Harald Schmidt in "Hamlet"-Musical:Bimmel und Bommel in Helsingör

Schunkelselige Mausefalle: Harald Schmidt lässt in seiner Stuttgarter "Hamlet"-Sause keinen Platz für Experimente. Das Ergebnis ist eine pappsüße Klangsoße.

Christopher Schmidt

Von wegen Dirty Harry: Lieb und lustig und eben allzu clean ging Harald Schmidts "Hamlet"-Musical "Der Prinz von Dänemark" bei der Premiere über die Showbühne im Stuttgarter Staatsschauspiel. Keine durchgeknallte Shakespeare-Dekonstruktion mit geschliffenen Pointen oder dem anarchischen Aberwitz der Monty Pythons, sondern nur der harmlose Schabernack einer Strumpfhosen-Sause für die ganze Familie. Schunkelige Schmunzelparade und Knallchargen-Karaoke mit Party-Krachern der siebziger und achtziger Jahre - Hits, die auch beim Gewerkschaftsschwof das Dach abheben.

Harald Schmidt in "Hamlet"-Musical: Entertainer Harald Schmidt im Hamlet-Musical "Der Prinz von Dänemark" am Stuttgarter Staatsschauspiel.

Entertainer Harald Schmidt im Hamlet-Musical "Der Prinz von Dänemark" am Stuttgarter Staatsschauspiel.

(Foto: Foto: dpa)

Denn es sind vor allem die Songs der Band Fort'n'Brass, die hier das Haus rocken, weniger die Spielszenen, die sich einer schülerulkigen Texttreue verschrieben haben und die Bildungs-Böller all der geflügelten Worte aus dem Stück parodistisch abfackeln. Doch die Persiflage auf das Pathos der Knattermimen alter Schule verpufft schnell - obwohl es naturgemäß immer ein Brüller ist, wenn Burgfräuleins im Discobeat zucken und Ritter Rost die Luftgitarre zupft. Pomp goes Pop. Und funny bones haben die Stuttgarter Schauspieler sowieso; das konnten sie schon vor einem Jahr beweisen, als Harald Schmidt mit ihnen den bunten Liederabend "Elvis lebt. Und Schmidt kann es beweisen" steigen ließ.

Verstopfte Luftlöcher

Mittlerweile ist das Elvis-Memorial durch ganz Deutschland getourt und hat die Erwartungen an den neuen Bühnen-Schmidt hochgeschraubt. Die nächste Stufe von Schmidts Ensemble-Integration ist auch schon annonciert. Im Lessing-Jahr 2009 plant man ein Nathan-Musical, Arbeitstitel "Bart ab! Beim Herrn der Ringe". Harald Schmidt bleibt also seinem volkspädagogischen Ethos der tiefer gelegten Hochkultur treu und orientiert sich weiterhin am klassischen Kanon, obwohl sich beim "Hamlet"-Musical gerade die geschlossene Form als Hauptproblem des Abends entpuppt.

Anders als bei "Elvis lebt", dessen aufgerissenes, viel loseres Konzept erst den anarchischen Witz zum Zünden brachte, verstopfen Kostümschlacht und ausgefeilte Showdramaturgie hier sämtliche Luftlöcher. Und auch der riesige Totenkopf, der zu Beginn über der Bühne prangt und später, in Anspielung auf Damien Hirsts Diamanten-Schädel, mit Strass besetzt wiederkehrt, erweist sich als leeres Versprechen. Denn um wenigstens ein bisschen gothic zu sein, hätte man den "Hamlet" ins Säurebad der Satire tauchen müssen und nicht in den fondantbunten Zuckerguss der Klamotte.

Wenn der Nebel über Schloss Helsingör sich lichtet, Möwengeschrei, AC/DC-Akkorde und Brandungsrauschen verhallt sind, enthüllt sich das klassische Setting in der Pappmaché- und Alufolien-Variante: hinten die nächtlichen Wachtposten auf dem Söller, vorne Prinz Hamlet, wächsern bleich und mit grämlicher Miene. Benjamin Grüter spielt diesen Modellathleten der Innerlichkeit hinreißend als höfische Oberzicke, angetan mit wallenden Fledermausärmeln, Minirock und Schnabelschuhen zum hautengen Catsuit. Statt des Rapiers steckt ein Mikro in seinem Portepee. Ein schwarzer Märchenprinz, leicht effeminiert, weshalb ihm sein Freund Horatio (Thomas Eisen) in pinkfarbenem Wams und Glitzer-Ballerinas stets liebeskrank hinterherdackelt, ein gestammeltes "Ich liebe Dich!" auf den geschminkten Lippen.

Lesen Sie im zweiten Teil, was Harald Schmidt unter "touristenkompatiblen Ranschmeißtheater" versteht - und was Josef Ackermann mit Hamlet zu tun hat.

Bimmel und Bommel in Helsingör

Wenn Grüter mit wehem Timbre und welken Gesten die Beatles-Ballade "Girl" ins Mikro haucht und König Claudius, bei Martin Leutgeb ganz der joviale Faschings-König, mit dem Rolling-Stones-Heuler "Sympathy for the Devil" elefantös einfällt, ist die Feindschaft zwischen beiden auch musikalisch untermauert. Hamlet wartet dann mit Peter Maffays Zeile "Manchmal bin ich ohne Rast und Ruh'" darauf, dass der Geist seines ermordeten Vaters erscheint. Trockeneisnebel dampft, die Orgel schollert, und ein Fallreep senkt sich, als wäre ein Raumschiff gelandet. Dem Nebel entsteigt Harald Schmidt als Catweazle in Silber und Weiß, mit langem Zottelbart und den ersten Takten von Michael Holms "Tränen lügen nicht" auf den zitternden Lippen - schon schleudert einen der DJ in Ophelias Kemenate.

Harald Schmidt in "Hamlet"-Musical: Harald Schmidt bei seinem "Hamlet"-Musical am Stuttgarter Staatsschauspiel.

Harald Schmidt bei seinem "Hamlet"-Musical am Stuttgarter Staatsschauspiel.

(Foto: Foto: AP)

Konfettiregen, Klatschmarsch

Schmidt, nun als Polonius mit grauem Pagenkopf, verabschiedet sich von seinem Sohn Laertes (Sebastian Schwab) und mahnt ihn mit einem, im Sound der Schlegel'schen Shakespeare-Übersetzung gereimten "500 Milliarden? Nur einer nahm das Geld nicht an, unser Josef Ackermann" zur Sparsamkeit. Sodann räkelt er sich, viel Bein zeigend, als Nylon-Luder auf Ophelias Pfühl, die sich so viel Vaterliebe mit Madonnas "Papa Don't Preach" verbittet.

Claudius und Gertrud (Marietta Meguid) veredeln ihre schändliche Liebe mit einem Duett aus Mozarts "Zauberflöte", dann turnen Rosenkranz und Güldenstern als akrobatische Zwillingspagen mit "Volare" zur Tür herein. Aber erst, wenn Gertrud Harald Schmidts Darbietung mit den Worten "Mehr Kunst, wen'ger Inhalt" zusammenfasst, dieser sich daraufhin mit einem kurzen kulturkritischen Reich-Ranicki-Grummeln zur Ordnung ruft, kommt der Abend aus dem sturen Schema heraus, für alle und alles einen passenden Pop-Song aus dem Generator zu würfeln. Und erreicht pünktlich vor der berühmten 1. Szene im 3. Akt einen Höhepunkt. Schmidt heizt schon mal den Saal an mit einer Udo-Jürgens-Nummer, um die Umkleidepause für den doppelt besetzten Thomas Eisen zu überbrücken, dann singt Hamlet seinen "Sein-oder-Nichtsein"-Monolog mit wunderbar ironischer Innigkeit. Ein Feuerregen geht nieder, der ganze Hofstaat tanzt im Hintergrund.

Schwelgen in pappsüßer Klangsoße

"Touristenkompatibles Ranschmeißertheater", sagt Schmidt in vorauseilender Selbstanzeige und coacht den Prinzen: "Dies ist Shakespeare und nicht Ibsen, drum spiel ihn einfach wie Mel Gibson". Für "Die Mausefalle", das Stück im Stück, mit dem Hamlet seinen Onkel als Mörder entlarven will, lässt er Bimmel und Bommel, die beiden notgeilen Fingerpuppen aus seiner dunklen Vergangenheit beim Unterschichtenfernsehen, wieder aufleben. Er erklärt das Stück märchenonkelig, während Thomas Eisen den längsten Bühnentod in der Theatergeschichte spielt.

Doch so wie hier hebt der Abend nur selten ab, schnell gibt sich Regisseur Christian Brey wieder mit programmatischem Kuschelrock zufrieden. Claudius schwankt zwischen Reue und Mordlust, Freddie Mercury ("I'm the Great Pretender") und Michael Jackson ("I'm Bad"), seine Gertrud fühlt sich von Janis Joplin verstanden, und Harald Schmidt verabschiedet sich als Frankie-Boy mit "My Way" von der Bühne. Ophelia taumelt mit Rammstein in den Wahnsinn, und nach einem kurzen musikalischen Operetten-Abstecher zum Weißen Rössl entdeckt Hamlet am gläsernen Schneewittchensarg der Geliebten den Robbie Williams in sich. Nun müssen die Waffen sprechen, die Degen schwirren durch die Luft mit dem Dolby-Brummen der Laser-Schwerter aus "Star Wars". "Du warst meine Black Beauty", sagt Horatio an Hamlets Leiche.

Großes Finale mit leuchtender Showtreppe, Konfettiregen und Klatschmarsch. Das Ensemble schwingt geübt die Beine und singt Katja Ebsteins "Wunder gibt es immer wieder". Der Rest ist Schwelgen. Und die Hoffnung, dass der Abend noch wächst und mehr Schärfe in die pappsüße Klangsoße kommt.

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