Harry Belafonte:"Ich habe früh erkannt, dass ich Macht habe"

Harry Belafonte, einer der größten Enterteiner des letzten Jahrhunderts, ist mittlerweile nur noch als Unicef-Botschafter auf Tour. Ein Gespräch über Macht, Verschwörungen und fehlende Schwermut.

Rebecca Casati

Harry Belafonte wurde am 1. März 1927 in Harlem, New York, als Sohn eines Seemanns und einer Hausfrau geboren. Seine Mutter schickte ihn als kleinen Jungen zu seinen Großeltern nach Jamaica, wo er zur Schule ging und die Calypso-Musik entdeckte, die ihn später, zurück in New York, als Sänger so berühmt machen sollte. Was Belafonte in seinem Leben anpackte, gelang: Er verkaufte Millionen von Platten, war erfolgreich als Schauspieler und als Filmproduzent, er war Mitorganisator des Projekts "USA for Africa", eine Vereinigung von Künstlern, die mit dem Titel "We are the World" Millionen für Afrika sammelte. Er wurde von Bill Clinton mit der "National Medal of Arts" ausgezeichnet und galt als scharfer Kritiker von George Bush. Er ist seit Jahren Botschafter für Unicef und lebt mit seiner zweiten Frau in New York.

Harry Belafonte

"Wir Künstler überlassen die Initiative leider viel zu häufig den Studiobossen, den Werbeleuten, der Industrie": Harry Belafonte machte als einer der ersten Entertainer Walhwerbung für John F. Kennedy.

(Foto: AP)

Lesen Sie einen Auszug aus einem Interview mit der SZ am Wochenende vom 12.03.2011.

SZ: Mister Belafonte, seit meiner Kindheit verfolgt mich die Zeile "Come Mister Tallyman, tally me Banana".

Harry Belafonte: Der Banana Boat Song! Ich habe ihn selber zum ersten Mal als Kind gehört. Ich bin in Jamaica aufgewachsen, komme aus einer Familie von Feldarbeitern. Musik erleichterte ihnen die schwere Arbeit. Sie kannten Tausende Lieder, sangen Tag und Nacht. Und eines davon war der Banana Boat Song. Auf den besann ich mich später, als Künstler in New York. Ich erinnerte mich daran, dass er so vielen Menschen Freude bereitet hatte. Und so war es wieder.

(...)

Das Lied hat eine sehr lustige Melodie. Aber es handelt ja eigentlich von etwas Traurigem. Sieht irgendjemand auch mal die Schwermut darin?

Niemand. Nicht mal ich. Es macht fast allen guten Laune. Und mich erinnert es an meine schöne Kindheit.

Ist vielleicht eine sehr europäische Sichtweise.

Kein Zweifel, das Lied beschreibt traurige Zustände, Arbeiter, die nachts schwere Lasten tragen und sich mit Rum wachhalten müssen. Aber darüber zu singen, macht die Menschen glücklich, auf vielerlei Weisen. Wenn Sie heute in Amerika auf irgendein Sportevent gehen - bei unserer Version von Fußball, beim Baseball, definitiv beim Basketball - wird in allen Stadien Day-O gesungen. Es ist zum Triumph-Song, zum Schlachtruf geworden für Leute, die ihr Team anfeuern.

(...)

Schon früh haben Sie Ihre enorme Popularität für soziale Belange wie die Bürgerrechtsbewegung eingesetzt.

Wir Künstler überlassen die Initiative leider viel zu häufig den Studiobossen, den Werbeleuten, der Industrie. Ich habe früh erkannt, das ich die Macht habe. Dass so viele Millionen von Menschen mochten, was ich machte, war mein Glück; und meine beste Verteidigungswaffe.

Seit 1956 verband Sie eine enge Freundschaft mit Martin Luther King. Später organisierten Sie sogar gemeinsam den legendären "Civil Rights March" in Washington.

Das stimmt. Wir waren Gefährten.

Auf YouTube kann man einen Spot aus dem Jahr 1960 sehen, in dem Sie für den Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy werben. War es damals schon üblich, dass Stars sich für politische Belange oder Kandidaten einsetzen?

Überhaupt nicht. Vielleicht war ich sogar der erste, der Wahlkampfwerbung machte.

JFK hatte sich Ihnen als erster genähert, oder?

Oh ja. Er war sehr spezifisch, in dem was er von mir wollte: die Stimmen der schwarzen Wähler. Ich sollte ihn in Kontakt bringen mit den Einflussträgern der Black Community. Leuten, die mich kannten und die mir und dem, was ich sagte, vertrauten. Ich sagte zu Kennedy: Sie wollen also die schwarzen Stimmen? Dann empfehle ich Ihnen, sich wirklich mit den Anliegen der Schwarzen in diesem Land auseinanderzusetzen und eine Plattform zu schaffen, auf der man sich ihrer Sache annehmen kann; ich glaube, dann würden Sie all die Prominenten der Black Community kriegen, die Sie sich wünschen ... Wir verhandelten unsere Beziehung regelrecht in diesem Gespräch.

(...)

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Belafonte erleichtert war, als er erfuhr, wer für den Tod von John F. Kennedy verantwortlich war.

"Ich glaube jede Verschwörungstheorie"

Ahnten Sie irgendwie, dass Sie dem zukünftigen Präsidenten gegenübersitzen? Hatte JFK ein Charisma der Macht, des Erfolges?

Oh ja. Genau wie sein Bruder Bobby. Die ganze Familie hatte es. Aber Hitler hatte es auch. Es ist nicht a priori etwas Gutes.

Was für eine Art Mann waren Sie damals? Sehr selbstbewusst? So klingt es nämlich.

Ich fühlte mich schon damals sehr wohl mit dem, was ich tat. Weil ich wusste, wofür ich es tat. Ich habe gegen Armut, gegen Rassismus, Sexismus, Apartheid gekämpft, und ich habe dafür nicht immer nur Beifall bekommen. Man hat mich als Kommunisten bezeichnet, was ich nicht bin, aber das in Amerika nun mal das allerschlimmste Schimpfwort ist. Kommunist, Sozialist, Moslem, Christ, all diese Titel... Ich habe sehr früh begriffen, dass man sich dem nicht beugen oder unterordnen muss. Dass man keine Angst davor haben muss, seine Meinung und seine Überzeugungen gegen andere zu vertreten. In diesem Sinne, ja, bin ich sehr selbstbewusst.

Sie waren einer der Stars, die am 20. Januar 1961 bei John F. Kennedys Amtseinführungsgala auftreten durften. Wie war die Stimmung an diesem Abend?

Die Atmosphäre war einfach . . . einfach unbeschreiblich. Nicht nur hatte unser aller Champion gewonnen. Ein Zeitalter der Hoffnung, der neuen Werte hatte begonnen. Für alle. Ich glaube, ich habe seitdem nie wieder einen solchen Abend erlebt.

(...)

Als im November 1963 in Dallas John F. Kennedy ermordet wurde...

... war ich grade mit meiner Freundin Melina Mercouri in Paris auf dem Set unseres Films Topkapi. Wir waren absolut überrascht. Noch herrschte Unklarheit über den Täter, und meine große Angst in dem Moment war, dass es sich um einen zornigen Schwarzen handeln könnte. In diesem Fall wäre es wahnsinnig gefährlich in unserem Land geworden. Ich bin also mit dem nächsten Flieger zurück nach Amerika, um mich mit Doktor King und unseren Mitstreitern auf den Moment vorzubereiten, an dem bekannt wurde, wer das getan hatte. Dann wurde er präsentiert: Lee Harvey Oswald. Und in gewisser Weise war ich erleichtert, weil daraus keine rassistischen Übergriffe von wütenden Weißen gegen Schwarze resultieren konnten.

Glauben Sie an irgendwelche Verschwörungstheorien bezüglich Kennedys Tod?

Ich glaube jede einzelne.

Sie waren so nahe dran an den Geschehnissen und Strömungen dieser Zeit. Meinen Sie, es ist heute noch irgendjemand am Leben, der die Wahrheit kennt?

Ich weiß nicht. Es wird natürlich mit jedem Jahr unwahrscheinlicher, ich glaube aber, es gibt Orte, an denen die Wahrheit niedergelegt ist. Die Frage ist, ob jemand sie findet. Aber ich sage Ihnen was: Ich brauche gar keinen eindeutigen Beweis, keine Bestätigungen. Ich bin kein Wissenschaftler und muss nichts beweisen. Was ich weiß, ist, dass damals ein Klima herrschte, das es den Menschen sehr leicht machte, zu dem Schluss zu kommen: Es ist das bequemste, unbequeme Stimmen zum Schweigen zu bringen. Diese Gesinnung - If not the Ballot, then the Bullett -finden Sie auch heute wieder, bei der Tea-Party-Bewegung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Belafonte das Erbe Martin Luther Kings fortführen wollte.

"Ich jage der Wahrheit hinterher"

Im April 1968 wurde Martin Luther King erschossen. Dieses Mal waren Sie nicht überrascht; Sie hatten sogar eine Lebensversicherung für ihn abgeschlossen.

Ja, schließlich hatte man vorher versucht, ihn umzubringen. Er wurde beispielsweise von einer schwarzen Frau in Harlem mit einem Messer attackiert, Und wenn Dr. King nur einmal geniest hätte in der Zeit nach dem Attentat, wäre er gestorben; so nah ging der Einstich an seinem Herzen vorbei. Ich erkannte in diesem Moment, wie verletzlich, und wusste, wie arm Dr. King war. Ich wollte seine Kinder, seine Familie absichern. Also schloss ich diese Police ab. Die Versicherung wollte sich erst weigern. Aber ich hatte schon so viel Geld bei ihnen gelassen, für meine Filme, mein Haus, die Angestellten meiner Firma, dass sie sich nicht leisten konnten, mich zu verlieren.

Martin Luther King war kein strategischer Freund, wie Kennedy. Sie müssen am Boden zerstört gewesen sein, nachdem er ermordet wurde.

Verzweifelt. Aber nicht zerstört. Und dann noch überzeugter davon, dass sein Erbe fortgeführt werden muss. Wenn plötzlich so ein Klima entsteht, wenn alle möglichen Figuren sterben, ermordet werden, dann hat man lichte Momente, kann das Geschehen zurückverfolgen, sieht die Ereignisse im Zusammenhang und erkennt, dass die Regierungen dahinterstecken. Es geht nicht nur um die Akteure, die in Amerika ermordet wurden, sondern auch um die im Rest der Welt. Heute weiß man, dass es Kissinger war, der die Erlaubnis für die Intervention gab, dass Allende getötet werden konnte, oder dass die CIA sehr tief verwickelt war in das Attentat auf Lumumba in Afrika... Es geht bei all dem nicht um individuelle Verschwörungen, sondern um eine große, eine gesamtgesellschaftliche, kulturelle.

Das glauben Sie wirklich?

Ich glaube, es ist klüger so zu denken, als nicht so zu denken.

Sie engagieren sich unermüdlich für so viele Belange auf der Welt. Ganz simpel: Wie halten Sie sich auf dem Laufenden? Sind Sie ein News-Junkie?

Absolut. Ich jage der Wahrheit hinterher, ich muss viel lesen und viele Meinungen einholen, um besser in der Lage zu sein, die Korrektheit einer Position in ihrer Totalität zu überprüfen. Schauen Sie sich die verschiedenen Phasen an, die ich miterlebt habe: Deutschland wurde wiedervereinigt - ohne Blutvergießen. Der Kommunismus und seine unterdrückerischen Protagonisten mussten abtreten. Der Wechsel jetzt in Kairo ist von Millionen friedlicher junger Leute eingeleitet worden. Dr. King und Gandhi und die anderen hatten nicht nur recht, sie haben den historischen Kurs der Menschheit geändert. Und wir haben heute mehr denn je Grund, an sie zu glauben: an die Macht der Gewaltfreiheit.

Das ganze Interview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 12.03.2011.

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