Harvey Weinstein:Ende eines Kinobiests

Harvey Weinstein: Der Produzent Harvey Weinstein, der Erfolge wie „Der englische Patient“ und „Pulp Fiction“ möglich machte, ist eine der schillerndsten Figuren in Hollywood. Sein Fall erschüttert jetzt die ganze Filmbranche.

Der Produzent Harvey Weinstein, der Erfolge wie „Der englische Patient“ und „Pulp Fiction“ möglich machte, ist eine der schillerndsten Figuren in Hollywood. Sein Fall erschüttert jetzt die ganze Filmbranche.

(Foto: Valery Hache/AFP)

Die Weinstein Company beurlaubt ihren 65-jährigen Gründer auf unbestimmte Zeit - wegen Vorwürfen jahrzehntelanger sexueller Belästigungen.

Von Susan Vahabzadeh

Harvey Weinstein ist so ziemlich die schillerndste Figur, die es im Kinobetrieb der vergangenen drei Jahrzehnte gab - berühmt für seine Rüpelhaftigkeit, aber auch dafür, mit Leidenschaft voranzutreiben, woran er glaubte. Endlose Geschichten sind über ihm in Umlauf, wie jene, als er die Regisseurin des Frida-Kahlo-Biopics "Frida" anbrüllte und dann ihren Mann, er solle sie gefälligst verteidigen, damit er ihn verprügeln könne.

Solche Anekdoten gibt es zuhauf. Viele davon stehen in "Down and Dirty Pictures", Peter Biskinds Geschichte des Independentkinos, die 2003 erschienen ist, und in einem ausführlichen Porträt, das der New Yorker im Jahr zuvor über Weinstein veröffentlicht hatte. Darin bestand er darauf, wenn man ihn schon mit einem verrückten, aggressiven Hollywoodmogul der ersten Stunde vergleiche, dann bitte mit dem künstlerisch produktiven "Vom Winde verweht"-Produzenten David O. Selznick. Und nicht mit dem Columbia-Gründer Harry Cohn, dem es immer nur ums Geld ging. Als umgängliche Zeitgenossen galten beide nicht. Weinsteins Schicksal gleicht jetzt aber dem des MGM-Chefs Louis B. Mayer: Am Wochenende wurde er aus seiner eigenen Firma gefeuert.

Wer ihm sexuelle Belästigung vorwarf, wurde ausbezahlt - acht Fälle sind bekannt

Zusammen mit seinem Bruder Bob gründete Weinstein einst Miramax Films, die er an Disney verkaufte, danach seine neue Firma, The Weinstein Company. Im Filmgeschäft kennt "Harvey" jeder, und nicht nur wegen seiner großen, von ihm entscheidend beeinflussten Arthouse- und Oscarerfolge, von "Sex, Lügen und Video" über "Der englische Patient" bis zu "Silver Linings Playbook", von "Pulp Fiction" bis zu "The King's Speech". Genauso wichtig war sein Auftreten - ob in der Lobby des "Majestic" in Cannes oder im Garten des "Hotel des Bains" in Venedig. Wenn Weinstein auch nur in der Nähe war, bekam man das mit. Das ging früher so weit, dass auch europäische Filmjournalisten auf Festivals wussten, ob Weinstein gerade wieder versuchte, mit dem Rauchen aufzuhören - wenn ja, war ein ausreichender Sicherheitsabstand durchaus angezeigt.

Das alles scheint nun vorbei zu sein, nachdem sich die Meldungen über Weinstein in den vergangenen Tagen jagten. Da erschien in der New York Times eine Enthüllungsreportage, in der etwas stand, was offensichtlich sehr viele Leute schon die ganze Zeit wussten: Für Frauen war ein Sicherheitsabstand immer angezeigt, egal, in welcher Gemütsverfassung der Mogul gerade war. Schauspielerinnen, Models und weiblichen Angestellten aus Weinsteins Filmfirmen, so war zu lesen, hätten im Lauf der Jahre von zahlreichen sexuellen Übergriffen und Belästigungen berichtet. Achtmal habe sich Weinstein nach solchen Vorfällen außergerichtlich mit Frauen geeinigt. Unter anderem soll er der Schauspielerin Rose McGowan 100 000 Dollar bezahlt haben, um Stillschweigen über nicht näher ausgeführte Hotelzimmer-Begebenheiten auf dem Sundance Festival zu erkaufen, die stattfanden, als sie 23 Jahre alt war.

Die Vorwürfe in der "New York Times" reichen für ein Karriereende aus

Die Schauspielerin Ashley Judd gab der New York Times dagegen Auskunft. Sie berichtet von einem "Arbeitsfrühstück" 1997, bei dem sie auf Weinsteins Hotelzimmer geschickt wurde, wo er ihr die Alternativen anbot, sich von ihm massieren zu lassen oder ihm beim Duschen zuzugucken. Über's Wochenende, nach dem Erscheinen der Reportage, haben noch sehr viel mehr Frauen im Netz ihre Weinstein-Erfahrungen geteilt. Ob das alles so passiert ist? Die Vorwürfe in der New York Times reichen für ein Karriereende aus. Weinstein will das Blatt nun verklagen - was sich als schwerer Fehler erweisen könnte. Bislang bleiben die acht Fälle, in denen Geld geflossen ist, aufgrund unterschriebener Schweigeverpflichtungen einigermaßen nebulös. Im Fall einer Klage aber könnten die acht Frauen vom Gericht von ihren Vereinbarungen entbunden werden. Ist sich Weinstein sicher, dass die Fälle, in denen er Frauen ausbezahlt hat, nicht schlimmer sind als Ashley Judds Geschichte mit dem Bademantel und der Dusche?

Weinstein hat der New York Times ein Statement gegeben - darin verweist er auf sein Engagement gegen Donald Trump und für Waffenkontrollgesetze, beteuert, sich psychologisch helfen zu lassen - und verweist darauf, er entstamme einer Zeit, in der die Kultur am Arbeitsplatz eine andere war. Die meisten Männer, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren auch schon im Berufsleben unterwegs waren, würden vermutlich irritiert zurückweisen, dass die Selbstentblößung vor weiblichen Angestellten damals zur Kultur gehörte - das war auch vor dreißig Jahren nichts, was irgendwer stolz der Familie beim Abendbrot erzählt hätte. Es hat aber etwas mit Hollywood zu tun, wo diese Art des Machtmissbrauchs in den wilden Zwanzigern so weit verbreitet war wie in den prüden Fünfzigern. Die New York Times verweist eher angeekelt darauf, dass Weinstein einen Dokumentarfilm über sexuelle Übergriffe in Colleges produziert hat, für Hillary Clinton Wahlkampf machte und einen Universitätslehrstuhl im Namen der Feministin Gloria Steinem finanziert. Das spricht ihn nicht frei. Es heißt vor allem - er hätte es besser wissen müssen.

Und alle anderen? Donald Trump versucht gerade, sogar aus dem Fall Weinstein eine Demokraten-Geschichte zu machen. Das wäre sie aber nur dann, wenn man annehmen müsste, auch jemand wie Hillary Clinton oder der Senator Chuck Schumer, die Spenden von Weinstein angenommen haben, von Weinsteins Verhalten wussten. Die meisten Demokraten haben inzwischen angekündigt, aktuelle Weinstein-Spenden an Frauenrechtsorganisationen weiterzuleiten.

Politiker können plausibel auf ihre Ahnungslosigkeit verweisen - Insider der Filmbranche allerdings kaum. Weinsteins Verhalten, so die New York Times und die Branchenblätter, war durchaus bekannt. "Wir Frauen haben untereinander schon lange über Harvey gesprochen", sagte Ashley Judd der Times - aber fast nichts drang an die Öffentlichkeit. Der New Yorker etwa ging 2002 in seinem Weinstein-Porträt durchaus in die Tiefe und ins Detail, doch von sexuellen Übergriffen ist da nicht die Rede, nicht einmal als Andeutung. Offenbar hat niemand bis zur vergangenen Woche den Mut bewiesen, sich tatsächlich öffentlich zu den Vorwürfen zu äußern.

Das sagt etwas aus über eine ganze Branche. Dass so viele Frauen für Weinstein gearbeitet haben, obwohl man ihnen der Times zufolge geraten habe, in seiner Gegenwart einen Parka zu tragen, ist ganz schön traurig. Dass es über Jahrzehnte hinweg - der letzte Fall, in dem es aktuell geht, soll 2014 geschehen sein - keinen in Hollywood gab, der seine eigene Macht genutzt hat, um Weinstein das Handwerk zu legen, ist mehr als das. Sexuelle Ausbeutung kommt in der Branche als Filmstoff vor, wenn üblen Triebtätern das Handwerk gelegt wird. In der Wirklichkeit, so scheint es, wird sie dort nicht weiter geahndet - solange die Ergebnisse an den Kinokassen stimmen. Es ist ja nicht so, als wäre niemand in Hollywood mächtiger gewesen als Weinstein. Aber selbst seine Feinde räumten ein, dass er einen sicheren Instinkt für gute Stoffe hatte - und ein untrügliches Gespür für Marketing. Seine Filme manövrierte er, auch dann, wenn sie nicht preisverdächtig waren, mit Energie und Intriganz in Festival-Programme und Oscar-Nominierungslisten. Das imponierte allen. Er hat so auch dazu beigetragen, dass in Hollywood Strategien und Kampagnen wichtiger wurden als die eigentlichen Filme. Das passt sehr gut zu einer Branche, die seit Jahren jede Preisverleihung, wie im September bei den Emmys, dazu nutzt, große Verbalgesten zu Frauenrechten in die Welt zu setzen - zu Harvey Weinstein aber erst Position bezieht, wenn es gar nicht mehr anders geht.

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