Gotteshäuser:Die Destruktion des Geschichtlichen

Die Hagia Sophia öffnet als Moschee

Im Oktober 2010 gehen Besucher in die Hagia Sophia im historischen Stadtviertel Sultanahmet. Nach der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee findet dort am 24. Juli 2020 erstmals ein muslimisches Freitagsgebet statt.

(Foto: dpa)

Der türkische Präsident verfolgt mit der Umwidmung der Hagia Sophia nicht die Wiederherstellung religiöser Räume. Es geht um Machtpolitik.

Von Gerhard Matzig

Da die Passion 2020 in Oberammergau abgesagt ist, coronabedingt, ist auch der Jesus-Darsteller derzeit ohne Arbeit, passionsbedingt. Konkurrenz hat er obendrein. Denn der türkische Präsident Erdoğan gibt in Istanbul gerade den Sohn Gottes. Das ist erstaunlich für einen Mann, der das antizivilisatorische Geschäft von Islamismus, Nepotismus, Autokratismus und Nationalismus betreibt. Wenn an diesem Freitag das erste Gebet in der als Moschee resakralisierten Hagia Sophia gesprochen wird, die zuvor als Museum ein profanisiertes Haus der Weltöffentlichkeit war, dann maßt sich der Präsident eine Jesus-Rolle an. Als "Tempelreinigung" kennt man die Geschichte aus dem Leben Jesu. Der soll Händler und Geldwechsler vertrieben haben. Der Reinheit des Tempels wegen. Wo man Gott trifft, soll es nicht um Geschäfte gehen. Das wäre ein schöner Gedanke, wenn Gott, Allah und andere höhere Mächte nicht längst zu irdischen Geschäften des Politischen erniedrigt worden wären.

Nichts anderes, auf eine bizarr verdrehte Weise, unternimmt der Sultan-Präsident der Türken, der eine baukulturelle Schöpfung von Weltrang, die einst vor dem Zugriff religiöser Eiferer bewahrt wurde, wieder in allem Eifer zur Moschee umwidmet. Nicht als Ort der Transzendenz, sondern als Symbol der Machtpolitik. Nationalisten und Fundamentalisten sind begeistert. Der Westen ist entgeistert.

Der Westen sollte bei aller Empörung über das eigene Weltverständnis nachdenken

Im Umwidmen und Dauer-Pingpong zwischen sakralen und profanen Bauten ist jedoch auch unsere Gesellschaft geübt. Meistens ist das Vorzeichen ein anderes als jetzt in Istanbul, wo ein unschätzbares und eigentlich schon längst interkulturelles Welterbe wieder in das Gebilde zurückverwandelt wird, das Justinian als spätantiker Vorreiter des mittelalterlichen Byzantinismus im Sinn hatte, als er von 532 bis 537 eine stumm vor Staunen machende Raumschöpfung des Sakralen zum Zentrum eines imperialen Kirchenstaats aufrüstete.

Das Zeit-Magazin hat sich die Mühe gemacht, auf einer Deutschlandkarte umgenutzte Kirchen zu verorten. Von Flensburg bis Löffingen und von Kamp-Lintfort bis Zittau illustriert sie, was man aus zuvor heiligen Räumen machen kann: Museen, Veranstaltungszentren, Bibliotheken, Restaurants, Wohnungen, Galerien, Fitness-Studios, Seniorenheime, Sparkassenfilialen, Zahnarztpraxen und Kinos. Mit Bordellen tut man sich noch schwer. Als 2019 die Kirche St. Paulus im sauerländischen Altena versteigert wurde, schloss man "die künftige Nutzung als Betrieb von Bordellen oder sonstigen Einrichtungen des Rotlichtmilieus" aus. Auch "nichtchristliche Religionen" durften nicht mitsteigern.

Die versehentliche Analogie von Rotlichtmilieu und nichtchristlichen Religionen lässt tief blicken. Der Westen sollte bei aller Empörung über die aktuellen Vorgänge in Istanbul einmal über das eigene Weltverständnis nachsinnen.

Die Aufgabe und Umnutzung kirchlicher Gebäude ist alles andere als neu. Historisch geht dies mit den Säkularisationsprozessen einher. Während der Reformation wurden Klöster in Schul- oder Sozialstiftungen umgewandelt.

In Münster wurde die Kirche des Observantenklosters St. Antonius von Padua sogar dem Militär zugeführt. Und in München kennt man mitten in der Stadt eine Familie mit sechs Kindern, die in einer ehemaligen Kapelle wohnt. Dort, wo der Altar stand, ist heute das Elternschlafzimmer - und das muss nun wirklich nicht empören, auch wenn man nicht weiß, ob die Eltern den heiligen Bund der Ehe eingegangen oder die Kirchensteuer verweigernde Satanisten sind.

Das Umwidmen wie auch der Umbau sind der Architektur schon immer in die Bau-DNA eingeschrieben. Auch für die Tempel des Glaubens gilt: Es sind Orte mit einem Haltbarkeitsdatum - wie eigentlich alles im Universum. Orte der Ewigkeit: Wenn man solches im Sinn hat, dann sollte man sich auch die architektonische Glaubenslehre der Nazis ("Ruinenwerttheorie") in Erinnerung rufen, um zu begreifen, wie komplex das Problem hehrer Raumwahrheiten ist. Im Grunde ist keinem Bauwerk auf der Welt zu versagen, dass es sich evolutorisch wandelt.

Aber es ist nicht der evolutorische, sondern politische Machtanspruch, der in Istanbul erschüttert. Die Hagia Sophia wird von ihren Rettern bedroht. Wobei die Umwidmung des Istanbuler Gotteshauses, wie die NZZ berichtete, kein Einzelfall ist und ein strategisches Kalkül erkennbar wird, für das die Provokation des Westens nur eine willkommene Nebenwirkung darstellen dürfte. Die Sophienkirchen in İznik und Trabzon, resakralisiert und als Moscheen ausgewiesen, sind der Hagia Sophia in Istanbul vorausgegangen. Die Beispiele machen deutlich: Erdoğan geht es nicht allein um eine Wiederherstellung religiöser Räume; es geht ihm um die Zerstörung denkmalwerter Räume - es geht ihm um die Destruktion des Geschichtlichen.

Es liegt immer etwas Triumphales in der Umwidmung, weil das Eigene gegen das zu Überwindende gesetzt wird. Nichts anderes, auch wenn man die politische Agenda dahinter befürworten mag, geschah, als nach dem Krieg die Besatzungsmächte vormalige "Führerbauten" und andere Machtzentren zu Kulturstätten des Demokratischen umwidmeten. Noch lange nach 1945 überlegte man, ob man aus ehemaligen Konzentrationslagern Erinnerungsorte oder Supermärkte machen sollte.

In den letzten Dekaden mussten Hunderte, bald Tausende katholische und evangelische Kirchen schließen in einem Land, das dem Glauben an die Belohnungen im Himmelreich wenigstens so intensiv anhängt wie dem Glauben an die irdischen Renditen des Immobilienmarkts. Selbstverständlich sollte man den pseudoreligiösen Furor der Erdoğans dieser Welt als das begreifen, was er ist: Machtpolitik. Was wäre aber, wollte man in München die neuromanisch von Leo von Klenze Anfang des 19. Jahrhunderts erbaute, im Zweiten Weltkrieg teilzerstörte und später als Konzertsaal profanisierte Allerheiligen-Hofkirche wieder zur Sakralstatt des Glaubens umdeuten? Wäre dann die Empörung auch so groß wie die über das, was sich in Istanbul tut? Man kann das nur hoffen. Oder glauben. Doch um den Glauben geht es hier wie da nur am Rande.

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