Nachruf auf Harald Mueller:Autor des atomaren Supergaus

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Der Dramatiker Harald Mueller (links) 1970 mit dem Regisseur Claus Peymann. (Foto: Fritz Neuwirth)

Der Dramatiker und Übersetzer Harald Mueller ist gestorben. Sein "Totenfloß" war nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 das Stück der Stunde.

Von Christine Dössel

Harald Mueller hatte im Theater als Dramatiker mal kurz eine große Zeit. Das war Anfang der Siebzigerjahre, als sein Debütstück "Großer Wolf" gleich ein irrer Erfolg wurde. Und dann noch einmal Mitte der Achtzigerjahre, als sein atomares Endzeitstück "Totenfloß" ein noch viel größerer, nämlich auch internationaler Erfolg wurde. Danach hörte man kaum mehr was von dem Mann, der in seinen Texten auf aktuelle, oft lokalpolitische Themen und Zeitfragen reagierte. Er ist eines dieser Beispiele für die schnellen Hypes und verglühenden Sterne, die es manchmal in der Kunst und Kultur gibt, und dafür, dass nicht jeder, den das Theater überschwänglich umarmt, dort auch seine Bestimmung finden muss. Harald Mueller war als Autor eher dem politischen Gebrauchstheater zuzuordnen.

Geboren wurde er am 18. Mai 1934 im ostpreußischen Memel. Von dort floh die Familie 1945 nach Schleswig-Holstein. Nach der mittleren Reife hatte Mueller lebenserfahrungsbereichernde Jobs als Bergmann, Liftboy, Rezeptionist und Messevertreter. 1955 besuchte er die Schauspielschule der Hamburger Kammerspiele und danach die Schauspielschule Zerboni in München und studierte Germanistik und Theaterwissenschaft. Er arbeitete als Fernseh- und Hörspielautor und von 1962 an auch als Rezitator. Für sein Debütstück "Großer Wolf" über eine marodierende Kinderbande erhielt er - nicht zuletzt durch die Förderung von Martin Walser - ein Stipendium für junge Dramatiker des Suhrkamp Verlags.

Mueller arbeitete auch als Übersetzer und war von 1971 bis 1974 Dramaturg am Berliner Schillertheater

Die Uraufführung dieses heiß diskutierten Stücks an den Münchner Kammerspielen in der Regie des jungen Claus Peymann bescherte Mueller 1970 den Durchbruch. Noch im gleichen Jahr folgte am selben Haus, aber ungleich weniger erfolgreich, sein zweites Stück "Halbdeutsch", uraufgeführt von Karl Paryla. Mueller arbeitete auch als Übersetzer (für Suhrkamp übertrug er Bernard Shaw ins Deutsche) und war von 1971 bis 1974 Dramaturg am Berliner Schillertheater. Danach zog er sich aus dem Kulturbetrieb auf die Insel Sylt zurück. Um in den Achtzigern noch einmal mit seiner Dystopie "Totenfloß" Furore zu machen.

"Totenfloß" entwirft ein apokalyptisches Endzeitszenario im atomar verseuchten Deutschland des Jahres 2050. Vier todgeweihte Menschenkrüppel treiben auf einem Floß rheinabwärts gen Xanten, dem letzten strahlenfreien Ort. Dort erhoffen sie sich eine Überlebenschance. Die Premiere des Stücks 1984 in Oberhausen wurde gar nicht groß wahrgenommen; George Tabori inszenierte es im Jahr darauf an den Münchner Kammerspielen. Erst nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 wurde "Totenfloß" das Stück der Stunde. Mueller schrieb eine Neufassung, die im Oktober 1986 an drei Theatern gleichzeitig herauskam (in Basel, Düsseldorf und Stuttgart). Es wurde zum "Stück des Jahres" gewählt und, übersetzt in zwölf Sprachen, auch viel im Ausland gespielt. Danach wurde es wieder ruhig um den Zeitstückautor Harald Mueller. Mit weiteren Werken wie "Bonndeutsch" (1987) oder "Luther Rufen" (1996) konnte er nicht mehr an seine zwei großen Erfolge anknüpfen. Wie seine Familie mitteilt, ist Mueller am Montag nach einer längeren Herzkrankheit im Alter von 87 Jahren gestorben.

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