Süddeutsche Zeitung

Harrison Ford:"Ich bin aus dem gleichen ollen Scheiß gemacht wie jeder andere auch!"

Harrison Ford soll in Berlin eigentlich für "Blade Runner 2049" werben. Stattdessen philosophiert er über "Star Wars" und die Rolle des Han Solo.

Von Tanja Rest

Als klar war, dass er die Sache nicht länger aufschieben konnte, zog er sich in eines der vielen Zimmer seiner Ranch in Wyoming zurück; so jedenfalls erzählt er es. Er erwog kurz, ob er sich einen Drink gönnen sollte, und entschied dann, dass er ihn hinterher vielleicht dringender brauchen würde. Er schob die DVD rein. Dann sah sich Harrison Ford zum ersten Mal seit über 30 Jahren "Blade Runner" an.

Also, Mr. Ford, wie war das? "Der Film hat sich gut gehalten, finde ich, er wirkt immer noch frisch." Nun ja, aber wie haben Sie sich selbst gesehen nach so langer Zeit? Waren Sie betreten, erleichtert oder vielleicht sogar - gerührt? Er schaut einen an mit einem Blick, den man als nachsichtig bezeichnen muss. "Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll." Nein...? "Nein. Ich habe mir den Film noch einmal angesehen, um zu überprüfen, ob ich die verschiedenen Elemente der Geschichte noch richtig in Erinnerung hatte. Das war alles."

Nach jedem unterstückten Gähnen haut er auch einen trockenen Gag raus

Man trifft ihn in einer Ecksuite im Hotel Adlon und ist erst mal hin- und hergerissen zwischen ihm und der Aussicht. Brandenburger Tor, zum Greifen. Er knurrt: "Ich starre seit Stunden auf dieses Ding. Nehmen Sie meinen Stuhl, dann schau ich zur Abwechslung die Wand an."

Harrison Ford ist im Juli 75 geworden. Er wirkt jünger, aber es ist auch nicht so, dass man die Hände überm Kopf zusammenschlagen würde von wegen, wo hat der Mann nur die Jahre gelassen? Tiefe Furchen in seinem Gesicht, das struppige graue Haar etwas lichter als früher, der Gang ganz schön steifbeinig, jedenfalls für einen Immer-noch-Actionhelden. Er ist unübersehbar sterbensmüde, weil er mitten in der Werbetour für "Blade Runner 2049" steckt (Filmstart 5. Oktober) und von einem Land zum nächsten jettet, überall dieselben Fragen, dieselbe Verehrung. Er spricht seeehr laaangsam. Aber nach jedem unterdrückten Gähnen haut er einen trockenen Gag raus, sein Auftreten insgesamt: grimmig-nett, mit ansatzlosen Ausflügen in den Slapstick, sobald er Ehrfurcht wittert.

Bei der Pressekonferenz am Vormittag hat er seinen Co-Star Ryan Gosling beharrlich Brian genannt. Ford: "Als ich das Script gelesen habe, wusste ich sofort, Brian -" Gosling: "Ryan". Ford: "...Ryan muss das spielen. Ich habe die Produzenten angerufen, und sie meinten: Du kommst zu spät. Wir haben schon mit Brian geredet." Pause, Lacher. Ford: "Sie sagten: Ehrlich gesagt haben wir mit ihm geredet, bevor wir mit dir geredet haben." Pause, Lacher. "Da wusste ich, wo ich stehe." Das ist Ford pur. Auf dem Filmplakat steht er vorne, aber Gosling ist größer. Man fragt ihn, ob sich da ein Haufen Leute möglicherweise sehr lange den Kopf zerbrochen haben. Er sagt: "Warum? Brian ist größer."

Es gibt zwei Dinge, die man besser wissen sollte vor einem Harrison-Ford-Interview, erstens: Er nimmt seine Arbeit ernst, nicht aber sich selbst. Zweitens: Er ist nahezu frei von Sentimentalität. Sein ewiges Schicksal ist es, dass ihm die meisten Menschen als Fans gegenübertreten. Sie sind nicht mal zwangsläufig fanatische Harrison-Ford-Verehrer. Aber sie sind sehr wahrscheinlich Fans von Indiana Jones oder Han Solo. Als Ford, 30 Jahre nach "Star Wars: Die Rückkehr der Jedi-Ritter", seine erste Szene für "Star Wars: Das Erwachen der Macht" drehte, lief das komplette Team am Set zusammen. Der ergraute Han Solo, wie er mit gezückter Laserpistole an Bord des Millennium-Falken stürmt und seinem alten Kumpel Chewbacca ein kurzatmiges "Chewie, we're home" zuraunt: Die Filmleute hatten Tränen in den Augen vor Rührung. Ernsthaft, man kann sich das anschauen. Anschließend sollte Ford in die Kamera sagen, wie er selbst den Moment empfunden habe, er brummelte: "Ich bin froh, dass das Kostüm noch passt."

Man hat sich vorgenommen, ihn nicht nach Han Solo zu fragen.

Jetzt also das nächste Ding, ähnliches Kaliber: 35 Jahre nach Ridley Scotts Dystopie "Blade Runner" macht Ford als Rick Deckard abermals Jagd auf Replikanten. Das ist nicht irgendeine Fortsetzung. Dass "Blade Runner" zu den wichtigsten Werken der Kinogeschichte gehört, ist unter Cineasten ein so heiliges Dogma, dass es Sodbrennen auslösen kann. Jedenfalls hat man angesichts der anwesenden circa 179 Filmkritiker ständig das Gefühl, den Satz "Aber Ridleys Storytelling war doch stellenweise recht krude!" aufstoßen zu müssen. Einfach mal so, um zu sehen, was passiert.

Seine Miene drückt Leidensbereitschaft aus

Für die unfassbare Bedeutung von "Blade Runner" spricht auch, dass der Tag in Berlin ein dystopisches Erlebnis in sich ist. Im Sony-Center geht man durch einen Scanner und wird ausführlicher abgetastet als eben am Flughafen, drinnen im Kino läuft dann aber nicht der fertige Film, sondern nur ein halbstündiger Zusammenschnitt. Hinterher muss man eine Vereinbarung unterschreiben, dass man über das Gesehene nicht berichten wird. Dann wird die Interviewzeit zusammengestrichen. Am Ende dieser Unterweisung in die eigene Amöbenhaftigkeit wartet dann tatsächlich Harrison Ford, der wahrscheinlich auch keinen rasend lustigen Tag hatte. Seine Miene drückt Leidensbereitschaft aus: Bringen wir's hinter uns - mit etwas Glück haben wir ein wenig Spaß dabei. Na dann.

Er ist seit vier Jahrzehnten im Geschäft und hat in einigen der umsatzstärksten Filmen aller Zeiten mitgespielt. Als Schauspieler ist er immer dann besonders gut, wenn seine Figur die Kontrolle verliert; der private Ford hat die Zügel lieber in der Hand, was bedeutet: Die Öffentlichkeit weiß bitte so wenig wie möglich über ihn. Wenn er die Ehefrau wechselt, sich am Set die Knochen bricht (2014: "Raumschiff-Tür fällt auf Fuß von Star") oder mit einem seiner sieben Flugzeuge unterwegs ist (2015: "Ford crasht auf Golfplatz"; 2017: "Beinahe-Zusammenstoß mit Boeing"), dann landet das natürlich trotzdem in den People-Spalten. Für alles andere muss man schon ziemlich tief ins Archiv steigen.

Ford privat ist seit sieben Jahren mit Calista Flockhart verheiratet, der Ally aus "Ally McBeal". Fünffacher Vater, vielfacher Großvater, der mit den Enkeln und Calistas Sohn auf seiner Ranch Vogelhäuschen baut, Kreuzworträtsel löst und was man sonst so macht, wenn man den eigenen Kindern kein Superdaddy war, weil man ein Superstar werden konnte. Er setzt sich für die Befreiung Tibets ein und engagiert sich so leidenschaftlich für den Umweltschutz, dass eine Ameise nach ihm benannt ist, Pheidole harrisonfordi, immerhin. Ins Kino geht er so gut wie nie. Wenn er beim Fernsehen auf sich selbst stößt, sagt er, schaut er ein paar Minuten zu, dann zappt er weiter. "Einmal, ich stand gerade in der Küche und habe Abendessen gemacht, höre ich meine neunjährige Tochter schreien: ,Mommy, Mommy, was ist mit Daddys Gesicht passiert?' Im Fernsehen lief einer meiner alten Filme - und das ist auch schon zwanzig Jahre her."

Er grinst dieses hinreißend schiefe Harrison-Ford-Grinsen, das, wie er später erklärt, mechanische Gründe hat. Als Vierjähriger ist er aus dem Bett auf die Heizung geknallt, seither kriegt er den linken Mundwinkel nicht mehr richtig hoch. Er sagt: "Das Alter passiert. Ich bin aus dem gleichen ollen Scheiß gemacht wie jeder andere. Es ist okay." Nicht auszuschließen, dass er hinter der ruppigen Fassade einen glücklichen Menschen verbirgt.

Ein Rätsel vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Fortsetzungen. Es sind drei. 2015: sein vierter "Star Wars". 2017: sein zweiter "Blade Runner". Für 2019 geplant: sein fünfter "Indiana Jones"! Warum tut er sich das an? Wozu immer noch die alten Rollen, wo er ihnen doch so wenig abgewinnt und längst mit so vielen Flugzeugen abstürzen kann, wie er will?

Passenderweise fangen auf dem Handy-Mitschnitt exakt an dieser Stelle die Störgeräusche an. Er hat sich das Telefon, das eben noch auf dem Tisch lag, geschnappt, dreht es in den Händen, legt es schließlich vor sich auf den Stuhl. Schweigt. Man beglückwünscht sich dazu, ihn offenbar ein wenig aus der Fassung gebracht zu haben. Dann sagt er: "Habe ich wirklich nur vier ,Star Wars'-Filme gedreht?"

Soll das ein Witz sein?! "Nein, ich erinnere mich nicht, ich dachte, es waren fünf. Wie viele Teile gibt es denn inzwischen?" Äh, im Dezember kommt Teil acht. "Teil acht!" Großartig, wie sich erst totale Verblüffung und schließlich Erleichterung auf seinem Gesicht breitmacht. "Na egal, ich bin ja tot." Mausetot, in der Tat. Seit ihn George Lucas Mitte der Siebziger auf dem Studiogelände von 20th Century Fox auflas, wo er sich als Zimmermann über Wasser hielt, und ihm die Rolle des Weltraumpiraten gab, ist es bekanntermaßen Fords große Ambition gewesen, Han Solo sterben zu sehen. Er musste vierzig Jahre warten, dann jagten ihm die Drehbuchschreiber endlich ein Laserschwert ins Herz.

Man hat sich wirklich fest vorgenommen, ihn nicht nach Han Solo zu fragen.

"Wollen Sie wissen, was mich an Han Solo so gestört hat?" Also gut.

"Alle anderen, Prinzessin Leia, Luke Skywalker, alle haben lange Geschichten. Man weiß, wo sie herkommen, wer ihre Eltern sind. Aber Han Solo! Hat keine Mama. Hat keinen Papa. Glaubt nicht an die Macht. Seine einzige Aufgabe ist es, zur Macht bekehrt zu werden. Er ist wie ein Gewürz in einer Küche - je nach Rezept schüttest du ein bisschen was dazu." Er ballert das todernst so raus. Er hätte wirklich mehr Komödien drehen sollen. "Aber ich sage Ihnen was: Ich hasse ,Star Wars' nicht. Sondern das ist einfach mein Job. Es ist das, was ich tue. Die Leute wollen wissen, wie es mit Han, Indiana Jones, den Replikanten weitergeht? Bitte, ich arbeite gern. Und ich versuche, es so gut wie möglich zu machen."

Einmal im Leben hätte man Harrison Ford anrufen können. Einfach so.

Schau an. Da ist sie also doch noch, die Antwort, und passenderweise ist es nicht die Antwort eines Künstlers. Sondern die eines Zimmermanns. Nachdem er schon so lange raus ist aus der Branche: Könnte er denn noch sagen, worauf es bei einem gut gemachten Tisch ankommt?

Ford steht auf und stakst auf ein Möbelstück zu, vom dem man nicht weiß, ist es ein Tisch, ist es eine Kommode, ist es vielleicht ein Sekretär; ein Möbel, das in einer Suite mit Blick aufs Brandenburger Tor vermutlich dem alleinigen Zweck dient, da zu sein und die Seidentapete nicht leer aussehen zu lassen. Er klopft auf den Punkt, wo ein zierliches Bein auf die Nussbaumplatte trifft; der Mitschnitt ist an dieser Stelle unverständlich, da sich das Handy inzwischen in seiner Sakkotasche befindet. Er hat es eingesteckt. Was er sagt, klingt aber fachmännisch. Und dann kommt sowieso die Pressefrau, und das Interview ist rum.

Ach, Mister Ford? "Ja?" Mein Handy. Es befindet sich in Ihrer Jackentasche. "Was? Moment mal... Tatsächlich!" Zu doof eigentlich. Einmal im Leben hätte man Harrison Ford einfach so anrufen können.

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SZ vom 30.09.2017/jdhz
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