Süddeutsche Zeitung

Hafti und Xatar als Coup:Wird die Welt schlechter, weil man darüber rappt?

Haftbefehl und Xatar rappen auf "Der Holland Job" über einen gar nicht so fiktiven Kunstraub - und zeigen bemerkenswerte rhetorische Kniffe. Dann kommt der Bonus-Track "AfD".

Von Jan Kedves

Was passiert?

Xatar, also der berühmte deutsche Rapper und Produzent Giwar Hajabi aus Bonn, sitzt in einer Einzelzelle in einem holländischen Gefängnis und wird von seinem Cousin, gespielt von Haftbefehl, also dem berühmten deutschen Rapper Aykut Anhan aus Offenbach, befreit. Haftbefehl schließt einfach Xatars Einzelzelle auf und die beiden schlurfen ganz easy raus. Erst auf der Straße beginnt die Verfolgungsjagd, in deren Verlauf die beiden Rapper selbstredend sehr viel Munition verballern und in einem roten Mercedes-Cabriolet mit dem Nummernschild "AC-AB 00" davonrasen. Seit dem Bundesverfassungsgerichtsentscheid von Ende Juni weiß man ja: Die Polizistenbeleidigung ACAB ("all cops are bastards") ist vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, in Deutschland zumindest. In Holland auch?

So also beginnt der erste von drei jeweils zehnminütigen Kurzfilmen, die Xatar und Haftbefehl unter dem Namen COUP zu ihrem gemeinsamen Album "Der Holland Job" (Four Music) gedreht haben. Warum wir diesen Text mit einer Szenenbeschreibung beginnen? Weil "Der Holland Job" in erster Linie ein stuntgeladener Gangster-Actionfilm ist, und das Album eine Art Soundtrack dazu. Im weiteren Verlauf erfährt der Zuschauer, dass Xatar einsaß, weil er in Rotterdam einen spektakulären Kunstraub eingefädelt hatte. Die Beute, ein wertvolles Ölbild, befindet sich noch immer in ihrem Versteck. Nur: Ein böser Albaner hat es auf das Bild abgesehen.

Holland, Raub und Gefängnis: Die Eckdaten stimmen, wie man seit Xatars unterhaltsamer und stellenweise überraschend tiefgründiger Autobiografie "Alles oder nix" aus dem vergangenen Jahr weiß; der Rest ist erfunden beziehungsweise fiktionalisiert. Das ist verwirrend, klar. Und es wird nicht unbedingt klarer dadurch, dass Haftbefehl im Track "Alles Kebap" an Xatar gerichtet rappt: "Von allen Seiten fragen sie: Wo ist dein Gold?" Müsste er nicht, um im Bild - beziehungsweise: auf der fiktionalisierten Ebene von "Der Holland Job" - zu bleiben, eher fragen: "Wo ist das Bild?" Das Bild hängt irgendwie schief.

Wie klingt das?

In den meisten Tracks auf "Der Holland Job" lässt Haftbefehl Xatar den Vortritt, sprich: Xatar fängt an, Haftbefehl steigt erst nach dem Refrain ein, übernimmt die zweite Strophe. Das führt zu dem Eindruck, Xatar würde das Album dominieren. Das könnte aber auch daran liegen, dass ihn die Zusammenarbeit mit Haftbefehl reimtechnisch sehr angespornt hat und dass er hier überhaupt viel frischer klingt als sonst. Die Beats auf dem Album sind nämlich von Trap und Reggaeton beeinflusst und somit viel moderner und packender als die gemächlich schunkelnden Retro-Neunziger-Westcoast-Beats à la Dr. Dre, die Xatar solistisch bevorzugt und die im vergangenen Jahr auch sein Album "Baba aller Babas" prägten.

Haftbefehl hingegen glänzt auf "Der Holland Job" nicht ganz so. Das könnte wiederum daran liegen, dass die Geschichte des Albums nicht wirklich seine eigene Geschichte ist. Er war ja, soweit man weiß, bislang in keinen spektakulären Raub verwickelt und saß auch nicht, weder in Holland noch in Deutschland, im Gefängnis. Was die Frage aufwerfen könnte: Wie "real" ist Haftbefehl hier überhaupt?

Bestens. Harmonieren ist ja bei einem Hip-Hop-Kollaborations-Album dieser Art, bei dem zwei Rap-Größen sich zusammentun, sehr wichtig. Kanye West stahl Jay Z auf "Watch the Throne" (2011) nicht die Show und andersherum. Mos Def und Taleb Kweli ließen sich auf dem gemeinsamen Album "Black Star" (1998) gegenseitig genügend Raum. Ähnlich halten es Haftbefehl und Xatar. Sie sind weniger Konkurrenten, mehr echte Freunde. Beide sind Kurden, beide waren mal Drogendealer, die heute damit kokettieren, dass sie möglicherweise noch immer Drogendealer sind. 2009 haben sie sich auf dem Rheinkultur-Festival in Bonn kennengelernt und hätten, so sagen sie, gerne schon viel früher zusammengearbeitet.

Aber dann saß Xatar von 2012 bis Ende 2014 ja erstmal aufgrund eines Goldraubes drei Jahre im Gefängnis - eine Zeit, in der Haftbefehl mit seinem Album "Russisch Roulette" zum beliebtesten deutschen Gangsta-Rapper wurde, der crossmedial, sogar in den Feuilletons, für seinen herausgeballerten neodeutschen Sprachmix aus Kurdisch, Türkisch, Arabisch, Italienisch und Ghetto-Slang-Deutsch gefeiert wurde.

Welche rhetorischen Kniffe gibt es?

Am interessantesten ist eigentlich, wie Haftbefehl und Xatar an der Logik drehen, oder man könnte sagen: wie sie Kausalitäten auf den Kopf stellen. "Nutten bringen Geld, Geld bringt Nutten", heißt es in "Paranoid", einem Track, der ohnehin eine schöne Mehrdeutigkeit dadurch gewinnt, dass "Para" auf Türkisch "Geld" bedeutet und man, wenn man als Drogendealer oder Zuhälter (oder beides) zu Geld gekommen ist, erst recht paranoid wird - und zwar über die Frage, wer einem das Geld auf welche Weise wieder abnehmen will. Aber zurück zur umgedrehten Kausalität: Welche rhetorische Strategie würde sich besser für Gangsta-Rap eignen? Gangsta-Rapper sehen sich ja immer wieder, vor allem aus dem bürgerlichen Milieu, Vorwürfen ausgesetzt, sie würden mit ihrer Musik die Jugend zu Kriminalität anstacheln. Aber was war zuerst da: der Gangsta-Rap oder die schlechte Welt? Wird die Welt schlechter, weil man darüber rappt, wie schlecht sie ist?

Alles schön und gut, aber: Wo ist denn jetzt das Bild, beziehungsweise das Gold versteckt?

Wer sich auf irgendwelche Hinweise freut: Fehlanzeige.

Und am Schluss: Showdown?

Ja, wobei der Showdown mit der Kunstraubgeschichte des Albums nichts zu tun hat. Der letzte Song auf dem Album, "AfD", hat eher Bonus-Track-Charakter, aber er hat es in sich. Eigentlich ist "AfD" sogar der Hit des Albums. "Vom Dönerfleisch heut' Dünnschiss - der Flüchtling ist dran schuld. Wird deine Tochter nicht vernünftig - der Flüchtling ist dran schuld. Findest kein' Platz in der U-Bahn - der Flüchtling ist dran schuld", rappen Xatar und Haftbefehl hier zu hart abgehackt knallenden Beats. Selten wurde die Mechanik der Sündenbockprojektion - also: Wir, die Mehrheit, machen einfach eine wehrlose Minderheit für alle unsere Probleme verantwortlich - anschaulicher in einen Track gepackt.

Xatar und Haftbefehl werden hier richtig politisch, AfD steht in ihrem Refrain für "Ausländer für Deutschland". Überhaupt kommt im Refrain des Tracks wieder die Strategie der umgedrehten Kausalität zum Tragen: "Flüchtlinge bringen Flous durch Waffenexporte", rappen die beiden hier, also explizit nicht: Waffenverkäufe spülen Geld in die Staatskasse, ziehen als negative Konsequenz aber irgendwann Flüchlinge nach sich - nein, das wäre die gängige Narration von Waffenexportkritikern. Xatar und Haftbefehl wenden den Zusammenhang ins Aktivische, überspitzen ihn, ganz im Sinne von: Flüchtlinge exportieren Waffen! Müsste Deutschland sie dann nicht erst recht willkommen heißen?

Das sind natürlich einigermaßen komplexe Gedankengänge, die so manch einer Gangsta-Rappern eher nicht zutrauen würde. Und als ob sie selbst diese Zuschreibung - also: dass Gangsta-Rapper eher unterbelichtet sind - persiflieren wollten, verabschieden sich Xatar und Haftbefehl gleich in der nächsten Zeile mit: "Ach, scheiß ma' drauf! Lass ma' McDonald's chillen!" Allein für diesen genialen Track lohnt sich das gesamte Album.

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