 soll ein dreigeschossiger Neubau nach dem Entwurf Michael Mufflers hinzukommen. Er wird Platz für Wechselausstellungen, Veranstaltungen und eine Forschungsstelle bieten.

Auf dem arg begrenzten Raum im Altbau ist Erstaunliches gelungen. Durch eine Schleuse, in der Filmbilder an Schlachten und Schrecken des Weltkriegs erinnern, betritt man den Hauptsaal und schreckt kurz zurück vor der Fülle an Texten, Bildschirmen, Vitrinen, Reproduktionen, findet sich dann aber überraschend gut zurecht. In der Mitte informiert ein Zeitstrahl über wichtige Ereignisse, an den Wänden wird die Geschichte in thematischen Kapiteln erzählt: "Revolution und Aufbruch", "Republikanischer Alltag", "Labor der Moderne", "Weimar und die Welt", "Krisen und Bewährungen", "demokratische Visionen". Einige Objekte wurden in Vitrinen besonders inszeniert, etwa eine Wahlurne und eine Armprothese. An einer Hörstation kann man Rundfunkaufnahmen lauschen, etwa den Worten Friedrich Eberts bei seiner Vereidigung zum Reichspräsidenten oder einem Bericht von der Atlantiküberquerung eines Luftschiffs, das 1924 von Friedrichshafen nach New York flog.

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Eine ganze Wand ist Wahlplakaten vorbehalten. Da fordert der Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer, 1924 als Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegründet, zur Wahl einer der Parteien der Weimarer Koalition auf, also der Sozialdemokraten oder der Demokraten oder des Zentrums. Das Plakat zeigt Männer in Uniform, die Schutzschilder halten, zeigt Schwarz-Rot-Gold, die Farben der Republik und wirbt - womit sonst? - mit Immanuel Kant: "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein."

Ein anderes Plakat wirbt für die Teilnahme am Volksentscheid für die entschädigungslose Fürstenenteignung. Es stellt "zwei Arbeitslose" einander gegenüber. Links hilft der Tod einem Ausgezehrten, in der Dachkammer den Strick um den Balken zu binden, rechts tafelt ein Herr mit charakteristischem Bartwuchs, es ist der abgedankte, nach Holland entflohene Kaiser. Darunter steht: "Innerhalb zweier Stunden haben sich am 4. Mai in Berlin 5 Menschen aus Not das Leben genommen. - Innerhalb zweier Stunden erhält Wilhelm 168 Mark."

Viele Plakate, vor allem der Sozialdemokraten, wenden sich direkt an Frauen. Sie hatten 1919 zum ersten Mal wählen dürfen, die Verfassung schrieb Gleichberechtigung vor - wie sie überhaupt zahlreiche fortschrittliche Bestimmungen enthielt, die sich in anderer Formulierung auch im Grundgesetz wiederfinden.

Saniert mit Mitteln der Stadt Weimar und des Bundes: Das Museum in einer ehemaligen Remise. (Foto: dpa)

Neben den großen Erschütterungen der ersten Jahre, dem Spartakusaufstand, dem Kapp-Putsch, den Morden am Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und am Außenminister Walther Rathenau, neben der Belastung durch die heimkehrenden Soldaten - es waren 2,7 Millionen -, durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags und die Inflation, würdigt die Ausstellung auch die Demokratisierung im Alltag, die vielen Versuche, nach dem Zusammenbruch des morschen Kaiserreichs und der Kriegsniederlage etwas Neues zu beginnen. Da geht es um Schulen, die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung, republikanische Symbole und Feiertage, das Radio, die durchgreifende Elektrifizierung, die Filmindustrie, den Wohnungsbau, die Künstler der experimentierenden Moderne. Stellte man in Rechnung, dass zwischen dem Ende der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise nur fünf, sechs Jahre lagen, dann staunt man über die Leistungsfähigkeit der Republik.

Ihr Ende war nicht unausweichlich. Feinde, Verächter und Opportunisten, so heißt es in der Ausstellung, führten es in einem "Staatsstreich auf Raten" herbei. Preußen, der größte, der übergroße Gliedstaat des Deutschen Reichs, war unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun das Bollwerk der Republik, erfüllte seine, wie es der Historiker Hagen Schulze genannt hat, "demokratische Sendung". Erst als hier 1932 die NSDAP und die KPD die negative Mehrheit der Landtagsmandate errangen, schlug die Stunde all derer, die entschlossen auf eine autoritäre, vom Parlament unabhängige Diktatur der antirepublikanischen Eliten hinarbeiteten. Dazu gehörten die rechten Parteien, hohe Militärs in der Reichswehrführung, die großen Interessenverbände der Wirtschaft, die Entourage des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Er und der Reichskanzler Franz von Papen setzten - rechtswidrig - die geschäftsführende Regierung ab, Papen wurde Reichskommissar für Preußen, entfernte republikanisch gesinnte Beamte von ihren Posten, bereitete das Bündnis mit den Nationalsozialisten vor.

Mitarbeiter des preußischen Innenministeriums hatten seit Längerem Material über das Treiben der Hitler-Anhänger gesammelt und in einer Denkschrift nachgewiesen, dass die NSDAP eine kriminelle, terroristische Vereinigung war. Schon im Sommer 1930 überreichten sie ihre Denkschrift dem Ministerpräsidenten Otto Braun, der sie der Reichsregierung übergab und bat, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Es geschah nichts. Einer der Autoren hieß Robert Kempner. 1945 war er stellvertretender Hauptankläger der Vereinigten Staaten beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg.

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Haus der Weimarer Republik - Forum für Demokratie. Weimar, Theaterplatz 4. www.hdwr.de

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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