Süddeutsche Zeitung

Hans van Manen wird 90:Bloß keine Fransen

Politisch, provokant, aber das stets mit Eleganz und Stil: Der Meisterchoreograf Hans van Manen feiert 90. Geburtstag.

Von Dorion Weickmann

Er ist wählerisch, pflegt klare Ansagen und besitzt ebenso viel Schlagfertigkeit wie Selbstironie. Ein typischer Hans-van-Manen-Moment ereignete sich 2010, mitten in den Proben zu "Without Words" bei Het Nationale Ballet in Amsterdam. Vor laufender Filmkamera erklärte der Choreograf den jungen Tänzern, die ihm soeben einen Gestaltungsvorschlag unterbreitet hatten: "Nein, das ist verboten. Diese Bewegung kommt schon in sechs Stücken von mir vor." Was, sollte man meinen, bei einem Werkkatalog mit mehr als 150 Einträgen nicht weiter ins Gewicht fällt. Aber in punkto Kreativität hat sich der Künstler schon in den Sechzigerjahren festgelegt: "Ich mache keine Experimente, ich mache Ballette", ließ Hans van Manen einen Kritiker wissen.

Zugleich war er durchaus ein politischer Kopf. Er demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und sorgte mit dem ersten rein männlichen Pas de deux der Tanzgeschichte für einen Skandal. Doch selbst diese Provokation namens "Metaforen" besaß 1965 formalen Schliff, Eleganz und Stil. Und daran hat sich seitdem kein Jota geändert: Hans van Manen, am 11. Juli 1932 in Nieuw Amstel geboren, ist der ungekrönte König der europäischen Tanz-Neoklassik. Der große Beziehungszauberer, der noch nie einen Handlungsfaden gebraucht hat, um das Drama der Liebe zu inszenieren: schonungslos ehrlich und so empathisch, dass es für immer in Erinnerung bleibt.

Hans van Manens Sinn für Humor hat auch den einen oder anderen Absturz verhindert

Intensive Gefühle und das Verlangen, sie tänzerisch auszudrücken, trieben den Sohn einer deutschen Mutter schon in jungen Jahren um. Mit knapp zwanzig Jahren heuerte Hans van Manen 1951 als Tänzer bei Sonia Gaskell an, die später das Niederländische Nationalballett gründete. 1957 entwarf er mit "Feestgericht" seine erste Choreografie, drei Jahre später wechselte er zum jungen Nederlands Dans Theater (NDT) und übernahm kurz darauf auch dessen künstlerische Direktion. Ab den Siebzigerjahren prägte van Manen gleichsam alternierend die Profile von NDT und Nationalballett, dem er bis heute eng verbunden ist. Zugleich gastierte er oft an anderen Häusern, etwa in Stuttgart, München oder Düsseldorf.

Noch immer federt er eilenden Schritts durch die Gänge europäischer Opernhäuser und nimmt überall auch die jüngsten Ensemblemitglieder für sich ein: mit seiner Vitalität, seinem Einfallsreichtum, seinem unbestechlichen Auge. Van Manens formschöne Ästhetik folgt eigenen Spielregeln, getreu seiner Überzeugung: bloß keine "Teppiche mit Fransen" produzieren, "alles Dekorative muss weg". Auf diese Weise sind leuchtende Tanztexturen entstanden wie "Große Fuge" (1971) oder "Adagio Hammerklavier" (1973), aber auch bezwingende Paarstudien - Weltexegesen im Zweierformat. Zwischendurch hat sich der Choreograf auch das eine oder andere Augenzwinkern erlaubt und Kabinettstückchen à la "Solo" (1997) entworfen - irrwitzig schnell und irrwitzig komisch.

Hans van Manens Sinn für Humor hat sicher auch den einen oder anderen Absturz verhindert. Als er vor ein paar Jahren nach seinen Sünden gefragt wurde, bekannte der Altmeister ein Faible für gutes Essen (mit mindestens acht Freunden), Anzüge von Armani und einen Hang zur Eitelkeit. Was seinen Partner, den Kameramann Henk van Dijk, offenbar nicht stört. Seit fünf Jahrzehnten gehören die beiden zusammen und wohnen getrennt - "wirklich ideal", findet van Manen. Ab sofort wird er nun die Hundertermarke anpeilen. Auf der Ziellinie gibt es bestimmt ein riesiges Fest, ausgerichtet von seinen erlauchtesten Fans: dem niederländischen Königshaus.

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