Museum in Wien:Zeitreise ohne Hitler-Balkon

Museum in Wien: Michael Schantl war Aufseher bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955. Mit seinem Sohn schnitzte er aus den Korken der Sektflaschen die Protagonisten nach.

Michael Schantl war Aufseher bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955. Mit seinem Sohn schnitzte er aus den Korken der Sektflaschen die Protagonisten nach.

(Foto: Markus Guschelbauer)
  • Das "Haus der Geschichte Österreich" zeigt die jüngere Historie des Landes.
  • Zum ersten Mal wird in Wien die Zeitgeschichte in einer Gesamtschau präsentiert.
  • Aber fast hätte ein Parteienstreit das Haus der Geschichte verhindert.

Von Peter Münch, Wien

Die Österreicher", so hat es der begnadete Aphoristiker Alfred Polgar einst gesagt, "sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt." Als Quell der Selbstbestätigung und wenn nötig auch -verleugnung hat die Historie demnach vor allem fürs Wohlbefinden zu sorgen, und wer die marmorne Prachtstiege in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz hinaufsteigt zum neuen "Haus der Geschichte Österreich", dem kann es tatsächlich ganz warm ums Herz werden angesichts all der imperialen Pracht ringsum. Drinnen in den Ausstellungsräumen allerdings sollte man sich auf ein paar Temperaturstürze gefasst machen.

Schließlich zeigt das Museum, das am Samstag zum Jubiläum der Ausrufung der Republik vor 100 Jahren eröffnet wird, die jüngere Historie des Landes in all ihrer Ambivalenz. Endlich, und nach ewigem Tauziehen. Denn Österreich hat sich nicht nur lange schwergetan mit der Aufarbeitung seiner Geschichte, sondern auch mit seinem Haus der Geschichte.

"Aufbruch ins Ungewisse - Österreich seit 1918" lautet der Titel der Eröffnungsausstellung, die mit einem kühnen Konzept und sehr viel Liebe zum Detail überzeugt. 100 bewegte Jahre werden in sieben Themenschwerpunkten zum Wandel von Demokratie und Gesellschaft aufgearbeitet. Als chronologische Achse dient eine 60 Meter lange Bilderwand, an der man ein Jahrhundert Geschichte abschreiten kann.

Das führt vom Kaiser zu den Kanzlern, vom großen Reich zum kleinen Staat. Erfolge werden präsentiert und Rückschläge. Ein Kalendereintrag von Sigmund Freud zu den November-Ereignissen von 1918 ist zu sehen, ein Stück des Stacheldrahts vom Eisernen Vorhang und auch das Glitzerkleid, in dem Conchita Wurst 2014 den Eurovision Song Contest gewann.

Ein "Aufbruch ins Ungewisse" ist diese Eröffnung allerdings auch noch für die Museumsmacher, allen voran für die Direktorin Monika Sommer. Erst im Februar 2017 wurde sie berufen, und mit einem kleinen Team hat sie Beachtliches geleistet. Doch eröffnet wird das Museum trotzdem erst einmal nur als Provisorium. "Das ist der Nukleus, aus dem sich das Neue entwickelt", sagt sie. "Als ich hier angetreten bin, war nicht klar: Ist das eine Institution oder eine Ausstellung. Nun gibt es die klare politische Zusage, dass es weitergehen soll."

Aufs Erreichte und nicht aufs Erhoffte konzentriert sich auch Oliver Rathkolb, Chef des wissenschaftlichen Beirats und Professor für Zeitgeschichte an der Wiener Universität. Seit vielen Jahren ist er die treibende Kraft hinter dem Museumsprojekt. Die Eröffnung, sagt er, sei "unter den Rahmenbedingungen fast ein Wunder".

Die Geschichte des Hauses der Geschichte bietet selbst genug Stoff für eine Ausstellung

Immerhin wird nun zum ersten Mal in der österreichischen Hauptstadt die Zeitgeschichte in einer Gesamtschau präsentiert. Das ist in jedem Fall bereichernd eingedenk der Tatsache, dass die weltberühmte Museumsstadt Wien bislang als Anlaufstellen für historisch Interessierte vor allem die Sisi-Schau in der Hofburg und eine kommerzielle Touristenattraktion namens "Time-Travel" zu bieten hatte. Ein Haus der Geschichte füllt da also eine wirklich klaffende Lücke, zumal Rathkolb mit wachsender Sorge auf Umfragen verweist, denen zufolge die historische Erinnerung immer marginaler wird. "Wir stehen vor einem total geschichtsvergessenen Jahrzehnt", warnt er, "das ist erschütternd."

Angst vor der "roten Geschichtsauslegung"

Dabei böte die verworrene Geschichte des Hauses der Geschichte mittlerweile selbst genug Stoff für eine Ausstellung - oder für "einen Krimi", wie die Direktorin Sommer meint. Nachdem jahrzehntelang folgenlos über Konzepte debattiert worden war, durchschlug der damalige SPÖ-Kulturminister Josef Ostermayer 2015 den gordischen Knoten, bestimmte die Neue Burg zum Museumssitz und legte auch gleich das Republiksjubiläum im November 2018 als Eröffnungstermin fest.

Gut ein Jahr und einen Kanzlerwechsel später strich sein ebenfalls von der SPÖ bestallter Nachfolger das Konzept allerdings drastisch zusammen. Statt der ursprünglich kolportierten 30 Millionen Euro gab es für das Haus der Geschichte nun nur noch rund zehn Millionen. Die Ausstellungsfläche wurde von 3000 auf 750 Quadratmeter reduziert. Außen vor blieb dadurch auch der sogenannte Hitler-Balkon in der Neuen Burg, der als historischer Ort der Anschlussverkündung 1938 eigentlich ins Museum hätte einbezogen werden sollen. Und dann gab es im vorigen Dezember noch einen Regierungswechsel hin zur ÖVP-FPÖ-Koalition, die das gesamte Projekt unter neue Vorbehalte stellte.

Denn wie fast alles in Österreich war auch das Haus der Geschichte umtost vom Strudel des Parteienstreits. "Erinnerungspolitik" lautet das Stichwort. Aus Angst vor einer "roten Geschichtsauslegung" wurde von der ÖVP meist torpediert, was die SPÖ vorlegte. Das ging so weit, dass die Konservativen als Antwort auf die SPÖ-Pläne für Wien ein Parallelprojekt in ihrer Hochburg Niederösterreich vorangetrieben haben, wo unter dem Patronat der ÖVP-Landesregierung schließlich schon 2017 ein erstes Haus der Geschichte in St. Pölten eröffnet wurde. Die Provinz hat also vorgelegt, nun zieht die Hauptstadt nach.

Mit Blick auf diese leidigen Konflikte stellt Sommer klar, dass sie ihr Wiener Haus der Geschichte als "ganz klar überparteilich" definiert. Ein "wichtiger Reibebaum" soll das Museum sein. "Ich weiß, dass immer allen Seiten etwas gefällt oder missfällt." Besonderes Augenmerk fällt da auf jene Zeit, deren Bewertung bis heute umstritten ist zwischen den Lagern. Es sind die Jahre vor dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, die je nach Sichtweise als "Austrofaschismus" oder als "Ständestaat" bezeichnet werden. Im Museum wird diese Zeit "erstmals", wie die Direktorin betont, nach den beiden damaligen Kanzlern als "Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur" gelabelt.

In der darauffolgenden NS-Zeit werden die Österreicher nicht nur im Widerstand oder als Opfer gezeigt, sondern auch als Täter, zum Beispiel anhand der Biografie von Maria Mandl, Oberaufseherin in Auschwitz-Birkenau, die 1948 als Kriegsverbrecherin in Krakau gehängt wurde - und trotzdem bis 2017 offiziell in Österreich als NS-Opfer geführt wurde.

Diese Jahre der Düsternis sind für Sommer ein "Herzstück" der Ausstellung. Die Botschaft: "Demokratie muss gelernt werden." Zur Erinnerung, wie kontrovers und schmerzhaft dieser Lernprozess ist, steht im Museum vier Meter hoch auch das vom Bildhauer Alfred Hrdlicka 1986 entworfene Holzpferd, das auf die NS-Verstrickung des Bundespräsidenten Kurt Waldheim verweist und das Ende des österreichischen Opfermythos symbolisiert.

Die Eröffnung ist nur ein Anfang. Manche denken schon an eine Erweiterung oder einen Neubau

Die Eröffnung ist für Sommer ein "absoluter Meilenstein". Nun aber geht es darum, die nächsten Schritte zu planen. Der neue Kulturminister Gernot Blümel von der ÖVP hat bei einer Pressekonferenz zwei Wochen vor der Eröffnung für einige Irritationen gesorgt, weil er das Haus der Geschichte recht überfallartig in "Haus der Republik" umtaufen und das Museum ans Parlament anbinden will. Rathkolb steht beidem skeptisch gegenüber, wertet aber die Äußerung immerhin "als ersten Versuch der Regierung, das Projekt fortzusetzen, auch wenn sie noch keine klaren Ideen dazu hat". Angekündigt hat Blümel die Einberufung einer Kommission, die "langfristige Perspektiven" für das Museumsprojekts entwickeln soll.

Rathkolb fordert, "dass die Republik sich hier nicht lumpen lassen darf". Sommer wünscht sich "eine Erweiterung der Fläche innerhalb der Neuen Burg oder einen Neubau, am besten am Heldenplatz". Die Museumseröffnung, die am Samstag mit einem großen Fest gefeiert wird, gibt ihnen so viel Rückenwind, dass sie nun sogar mit Zuversicht in die Zukunft blicken.

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