München:Männerbünde im Haus der Kunst
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Von Jörg Heiser
Kurz vor Weihnachten hat das Münchner Haus der Kunst sein Programm für das Jahr 2019 veröffentlicht, aber das, worüber sich zu sprechen lohnt, steht nicht drin. Zum Beispiel der Name der Amerikanerin Adrian Piper. Dass man die Übernahme der größten Retrospektive annulliert, die das New Yorker Museum of Modern Art je einer künstlerischen Persönlichkeit zu Lebzeiten ausgerichtet hat, bedarf in München offenbar keiner Erwähnung und Begründung mehr. Im vergangenen Juli war die Werkschau der Performance- und Video-Pionierin Joan Jonas - entwickelt mit der Londoner Tate Modern - abgesagt worden, damals hatte es diese Begründung noch per Presseerklärung gegeben. Grund seien Finanzprobleme, die aus "Managementfehlern der Vergangenheit" resultierten.
Über tatsächliche oder vermeintliche Fehler unter der Führung des früheren Direktors Okwui Enwezor, der im Juni 2018 seinen Vertrag vorzeitig beendete, ist ausführlich berichtet worden. Nun muss aber über das jetzige Management gesprochen werden. Was nämlich ebenfalls nicht im Jahresprogramm 2019 steht: dass eine Ausstellung mit Werken des deutschen Malers Markus Lüpertz, die statt Jonas und Piper neu ins Programm genommen wurde und im nächsten September eröffnet, ein seltsames Déjà Vu auslöst, das mit Bernhard Spies zu tun hat, kaufmännischen Direktor und derzeit alleinigen Leiter des Hauses der Kunst. Spies war 2008 an die Bundeskunsthalle in Bonn geholt worden, ebenfalls, um eine finanzielle Schieflage zu bereinigen. Ein Jahr später fand dort ebenfalls eine Lüpertz-Schau statt. Danach wurde eine große Rosemarie-Trockel-Ausstellung ohne Begründung abgesagt. Eine Entscheidung, die - so sagen mehrere Quellen übereinstimmend - von Spies seinerzeit gefällt worden sein soll, als der damalige künstlerische Leiter Robert Fleck gerade im Krankenhaus lag. Als die Joan-Jonas-Absage in München verkündet wurde, lag Okwui Enwezor ebenfalls im Krankenhaus.
Auf eine schriftliche Anfrage der Süddeutschen Zeitung antwortete die Pressestelle des Hauses der Kunst erst nach Wochen. Ihre Version: Aufgrund der etwa eine Million Euro, die das Haus der Kunst Ende 2017 überschuldet gewesen sei, hätten dem deutschen Insolvenzrecht folgend "für 2018 und 2019 nur Aufträge erteilt werden" können, "für die eine ausreichende Liquidität zur Verfügung steht (Going Concern). Für die Durchführung der Ausstellungen mit Werken von Joan Jonas und Adrian Piper standen keine liquiden Mittel zur Verfügung." Auf die Frage, warum man nicht versucht habe, die Ausstellung über Drittmittel zu finanzieren, heißt es: "Da zusätzliche Mittel nach dem Gesetz zunächst in den Schuldendienst geflossen wären, haben sich keine Sponsoren gefunden, die die Schulden des Haus der Kunst übernehmen wollten."
Nur: Warum sind im Gegensatz dazu Mittel für die Lüpertz-Schau vorhanden? Gibt es in diesem Fall eine Finanzierung durch Dritte? Die Antwort: "Über die Finanzierung einzelner Ausstellungen gibt die Haus der Kunst gGmbH grundsätzlich keine Auskünfte." Der Chef der "Stiftung für Kunst und Kultur e.V. Bonn", der Kunstmanager Walter Smerling, bestätigt hingegen per Email, man habe sich bereit erklärt, "die Markus Lüpertz-Ausstellung nach Kräften zu unterstützen. Wenn das notwendige Budget bekannt ist, werden wir unsere Mitglieder ansprechen und um entsprechende Unterstützung bitten".
Okwui Enwezor ist, wie er im Gespräch mit der SZ sagt, alles andere als glücklich über die Entwicklung. "Das Vakuum ist die Krise", sagt er - das Machtvakuum nach seiner Demission und der des Chefkurators Ulrich Wilmes, der zum Oktober 2018 ebenfalls das Haus verließ. Es gebe keine "intellektuelle Leitung" mehr im Hause; die Leere werde gefüllt mit "illiberalen und intransparenten Entscheidungen", die darauf abzielten, seine Zeit am Haus in möglichst schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Ulrich Wilmes wiederum sagt im Gespräch unumwunden, dass der Grund für seine Bitte um vorzeitige Verrentung - eigentlich erst im Juni 2019 fällig - die mit ihm nicht abgesprochenen Absagen von Jonas und Piper gewesen seien. Das Haus der Kunst dementiert dies: "Beim Ausscheiden von Herrn Dr. Wilmes handelt es sich um ein Ausscheiden in die Altersrente", heißt es.
Adrian Piper, die seit über zehn Jahren in Berlin lebt und die Trägerin des Käthe-Kollwitz-Preises ist, schreibt auf Anfrage: "Ich hätte nie gedacht, dass eine Institution des Rangs eines Hauses der Kunst keine Skrupel haben würde, eine so willkürliche, dabei die Öffentlichkeit betreffende Entscheidung zu fällen. Das Verhalten von Herrn Spies gegenüber Okwui, dann gegenüber der Ausstellung von Joan und meiner scheint mir einem gänzlich fehlenden Bewusstsein um den unprofessionellen Eindruck geschuldet zu sein, den dies bei Kollegen in der Kunstwelt hinterlässt."
In einer knappen englischsprachigen E-Mail, mit der Spies in offizieller Funktion als kaufmännischer Direktor am 28. August die Piper-Ausstellung gegenüber dem MoMA absagte (und deren Wortlaut der Süddeutschen Zeitung vorliegt), wird dies mit der finanziellen Situation des Hauses begründet; die Absage sei unumgänglich aufgrund des "misguided development in the past". Erstaunlich: aus den "Managementfehlern", von denen bei Jones noch die Rede war, wird nun pauschal eine "Fehlentwicklung" des Hauses "in der Vergangenheit". Aber selbst die so sachliche wirkende Formel von der Absage aus Kostengründen verbirgt mehr, als sie offengelegt. Geht es wirklich allein um Geld? Oder nicht doch auch um die Kunst? Anders ausgedrückt: Erliegt man unter Sparzwang der Versuchung, die Symbolpolitik der Kunst in eine andere Richtung zu treiben?
Nichts gegen Lüpertz und Immendorff. Aber ist das schon ein zeitgemäßes Programm?
An den betriebswirtschaftlichen Kompetenzen von Bernhard Spies bestehen keine Zweifel. Allerdings stand ihm in Bonn ein Vielfaches an jährlichen Zuwendungen aus öffentlicher Hand zur Verfügung, ein Jahresetat von zuletzt 16,7 Millionen Euro nämlich, während er am Haus der Kunst im Jahr 2017 mit rund sieben Millionen Euro auskommen muss. Auch an einer Markus-Lüpertz-Schau ist nichts auszusetzen und eine kurzfristig ins Programm genommene Ausstellung der Schweizer Malerin Miriam Cahn ist ebenso respektabel wie eine mit Installationen des in Chicago lebenden Theaster Gates - isoliert betrachtet. Aber die Zuständigkeit eines kaufmännischen Direktors hört da auf, wo die des künstlerischen anfängt: Ein Programm ist genau darin ein Programm, dass man dessen Elemente nicht isoliert betrachtet, sondern in der Zusammenschau.
Und in der Zusammenschau offenbart sich die Schlagseite, die all das aufs Spiel setzt, was Enwezor, aber auch seine Vorgänger Chris Dercon und Christoph Vitali erreicht hatten. Denn dass zwei der bedeutendsten Museen der Welt - die Londoner Tate Gallery und das MoMA - ein relativ niedrig budgetiertes Ausstellungshaus ohne Sammlung überhaupt als Partner anerkennen, ist keine Selbstverständlichkeit. Solche Kooperationen sagt man nicht zweimal hintereinander ab, anstatt sie zu verschieben und dadurch Zeit zu gewinnen, um diese Projekte doch noch auskömmlich zu finanzieren.
Wobei die politisch Handelnden auf unglückliche Weise ständig wechselten. In seiner wohl größten Krise hat das Haus der Kunst innerhalb eines Jahres zwei Ministerpräsidenten und gleich drei verschiedene zuständige Minister erlebt. Dennoch hätte ein aufmerksamer Aufsichtsrat des Hauses der Kunst - dem der Minister qua Amt vorsitzt - hellhörig werden müssen bei den erwähnten Ausstellungsabsagen. Auch, weil sich mit Lüpertz statt Piper und Jonas nach der aktuellen Jörg-Immendorff-Ausstellung eine Kontinuität mit Beigeschmack ergibt: Der Großgalerist Michael Werner - der die meisten Exponate zur Imendorff-Ausstellung als Sammler, Galerist und Verwalter des Nachlasses beigesteuert haben soll - und der Bonner Kunstmanager Walter Smerling sind mit beiden Künstlern verbunden. Werner vertritt 17 ausschließlich männliche Künstler, darunter Lüpertz und Immendorff. Für eine internationale Großgalerie ist das heutzutage schon eine ungewöhnlich stramme Form der Homosozialität.
Walter Smerling wiederum hat mit seiner Stiftung für Kunst und Kultur e.V. schon mehrfach die Städte Bonn und Salzburg mit Lüpertz-Skulpturen im Außenraum bestückt. Auch bei der Stiftung tauchen nur vereinzelt Künstlerinnen unter einer überwältigenden Zahl von - meist in den 1980ern bekannt und groß gewordenen - Kunstmännern auf. Dass diese beiden nun die Lüpertz-Ausstellung "nach Kräften unterstützen" wollen, ist ehrenwert. Doch wenn man bedenkt, welche Ausstellungen dafür abgesagt wurden, kann man sich schwer des Eindrucks erwehren, dass unter der derzeitigen Führung des Hauses der Kunst die Möglichkeiten, neben dem Einsparen auch Drittmittel aufzutun, selektiv wahrgenommen werden. Vielleicht ist das noch keine Strategie, aber es wirkt, als kehre man zurück zu den bewährten Figuren, die vor allem deutsch sind und männlich.
Man kann sich dieses Eindrucks auch deshalb nicht erwehren, weil es im vergangenen Jahr auch an anderen Stellen in eine solche Richtung lief: Beispielsweise bei einer Gruppenausstellung zum Thema Verschwörungstheorien "Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung" im Düsseldorfer NRW-Forum, die vergangenen Sommer einen Protestbrief mit über 1000 Unterschriften auslöste, weil auf der Künstlerliste fast ausschließlich weiße Männer standen.
All das erinnert an eine Einsicht der Schriftstellerin und Feministin Silvia Bovenschen. In Bezug auf Frauenrechte bemerkte sie 2013: "Es gibt kein Abonnement auf Fortschritt. Selbst das, was schon erreicht wurde, kann unter verengten ökonomischen Bedingungen ganz schnell wieder zurückgenommen werden. Das ist ein Kampf, den man ständig führen muss." Das ist kein Appell nur an die Kunst. Denn die Politik hat zwar die Verantwortung, in ihrer Aufsichtsfunktion für kaufmännisch solides Management in öffentlichen Kulturinstitutionen zu sorgen. Aber genauso muss sie dafür sorgen, dass diese kaufmännische Seite nicht auf das Künstlerische übergreift und herausragende kulturelle Leistungen einer kleingeistigen Bevorzugung des vermeintlich Bewährten opfert.