Hans-Jürgen Buchner erinnert sich:Das ewige Lied

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Wie Weihnachten war. In meiner Kindheit, in meiner Zeit als Sanitäter bei der Bundeswehr, als Hippie, in der stillen Nacht

Protokoll von Michael Zirnsteinn

Meine Frau Ulli und ich bleiben heuer an Weihnachten zu Hause in Haindling. Meine Mutter ist gestorben, mein Vater auch, da gibt es in dem Sinn keine Familienzusammenkunft mehr, meine Schwester hat selber eine große Familie. Wir zwei hören einfach die Weihnachtslieder, die im Radio kommen. Bisher spielen sie auf Bayern 2, was ich immer höre, nur amerikanischen Christmas-Jazz und so, also ganz übel. Die Claudia Koreck hat mir bei der Aufnahme für unser gemeinsames Konzert im Nepal-Tempel, die am 9. Januar 2020 im Fernsehen laufen wird, ihr Weihnachtsalbum geschenkt, das mit dem Elch drauf. Vielleicht hören wir uns das an. Sie hat so eine Glöckerl-Stimme, ganz wunderbar. So etwas sollten sie auf Bayern 2 spielen.

An Heiligabend ab 18 Uhr kommen dann bestimmt traditionelle deutsche Weihnachtslieder im Radio. Die höre ich mir an, weil mich das an meine Kindheit erinnert und weil es einfach zum Körpergefühl dazugehört zum Jahresabschluss. Was man von früher kennt, wächst mit. Schade, dass die Weihnachtssache bei vielen nicht mehr so gefeiert wird wie früher. Wir haben in unserer Familie immer Musik gemacht und gebastelt. Ich habe übrigens nicht gern gesungen, auch nicht in der Schule, obwohl ich jeden Ton erwischt habe, den der Lehrer vorgegeben hat.

Heute singe ich wahnsinnig gern auf der Bühne, mache auch unter der Dusche meine Stimmübungen, das befreit und macht Freude. Aber damals sangen vor allem meine Eltern und meine Schwester, ich habe Klavier gespielt. "Stille Nacht" natürlich und danach Boogie-Woogie. Wir haben das musikalisch ganz gut gemacht. Es tut mir leid, dass junge Leute, wenn sie dann später älter sind, das Gefühl nicht mehr kennen, das man in der Kindheit mitbekommt, so dass praktisch fürs ganze Leben immer wieder an dem Tag eine gewisse Stimmung aufkommt.

Ich habe eine Tante in Amerika gehabt. Die hat an Weihnachten immer amerikanische Sachen geschickt, das war der Wahnsinn. Ich habe zum Beispiel eine Levis-Jeans gekriegt, ich war damals im Internat, und da war ich der Erste, der die überhaupt hatte. Ansonsten sehe ich in meiner Erinnerung noch Spielzeugautos zum Aufziehen mit einem Schlüssel, also nichts mit Strom. Neulich habe ich im MDR einen Film aus der DDR gesehen, der hat geheißen "Das singende und klingende Bäumchen". Ein altes Märchen von 1957, aus der Zeit meiner Kindheit also, das war so lustig, weil die haben überhaupt noch keine digitalen Tricks gehabt, sondern nur Einzelbildschaltung. Das ist viel schöner für die Fantasie. Wenn noch Hand angelegt wird, ist das etwas Besonderes.

Einmal läutete während der Bescherung das Telefon. Mein Vater war Tierarzt, und er musste in den Bayerischen Wald zu einer Kuhkälberung, also einer Kalbsgeburt. Ich fuhr während des Schneetreibens mit, damit mein Vater nicht allein war. Auf dem Bauernhof ist das Kalb dann endlich auf die Welt gekommen. Bei der Heimfahrt blieben wir im Schnee stecken. Es gab natürlich noch kein Handy, und wir dachten uns: Mensch, jetzt machen die sich daheim Sorgen. Mein Vater hatte eine kleine Schaufel dabei, und wir bekamen das Auto nach einer halben Stunde frei. So konnte dann doch noch die Feier stattfinden.

Hans-Jürgen Buchner neben seiner Frau Ulli bei einer Pressekonferenz 1986 anlässlich der Demonstration gegen das Atomkraftwerk Wackerdorf. (Foto: Bernd Schweinar)

Meine Geburtstage drei Tage nach Heiligabend waren dann eher weniger feierlich. Weil ich bekam dann als Kind immer die Sachen geschenkt, die zu unschön waren für Weihnachten. Zum Beispiel von meinen Großeltern, die lebten in der DDR, und auch wenn es dort nichts gab, wollten sie mir doch irgendwas schenken. Ich kriegte also immer lange Unterhosen, und die taugten überhaupt nichts, weil der Stoff so rau war. Aber einmal bekam ich einen Malkasten mit Ölfarben von meinem Opa. Früher habe ich gerne gemalt.

Meine andere Großmutter wohnte auf der Straßenseite gegenüber. Sie hatte eine Brauerei und ein Gasthaus. Nach unserer Bescherung gab es immer noch die andere Bescherung bei der Oma. Das war besonders schön, weil wir hatten die große Wirtsstube für uns alleine, für Gäste war geschlossen.

Als ich schon Sanitäter bei der Bundeswehr in Oberviechtach war und auch die Bataillonskapelle geleitet habe, hatte ich über Weihnachten Dienst. Der ganze Sanitätsbereich war leer, kein Kranker und gar nichts. Ich durfte aber nicht nach Hause. Wer seinen Posten aufgibt, wird fast schon eingesperrt, weil das eine ganz wichtige Sache ist, dass man den Dienstplatz nicht verlässt. Ich saß als Dienstleiter also in dem Block und dachte mir: Ich haue einfach ab. Ich fuhr die 120 Kilometer nach Hause. Zwischen dem Haus meiner Großmutter und dem meiner Eltern packte ich die Trompete aus und spielte "Stille Nacht, heilige Nacht". Meine Eltern haben sich total gefreut, es dachte ja keiner, dass ich komme. Dann haben wir gegessen, und ich bin wieder zurück an meine Dienststelle.

Auch vor großem Publikum auf der Bühne führte Buchner seinen Kampf gegen das Atomkraftwerk in Wackersdorf. (Foto: Bernd Schweinar)

Ein paar Jahre später fing ich mit meiner eigenen Musik an, mit meiner Ulli, später dann auch mit der Band. Zu der Zeit haben wir Weihnachten verleugnet. Wir waren so etwas wie Hippies. Es war verpönt, dass man das spießige Weihnachten feiert. Nach dem Essen bei Ullis Eltern oder bei meinen gingen wir sofort in Straubing in die Kneipe einer Freundin. Da haben sich alle versammelt, die genauso dachten. Das ging bis weit nach Mitternacht. Aufgelegt wurde da natürlich nichts Weihnachtliches, sondern James Taylor, Elton John und Jimi Hendrix.

Selber gespielt habe ich nicht in der Kneipe, da gab es kein Klavier. Aber ich war wirklich besessen von meiner Musik. Ich habe meine Vierspur-Aufnahmen gemacht, weil ich konnte die Band, die mir vorschwebte, nicht gründen - alle spielten nur Jimi Hendrix. Ich wollte unbedingt bairischen Gesang machen mit Tenorhorn und Mini-Moog-Synthesizer als Bass. Ich hatte meine Musik in mir, und die habe ich zum Ausdruck gebracht - auch die Musik von früher in der Familie. Ich habe für meine erste Platte nur ein einziges traditionelles Lieder genommen, eines mit einem valentinesken Schmerz, die "Kramer Annemierl", die einen besoffenen Mann hat.

In meinem Musikerleben hatte ich selten mit Weihnachten zu tun. Einmal bat man mich, etwas für das Projekt "Weihnachtsblues" zu machen. Da waren die ganzen deutschen Musiker wie der Klaus Lage oder der Wolfgang Niedecken dabei. Ich sollte die Kindergeschichte "Herr Jacobi feiert Weihnachten" vorlesen.

Eine etwas ungewöhnliche Situation für mich, privat erzähle ich Kindern kaum etwas, höchstens blöde Weisheiten. Dafür habe ich immer eine Maultrommel dabei, und wenn ein Kind auf der Straße im Kinderwagen schreit, gehe ich hin und spiele kurz darauf, dann ist Ruhe. Zumindest für eine Minute, da schauen sie dich mit großen Augen an. Ein guter Tipp für alle geplagten Eltern zu Hause.

Neulich beim BR haben sie mir auch ein Weihnachtsgedicht vorgelegt, und dazu habe ich noch etwas Besinnliches von mir gelesen: "Das ewige Lied". Das Stück habe ich 1997 für den Film geschrieben, der genauso heißt. Er erzählt die Geschichte von "Stille Nacht, heilige Nacht". Ich habe die davor gar nicht gekannt, dass der Texter, der Pfarrer Joseph Moor, aus einer unehelichen Situation aus Salzburg nach Oberndorf herauskommt. Die Orgel war kaputt, und sie machten das Lied auf der Gitarre. Das ist schon ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass das Lied, das in so einem Dorf entstanden ist, weltweit weitergeht. Neulich habe ich es auf Koreanisch gehört. Dass das so riesig wurde, ist schon etwas Besonderes, ein bisschen wie bei Greta Thunberg, so etwas kannst du halt nicht steuern.

So einen Film würden sie heute nie mehr finanzieren, ein Mordsding. Auch die schauspielerische Besetzung: Tobias Moretti, Jörg Hube, Michael Mendl und alle möglichen. Regisseur war Franz Xaver Bogner. Der hatte zu mir gesagt, dass es eine Szene im Wirtshaus gibt, wo alle singen, die sollte ich leiten. Außerdem wollte er einen Text für "Das Ewige Lied".

Da sitze ich mit dem Mendl auf einem Boot. Wir waren Salzschiffer, denen verboten wird, dass sie das Salz auf dem Inn transportieren. Da sitzen wir, und ich singe "Das ewige Lied". Den Text haben der Bogner und ich per Telefon ganz schnell in der Nacht gemacht. Wenn ich das Lied im Konzert spiele, hat das immer noch großen Anklang. Das Einfache hat oft die größte Wirkung. So wie "Stille Nacht". Wenn ich als Musiker darüber nachdenke, ist es schon gut komponiert, flüssig, eine total schöne Melodie mit Naturklängen. Die Masse kann es mitsingen, so muss es auch sein. Wenn ich es irgendwo höre, denke ich aber gar nicht drüber nach, dann höre ich es, wie ich es als Kind gehört habe.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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