Harvey Keitel:Aggressiv und fies

Schauspieler Harvey Keitel

Schauspieler Harvey Keitel 2015 in Cannes.

(Foto: dpa)

Das Handwerk bringt einen weit, aber von einem gewissen Punkt an muss man sich als Schauspieler auch dem Mysterium anvertrauen: Harvey Keitel wird 80.

Von Fritz Göttler

Er war das Opfer einer der großen Fehlbesetzungen des neuen amerikanischen Kinos, in Francis Coppolas "Apocalypse Now", dem wüstesten Projekt der Siebziger, sollte er den Captain Willard spielen, einen altgedienten Vietnamsoldaten, der in den Dschungel geschickt wird, ins Herz der Finsternis. Eine Fahrt, in deren Verlauf sein eigenes Ich in Stücke bricht, die er nie wieder zusammensetzen können wird. Nach zwei, drei Wochen Dreh ersetzte Coppola Harvey Keitel durch Martin Sheen, den er dann behielt, auch als der einen Herzinfarkt bekam. Mit dem Dschungel als Gegenspieler tun sich auch Method-Akteure schwer.

Keitels erste Kinofilme waren Zusammenarbeiten mit Martin Scorsese gewesen, erst "Who's That Knocking at My Door?", dann "Mean Streets" und "Alice lebt hier nicht mehr", schließlich "Taxi Driver". Im ersten Film macht er ein wenig Marty nach, er sitzt neben der netten Zina Bethune auf einer Bank und wartet auf die Ankunft der Fähre, und fängt an, ihr von "Schwarzer Falke" zu erzählen, vom Komantschenhäuptling Scar, in dem großen Western von John Ford, der in allen frühen Filmen der jungen amerikanischen Filmemacher herumspukt. Jeder sollte Western mögen, ist das Fazit dieser Unterhaltung. In Taxi Driver ist Keitel dann selbst ein New Yorker Scar, als kleiner Zuhälter, der die junge Jodie Foster auf den Strich schickt. Er hat eine dichte schwarze Indianermähne, die unter seinem Gangster-Borsalino vorquillt. Robert De Niro, in seinem rigorosen Säuberungswahn, knallt ihn nieder, um das Mädchen zu retten und ihren Eltern zurückzugeben.

Seine Method-Herkunft hat Harvey Keitel schon immer stark gedämpft, in den frühen Scorsese-Filmen zumal, wenn De Niro neben ihm den jungen Wilden gibt. In "Mean Streets" ist Keitel in der New Yorker Jungs-Gang der besonnenste, er treibt für seine Mafiaverwandtschaft Gelder ein und sieht in seinem hellblauen Anzug fast wie ein Geschäftsmann aus. Scorsese hat ihn in den Achtzigern wieder geholt für "Die letzte Versuchung Christi", als Judas, und auch in "The Irishman", Scorseses neuer Netflix-Produktion, ist er nach dreißig Jahren wieder dabei.

Keitel fühlt sich wohl in Gruppenfilmen - "Buffalo Bill and the Indians" von Robert Altman, "Reservoir Dogs" von Quentin Tarantino, "Blue Collar" von Paul Schrader, und "Smoke" vor allem, von Wayne Wang, Drehbuch Paul Auster. Wenn Keitel mal aggressiv und wirklich fies ist, dann auf Drängen seiner verrückten Regisseure, von James Toback oder Abel Ferrara, in "Fingers" oder "Bad Lieutenant". Als fanatischer Pianist terrorisiert er die Gäste eines Lokals mit seinem Kassettenrecorder, "Summertime Summertime" von The Jamies, "the most musically inventive Song of 1958", als koksender, mit seinen Baseballwetten immer danebenliegender Cop schikaniert er zwei Mädchen, die keinen Führerschein haben.

Ab einem gewissen Punkt muss man sich dem Mysterium anvertrauen

In "Smoke" ist Keitel Auggie, der einen kleinen Tabakladen hat in New York, von dem er täglich ein Foto macht, immer zur gleichen Stunde, vom gleichen Platz aus. Die neue Zeit ist schon zu ahnen, die digitale, es ist, als sollten die Bilder in ihrer Materialität die Zeit, ihr Vergehen, ihr Geheimnis noch einmal erfassen. Der kontemplative Keitel. Einen solchen Vorausblick auf digitale Medienproduktion, auf das Sterben der Bilder hatte es auch in Bertrand Taverniers "Der gekaufte Tod" gegeben, Ende der Siebziger. Keitel lässt sich darin winzige Aufnahmegeräte in die Augen einsetzen, und macht sich an eine Frau ran, Romy Schneider, die todkrank ist, um ihr Sterben für alle Welt zu dokumentieren, live.

Das Handwerk kann einen schon weit bringen, hat Harvey Keitel einmal erklärt, aber von einem gewissen Punkt an müsse man sich dem Mysterium anvertrauen. Bei den Marines habe er gelernt, mit der Angst umzugehen, Erfahrungen, die Coppola gehofft hatte, für "Apocalypse Now" verwenden zu können. Es gibt das mit Keitel gedrehte Material noch, hat Walter Murch, Coppolas treuer Mitarbeiter, erzählt, aber er habe sich nicht getraut, es anzuschauen. Sichtbar ist seine Kunst in den über 150 Filmen, die Keitel beendete. Und allen kommenden. Am Montag wird er erst mal 80.

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