Süddeutsche Zeitung

Hannelore Elsner:"Hass gegen das Fremde - es fängt gerade alles von vorne an"

In dem Drama "Hannas schlafende Hunde" spielt Hannelore Elsner eine Jüdin, die dem Antisemitismus der Nachkriegszeit die Stirn bietet. Das Thema hält die Schauspielerin für hochaktuell.

Interview von Paul Katzenberger

Wels, Oberösterreich, 1967: Hier lebt die resolute Großmutter Ruth, gespielt von Hannelore Elsner, mit ihrer neunjährigen Enkelin Hanna (Nike Seitz) und ihrer Tochter Katharina (Franziska Weisz). Katharina setzt alles daran, bloß nicht in der Nachbarschaft aufzufallen. Instinktiv merkt Hanna, dass etwas nicht stimmt. Mit Hilfe der Großmutter findet sie heraus, dass ihre jüdische Herkunft der Grund für die selbst auferlegte Isolation ist. Denn unter den Nachbarn sind etliche Täter der NS-Zeit. "Es gibt viele hier, die uns immer noch vergasen würden", erklärt Ruth der Enkelin. "Hannas schlafende Hunde" beruht auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Elisabeth Escher, die darin die dunklen Kapitel der Nachkriegszeit in Österreich aufarbeitet.

SZ.de: "Hannas schlafende Hunde" spielt 1967. Sie waren damals 25 Jahre alt, haben diese Zeit also bewusst miterlebt. Können Sie aufgrund Ihrer eigenen Erfahrungen bestätigen, was der Film darstellt?

Hannelore Elsner: Ich war total erstaunt und entsetzt, dass all das, was in dem Film vorkommt, in der Zeit noch möglich war. Denn ich habe das nicht erlebt. Ich hätte es noch eher hinnehmen können, wenn diese Geschichte in den Fünfzigerjahren gespielt hätte, aber ich habe nicht gewusst, dass es diese Menschen noch 1967 gab.

Es ist wirklich schwer vorstellbar, dass Konflikte zwischen Tätern und Opfern der Nazizeit 20 Jahre später immer noch gärten. Andererseits ist uns heute durchaus bewusst, dass es einen Konflikt zwischen den Generationen gab. Die Achtundsechziger begehrten ja wegen der Nazizeit gegen die Generation der Eltern auf.

Das stimmt. Aber deswegen habe ich ja nicht den Mief erlebt, der in diesem Film dargestellt ist. Dass Frauen ihre Männer noch fragen mussten, ob sie arbeiten dürfen oder nicht. Diese Bigotterie, die Duckmäusigkeit, das Reaktionäre und die Dummheit der breiten Masse. Ich war noch jung, ältere Leute waren für mich damals sowieso indiskutabel.

Wieso? Wegen deren Prägung durch die Adenauer-Zeit?

Ja, diese ganze Spießigkeit. Ich konnte das gar nicht anschauen. Mein Idol war Willy Brandt. München, wo ich aufwuchs, war damals ja auch ein Ort des Aufbruchs - Schwabing, der Jazz. Das kleinbürgerliche Milieu mit seiner Enge war nicht meine Welt.

Wie standen Sie persönlich zu Ihrer Filmfigur: Die Oma Ruth, die sie darstellen, beweist mit ihrer Aufrichtigkeit ein großes Kämpferherz. Aber in ihr steckt auch Verbitterung. Zumindest muss man die eine Szene so interpretieren, in der sie sich offen über den tragischen Tod des Hausmeisters und früheren NS-Blockwarts freut.

Das war für mich die schwierigste Szene, die konnte ich fast nicht spielen. Ich habe dem Andreas Gruber (dem Regisseur, Anm. d. Red.) gesagt: 'Ich will diesen Satz: So riecht die Gerechtigkeit' nicht sagen.' Das passte nicht zu dieser Ruth, so wie ich sie empfunden habe. Da gab es sogar einen kleinen Eklat. Er hat mich dann gezwungen, das zu sagen. Es war fürchterlich.

Dann können Sie dem Herrn Gruber jetzt sagen, dass ich als kritischer Zuschauer da auch drüber gestolpert bin.

Na, da darf ich mich jetzt bestätigt fühlen. Denn ich denke, dass sie eine Liebende ist, eine Vergebende, eine Gütige geworden ist in ihrer Weisheit. Sie hat ja alle Kräfte der Überwindung mobilisiert, um der Rache und der Verbitterung zu entgehen. Um verzeihen zu können, um das hinter sich lassen zu können, um kein Opfer mehr zu sein. Aber gut. Wenn das eine fiktive Geschichte gewesen wäre, dann hätte ich vielleicht sagen können: 'Nein, ich sage den Satz jetzt einfach nicht.' Aber es ist ja eine wahre Geschichte, das musste ich dann einfach akzeptieren.

Andererseits ist die Haltung der Ruth ja nachvollziehbar. Denn vergeben kann man vielleicht erst, wenn man um Vergebung gebeten wurde. Und das ist ja das andere große Thema dieses Films: Dass die Täter nicht bereit sind, sich zu entschuldigen.

Die haben keine Schuld. Sie haben kein Gefühl für ihre Schuld. Sie fühlen sich unschuldig. Das ist das Irre. Sie sind ja Opfer. Wie sollen sie sich entschuldigen?

Wie kann man als wirkliches Opfer dieser Haltung begegnen?

Dadurch, dass man den Schmerz annimmt. Wenn man seine Überwindungskräfte anregt, dann wird man stark. Das macht auch frei. Wenn ich die strahlenden Überlebenden des Holocausts sehe, diese schönen alten Menschen, mit wirklich so viel Weisheit in den Gesichtern, so viel Güte. Deswegen finde ich es so wichtig, dass man sich seiner Kräfte besinnt, so etwas zu überwinden.

Nun ist die Ruth, die sie verkörpern, im Film gestorben. Damit endet ihre Überwindung vorzeitig.

Ich fand das blöd, wieso eigentlich? Die ist halt in Wirklichkeit gestorben - ich fand das doof. Denn sie hat der Welt ja noch etwas zu geben. Aber so war nun mal die Buchvorlage.

Sie engagieren sich im Förderverein des Fritz-Bauer-Instituts gegen das Vergessen des Holocausts. Glauben Sie, dass das heute noch so ein wichtiges Thema ist wie in den Sechzigerjahren?

Aber ja.

Bis in die Sechzigerjahre hinein haben die Deutschen ja tatsächlich versucht, den Holocaust zu vergessen ...

... und ihn zu verleugnen...

...ja, auch zu verleugnen. Aber inzwischen vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht öffentlich die Rede ist vom Holocaust.

Das ist ja auch wichtig. Denn es fängt gerade alles von vorne an. Diskriminierung, so fängt es immer an, und Hass gegen das Fremde. Und der wird inzwischen wieder öffentlich artikuliert in Deutschland.

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