Süddeutsche Zeitung

"Harriet" im Kino:Von Freiheitskampf zu Krippenspiel

Harriet Tubman ist in den USA eine Legende, sie befreite Hunderte Sklaven. Dass ihre Geschichte erst jetzt verfilmt wurde, sagt viel über Hollywood aus - genau wie einige Dramatisierungen im Film.

Von Nicolas Freund

Ein Biopic über Harriet Tubman scheint eigentlich eine sichere Sache zu sein: Hunderten Schwarzen soll die Freiheitskämpferin unter dem Decknamen "Moses" Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Flucht aus der Sklaverei geholfen haben, später setzte sie sich für die Rechte von Frauen ein und kämpfte im amerikanischen Bürgerkrieg für die Nordstaaten, unter anderem als Befehlshaberin einer Einheit schwarzer Soldaten und als Kundschafterin. Davor war sie selbst aus der Gefangenschaft in den Südstaaten geflohen und hatte sich mithilfe der "Underground Railroad" bis nach Philadelphia durchgeschlagen, um sich dort den Gegnern der Sklaverei anzuschließen.

In den USA ist Harriet Tubman eine Legende, in ein paar Jahren könnte sie, wenn die Trump-Administration es nicht noch irgendwie verhindert, gleichzeitig die erste Afroamerikanerin und die erste Frau sein, die auf einer Dollarnote abgebildet wird. Vielleicht sind aber gerade diese Superlative ein Problem für eine Hollywood-Verfilmung, die ja immer noch etwas draufsetzen muss.

Dass sich die Regisseurin und Drehbuchautorin Kasi Lemmons einige Freiheiten für "Harriet - Der Weg in die Freiheit" genommen hat, ist selbstverständlich. Filme müssen als Filme funktionieren und sich nicht pedantisch an jedes historische Detail klammern. Auch Überhöhungen und Dramatisierungen tun vielen Filmen erst mal gut. Das wird erst zum Problem, wenn der Film behauptet, auf wahren Begebenheiten zu basieren, dann aber mehr als nur ein paar Details geändert werden, und wenn die Dramatisierung zum bloßen Selbstzweck wird.

War Harriet Tubmans Leben nicht spektakulär genug?

In Hollywood-Filmen ist es üblich, dass der Held einen fiesen Gegenspieler hat. Das schafft klare Verhältnisse, sorgt für Spannung und bricht auch komplizierte Beziehungen auf ein einfaches Schema herunter. Nun sind die Verhältnisse in der Sklaverei nicht gerade kompliziert.

Für "Harriet" hat man sich trotzdem als Gegenspieler Gideon, den Sohn des Plantagenbesitzers, ausgedacht. Ein blonder Schnösel, mit dem Harriet zusammen aufgewachsen ist, den sie als Spielkameraden kennenlernt, der sich aber als ebenso brutaler Sklavenhalter wie sein Vater entpuppt. Erfunden oder nicht, ist das eigentlich eine interessante Figurenkonstellation.

Dieser Gideon wirkt dann aber gerade wegen des einfachen Gut-böse-Schemas, zu dem solche Produktionen tendieren, zu flach, um mehr zu sein als der hasserfüllte Plantagenbesitzer. Es kommt sogar zu einer Art Showdown-Kampf mit ihm, wie in einem Superheldenfilm. Das wirft die Frage auf, ob den Machern das Leben Harriet Tubmans nicht spektakulär genug erschien.

Es kann eigentlich sehr gut funktionieren, den historischen Stoff der Sklaverei und des Abolitionismus bis ins Fantastische zu überhöhen: Colson Whitehead und Ta-Nehisi Coates haben das in ihren Romanen über den Kampf gegen die Sklaverei getan, Jordan Peele hat mit "Get Out" und "Us" Rassismus in die Konventionen des Horrorfilms übersetzt, Quentin Tarantino hat das Thema mit "Django Unchained" in seinen eigenen, übertriebenen Stil integriert, und "Black Panther" hat es geschafft, ein politischer Superheldenfilm zu sein, als wäre das etwas Selbstverständliches. "Harriet" dagegen ist zu zaghaft, weicht von den historischen Fakten ab und findet keine Ästhetik, die über banalste Hollywood-Lösungen hinausgeht.

Es sagt viel über Hollywood aus, diese Geschichte erst jetzt zu verfilmen

In der ersten Hälfte ist das noch spannend und mitreißend, wenn den Sorgen und Entbehrungen der Schwarzen viel Raum gegeben wird und man mit Harriet auf der Flucht mitfiebert. Das liegt vor allem an Cynthia Erivo, der es gelingt, ihrer Harriet Tubman zugleich wilde Entschlossenheit und tiefe Verzweiflung in den Blick zu legen.

Manche Nebenfiguren und Kostüme erinnern dagegen eher an ein Krippenspiel, und der Film kann die Spannung und Dramatik dieser ersten Flucht nicht aufrechterhalten, wenn er in der zweiten Hälfte viel zu stark rafft und Jahre überspringt. Das ganze Leben Tubmans in gut zwei Stunden zu packen, ist vielleicht doch etwas zu viel des Ehrgeizes gewesen. Manche Flucht, zu der Tubman anderen Sklaven verhilft, wirkt dann wie ein kurzer Spaziergang im Wald. Auch, weil die weißen Sklavenjäger manchmal so tölpelhaft dargestellt werden, dass der Film fast ins Komische kippt.

Gewalt zeigt der Film an eigenartiger Stelle. Die Brutalität der Sklavenhalter spart er meistens aus, dafür wird eine schwarze Sklavereigegnerin in Philadelphia brutal erschlagen, was den Süden, wo die Gewalt gegen Schwarze eigentlich an der Tagesordnung war, in diesem Film eigenartig friedlich erscheinen lässt.

Es verrät viel über Hollywood, dass das Leben Harriet Tubmans erst jetzt fürs Kino verfilmt wurde, obwohl es sich wie wenige andere Biografien dafür anbietet. Der fertige Film macht diesen Eindruck aber nicht besser. Sicher, "Harriet" ist gut gemeint. Aber bei dieser überfälligen Verfilmung scheint das Vertrauen in den Stoff einer schwarzen Emanzipationsgeschichte, die eng mit der Geschichte der Vereinigten Staaten verwoben ist, nicht besonders groß gewesen zu sein.

Ausgerechnet der Film über eine zentrale Figur des Abolitionismus wirkt neben anderen Filmen und Romanen aus den letzten Jahren sehr mutlos, als habe man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und einen Film produzieren wollen, der im Klassenzimmer, im Wohnzimmer und im Multiplex gleichermaßen funktioniert. Mindestens in Teilen Hollywoods, scheint es, traut man der Geschichte einer schwarzen Frau noch immer nicht zu, einen Film zu tragen, der etwas mehr wagt.

Harriet, USA 2019 - Regie: Kasi Lemmons. Buch: Gregory Allen Howard und Kasi Lemmons. Kamera: John Toll. Mit: Cynthia Erivo, Leslie Odom Jr., Joe Alwyn. Universal, 125 Minuten.

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SZ vom 09.07.2020/coko
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