Süddeutsche Zeitung

Handel:Kunst im Vakuum

Ende der Gewissheiten: Wie die Krise der Europäischen Union und die deutsche Bürokratie den Markt bedrohen: Ein Gespräch mit dem Münchner Kunsthändler und Auktionator Robert Ketterer.

Interview von Viola Schenz

Robert Ketterer handelt vom Münchner Osten aus mit Kunst, in erster Linie mit deutscher und europäischer. Seit 2008 hat sein Auktionshaus Ketterer Kunst seinen Sitz neben der Messe München, auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens, neben einer Polizeistation. So ein Nachbar ist ideal, hier lagern wertvolle Objekte. Um die sorgt sich Inhaber Ketterer, 48, allerdings aus einem anderen Grund: Er sieht die Zukunft des europäischen Kunstmarkts gefährdet.

SZ: Herr Ketterer, Großbritannien bereitet sich auf den Ausstieg aus der EU vor, in vielen Ländern wachsen Skepsis und Kritik an der Union. Pessimisten fürchten ein Ende des gemeinsamen Europas, zumindest eine sehr viel kleinere EU. Welche Folgen hätte es für den Kunstmarkt, wenn Europa auseinanderbräche?

Robert Ketterer: Es würde den Markt brutal deregulieren. Man gibt seine Objekte nur dorthin, wo man glaubt, dass sie gut aufgehoben sind. Und das wäre in Zeiten eines Zusammenbruchs der etablierten Regeln sicherlich nicht der Fall. Es würde ein Vakuum entstehen und damit ein Graumarkt, auf dem viele Fälschungen landen, ein Zwischenhandel für alles, was nicht durch Auktionen und auf Messen gehandelt wird. Es würde zu einem Sterben von Kunst- und Auktionshäusern führen.

Sie haben Einlieferer und Käufer aus mehr als 50 Ländern. Wie groß oder klein die EU ist, ob es einen gemeinsamen Markt gibt, ist denen vermutlich egal.

Den außereuropäischen Bietern und Einlieferern ja, aber unser Schwerpunkt ist Kunst aus Deutschland, aus Europa. Gerade wegen der offenen Grenzen und wegen des klar geregelten gemeinsamen Marktes handeln wir vor allem mit unseren europäischen Nachbarn. Die internationale Kunst wird nur auf Märkte mit größtmöglicher Rechtssicherheit kommen. Ein Verkäufer würde niemals einen Kandinsky in ein Land einliefern, das gerade dabei ist, neue Verträge auszuhandeln, wo nicht klar ist, ob man sein Werk jemals wieder rauskriegt, ob man Zoll zahlen muss oder eine neue Einfuhrumsatzsteuer.

Eigentlich bewegt sich der internationale Kunstmarkt ja weg von Europa, Richtung USA, China, Golfstaaten. Dort sitzen die Bieter mit dem vielen Geld.

Ja, aber die Auktionsmärkte sind mittlerweile global. Sie wachsen da, wo Freiheit und Rechtssicherheit herrschen. Der chinesische Markt ist 2015 aufgrund eines unerwarteten neuen Kunstmarktrechts eingebrochen und hat das Wachstum des ganzen Weltmarkts nach Jahren des Aufschwungs nach unten gezogen. Der europäische Markt ist in den vergangenen Jahren hinter dem Zugpferd USA gewachsen. Aber die großen Auktionshäuser, sagen wir in New York, handeln hauptsächlich mit international-westlicher Kunst. Dort kommen die Andy Warhols unter den Hammer, überhaupt die ganze Pop-Art.

Sie haben neben Filialen in Deutschland auch Büros in New York und Los Angeles. Erwägen Sie, auch Zweigstellen in Peking oder den Golf-Staaten zu eröffnen?

Sollte die EU zerfallen, werden wir uns frühzeitig nicht nur um neue Büros kümmern, sondern auch darüber nachdenken müssen, ob wir unseren Sitz aus München wegverlagern. Ein Zerbrechen des gemeinsamen Regelwerks wäre eine Katastrophe. Dann würden 28 Länder anfangen, untereinander Handelsverträge abzuschließen. Das wird ewig dauern. Länder, die ihre Hausaufgaben rechtzeitig machen konnten, weil sie den gemeinsamen Markt früher verlassen haben, wie etwa Großbritannien, wären dann im Vorteil.

Sie versteigern auch online. Ließen sich über das Internet geschlossene Grenzen einfacher überwinden?

Nicht unbedingt, denn das Hauptproblem auf dem Kunstmarkt bliebe auch beim Onlinehandel bestehen: das Beschaffen von gut verkäuflichen, nachgefragten Kunstwerken. Diese Gemälde suchen und finden wir weltweit, aber die sind immer schwerer zu bekommen. Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten durch das Kulturgutschutzgesetz.

Im letzten Jahr haben Sie gegen das Kulturgutschutzgesetz gewettert. Inwieweit ist Ihr Haus davon betroffen?

Die Novelle verursacht hohen bürokratischen Mehraufwand, bis dahin, dass wir zusätzliches Personal einstellen mussten. Viele Umsetzungsrichtlinien sind noch immer nicht geklärt. Und wir werden einige Kunstwerke verlieren, die uns nicht mehr eingeliefert werden, einfach weil es zu zeitaufwendig ist, sie nach Deutschland zu bekommen; denn wir müssen jetzt auch die Ausfuhrerlaubnis der Herkunftsländer dokumentieren, der europäischen wie außereuropäischen. Versuchen Sie mal, eine solche Erlaubnis aus den USA zu bekommen. Die erklären Sie für verrückt. Oder von Luxemburgern, dass das Kunstwerk Luxemburg verlassen durfte. Die haben dafür keinen Stempel, aber Deutschland verlangt so einen Stempel jetzt. Und das ist nur der Anfang. Wir müssen alle Arbeitsschritte 30 Jahre lang dokumentarisch nachweisen, bei zehn Punkten pro Objekt, bei 4000 Objekten im Jahr sind das 40 000 Punkte, auf 30 Jahre hochgerechnet 1,2 Millionen Punkte, die wir permanent sorgfältig dokumentiert vorhalten müssen.

Das Gesetz soll verhindern, dass ein Kirchner oder Dürer in einem Zollfreilager oder im Safe eines Scheichs für immer verschwindet. Das ist ja per se ein ehrenwertes Motiv. Sie handeln nicht mit Kühlschränken, sondern mit Kulturerbe. Muss man die Verantwortung, die damit einhergeht, nicht akzeptieren?

Natürlich, und wir stellen uns ja dieser Verantwortung, seit 1955, seit das Kulturgutschutzgesetz besteht. Es ist sehr aufwendig, und das ist ja auch gut so. Ich hafte schließlich mit meinem Namen für unser Tun. Wir sind die Oberfläche des Marktes, bei uns ist alles transparent nachprüfbar, wir müssen sämtliche Nachweise bereithalten. Sie können alle unsere Preise und Verkäufe der vergangenen 30 Jahre nachprüfen, per Mausklick. Aber um welchen Schutz geht es denn bei dem Gesetz? Um Ausgrabungen und schützenswerte, national wertvolle Kulturgüter, aber mit denen handeln die allermeisten Häuser ohnehin nicht, sondern die landen auf dem Graumarkt. In den vergangenen 30 Jahren wurde nicht einem Objekt aus dem Kunstauktionshandel die Ausfuhr verwehrt. Wir versteigern keine Holbein-Madonnen. Aber wir haben jetzt ein bürokratisches Monster. Das Gesetz reguliert einen Markt, der nicht reguliert werden muss, und es schafft einen Graumarkt, den es eigentlich regulieren sollte.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2017
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