Süddeutsche Zeitung

Hartmut Esslinger über Apple:Immer Ärger mit der Geschäftsführung

Der Industriedesigner Hartmut Esslinger erinnert sich an seine Zeit mit Steve Jobs und erklärt die frühen Jahre bei Apple. Kein weiteres Buch, um einem genialen Menschen zu huldigen - sondern ein Lehrbuch über kluges, strategisches Design.

Von Michael Bitala

Apple hat den iPod erfunden, das iPhone, das iPad. Allein diese drei Geräte, die zwischen 2001 und 2010 auf den Markt gekommen sind, erklären den Ruf des Konzerns, besonders innovativ zu sein. Was aber, wenn schon 1968 ein Gerät gebaut wurde, das dem iPad sehr ähnlich sieht und sich nur darin unterscheidet, dass es am unteren Ende des Bildschirms eine Tastatur hat? Was, wenn das iPhone 2007 gar nicht so revolutionär war, wie es damals schien, sondern die Prototypen dafür schon vor Jahrzehnten entstanden sind? Und was, wenn es seit 1983 eine iWatch gibt und sie seitdem bei Apple in der Schublade liegt?

Das "iPad" von 1968 heißt eigentlich "Dynabook" und stammt von Alan Kay. Er hat es ausschließlich für Kinder entworfen und deshalb sollte es intuitiv zu bedienen sein. Eine Eigenschaft, die Steve Jobs - der Alan Kay später zu Apple holte - als Gesetz formulierte: Genial einfach sollten die Geräte sein, sodass kein Mensch mehr eine Bedienungsanleitung braucht, um einen Home-Computer, eine Maus, eine Tastatur, einen Drucker und später eben einen iPod, ein iPhone oder ein iPad zu benutzen.

Viele Manager sehen Design nur als Kosmetik

"Genial einfach" heißt auch das Buch über die frühen Design-Jahre bei Apple. Es stammt von Hartmut Esslinger, dem deutschen Industrie-Designer, der nicht nur den Farbfernseher von Wega (1969) entworfen hat, sondern auch Kameras, Stereoanlagen und - nicht zuletzt dadurch wurde er berühmt - den Apple IIc von 1984. Ein Meisterwerk, für das Esslinger damals den Design-of-the-Year-Award des Time Magazins gewann. Esslinger hat viele Jahre lang eng mit Steve Jobs zusammengearbeitet und später mit ihm auch den legendären "Cube" von Next entwickelt, mit dem Tim Berners-Lee das World Wide Web erfinden konnte.

Esslinger gehört seit Jahrzehnten zu den weltweit wichtigsten Industriedesignern, er hat nicht nur die Designsprache von Apple entworfen, sondern auch Taschen, Motorräder, Zahnarztstühle, die Kreuzfahrtlinie von Disney, Software für SAP und das Erscheinungsbild von Windows XP. Deshalb mag es den gebürtigen Schwarzwälder und heutigen amerikanischen Staatsbürger durchaus grämen, dass seine Leistung für den frühen Erfolg von Apple oft nur am Rande oder gar nicht erwähnt wird. Dabei ist es unbestritten, dass Esslingers Sprache sich auch heute noch in den aktuellen Produkten des Apple-Chefdesigners Jonathan Ive findet. Wer durch die letzten Seiten seines Buchs blättert, ist fasziniert davon, wie sehr die heutigen iMacs, MacBooks, iPads und iPhones den Geräten ähneln, die Esslinger zusammen mit Jobs Anfang der Achtzigerjahre entwickelt hat.

Wie visionär das alles damals war, zeigt sich im Vergleich zu anderen Geräten dieser Zeit. Computer waren meist unförmige, graue, komplizierte Kästen, die nur Nerds zum Laufen brachten, und für Menschen, die heute Privatanwender genannt werden, nicht wirklich zu gebrauchen waren. Der Apple IIc hingegen ist hell, freundlich, klein - schlicht von zeitloser Schönheit, auch wenn es, so Esslinger, beim Design nicht um Schönheit geht. "Für mich war der Apple IIc ein kleines Wesen mit künstlicher Intelligenz", erzählt er, "das war eine komplett neue Dimension von Mensch-Maschine. Man kann ihr sagen, mach mal das, mach mal das. Und sie macht das dann. Das ist absolut faszinierend, das regt Kreativität an."

"Genial einfach" zeigt nicht nur all die frühen Produkte und Prototypen, die Esslinger mit Jobs entworfen hat, der Designer erklärt auch, welche Motivation, welche Ziele sie hatten, als es an die Arbeit ging. Und je länger man die Entstehungsgeschichten liest, desto deutlicher wird, dass Apple alles andere war als ein Paradies für wagemutige, visionäre Designer. Deutlicher: Apple war ein Schlachtfeld. Jobs war bekannt für seine Wutausbrüche, das Management arbeitete gegen ihn und irgendwann waren die Fronten so verhärtet, dass sich Jobs 1985 gegen die Geschäftsführung geschlagen geben und gehen musste.

Die Wut über das damalige Management, über den Rauswurf des Apple-Mitbegründers zeigt sich noch heute bei Hartmut Esslinger, und sie kumuliert in so schönen Sätzen wie: "In den meisten Firmen passen sich die Mitarbeiter der Unfähigkeit ihrer Chefs an."

Erstaunlich daran ist, dass Esslinger auch mit 69 Jahren nicht zur Ruhe kommt. Wenn man ihn persönlich trifft, ist er voller Groll auf Manager, und auch in diesem Buch gibt es fast keine Seite, auf der er nicht erklären muss, dass die meisten Geschäftsführer Kleingeister sind, die nicht wissen, welche zentrale Rolle das Design bei der Entwicklung von Produkten spielt. Die meisten Manager, so Esslinger, verstünden Design nur als Kosmetik ("Lipstick for a pig"), was ein verhängnisvoller Trugschluss sei. Denn wenn erst einmal die Techniker und Marketing-Leute das Sagen haben, könne man den Erfolg eines Unternehmens vergessen. Sie hätten nämlich keine Ahnung von dem, was sie überhaupt verkaufen wollen. Bestes Beispiel für Esslinger, natürlich, Apple: Nach dem Rauswurf von Steve Jobs ging die Firma fast pleite, weil sich die Geschäftsführung nur noch auf das Verkaufen konzentrierte und nicht wusste, wie man gute Produkte entwickelt. Jobs kehrte zurück, rettete die Firma, der Rest ist Geschichte.

Esslingers "Genial einfach" ist aber trotz der offenkundigen Bewunderung für Steve Jobs und dem Groll auf die frühere Geschäftsführung nicht einfach ein weiteres Buch, um einen genialen und lange verkannten Menschen zu feiern, es ist viel mehr ein Lehrbuch über kluges, strategisches Design, das immer auch zur Aufgabe hat, sich zu überlegen, wie die Welt in 30 Jahren aussieht. Wenn man sich die sehr vielen Fotos in diesem Werk ansieht, Bilder von 1970, 1980, dann merkt man sehr schnell, dass bei vielen Firmen strategisches Design keine große Rolle spielt. Selbst heute noch, 2014, gibt es sehr viele Konzerne, deren Geräte zwar die neueste Technik haben, aber aussehen wie schlechte Kopien von vor 30, 40 Jahren.

Da hatten Hartmut Esslinger und Steve Jobs schon Anfang der Achtziger mehr Zukunft im Kopf als die meisten Manager, Techniker und Marketingleute heute.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2014
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