Süddeutsche Zeitung

Philosophie:Die wichtigsten Werke von Habermas

Jürgen Habermas' Diskurs- und Kommunikationstheorie vertraut der Kraft des Argumentierens. Ein Überblick über sein Schaffen.

Von Johan Schloemann; illustriert von Stefan Dimitrov

Mit der Aufklärung entstand eine bürgerliche politische Öffentlichkeit. Deren moderne Geschichte erzählt Habermas' erstes publiziertes Buch von 1962. Es ist seine Habilitationsschrift, die er bei dem marxistischen Politologen Wolfgang Abendroth verfasste. Das Prinzip der Öffentlichkeit musste sich erst gegen Geheimpolitik und Zensur durchsetzen. Doch die Kommerzialisierung der Massenmedien bedrohte dann wieder das vernünftige Argumentieren - eine Warnung, die sich heute auf die digitale Sphäre übertragen lässt.

So hieß die Vorlesung, mit der Habermas 1965 seine Professur in Frankfurt am Main antrat und an die dortige "kritische Theorie" anknüpfte. 1968, im Jahr der Studentenunruhen, fand das gleichnamige Buch zumindest als Schlagwort viel Aufmerksamkeit, denn es ging auch um den Auftrag der Universität: Die Wissenschaft müsse, statt sich szientistisch für wertfrei zu halten, immer ihre lebenspraktischen Wurzeln bedenken und "emanzipatorisch" sein. Mit Denkern von Immanuel Kant bis Sigmund Freud will das anspruchsvolle Buch zeigen, "dass radikale Erkenntniskritik nur als Gesellschaftstheorie möglich ist".Es ist ein Produkt seiner Zeit, der Ansatz bleibt aber in Zeiten der naiven Wissenschaftsgläubigkeit interessant.

Nach Jahren der Arbeit am Max-Planck-Institut in Starnberg erschien 1981 dieses zweibändige Hauptwerk. Habermas wendete sich intensiv der Sprachphilosophie und der Systemtheorie zu. Im Kern geht es um die Rationalität, die der sprachlichen Interaktion von Menschen innewohnt. Hier entwirft Habermas seine "ideale Sprechaktsituation", und was die Kritik der Gesellschaft angeht, so akzeptiert er die eigene Dynamik von Wirtschaft und Staat, die aber unsere Lebenswelt nicht zu stark "kolonisieren" dürfen.

Habermas' Artikel, Reden und Interviews, die als "Kleine Politische Schriften" Buchform annahmen, zeigen immer wieder seine erstaunliche thematische Bandbreite und die Fähigkeit, der Gegenwart Stichworte zur Zeitdiagnose zu geben. Eines davon, das gerne aufgegriffen wurde, war eben die "neue Unübersichtlichkeit" von 1985. Habermas war stets die "Rollentrennung" zwischen Intellektuellem und Philosophieprofessor wichtig. Im Rückblick aber löst sich diese Trennung immer wieder auf.

Diese Grafik soll nicht nahelegen, dass Jürgen Habermas ein zirkuläres Geschichtsbild hätte. Aber sie zeigt doch seine Hoffnung auf "das, was fehlt". Während er den "elitären Wahrheitsbegriff der Alten" zurückweist, will er den Anspruch der Aufklärung auf Besserung durch Vernunft nicht aufgeben. Titelgebend für diesen Sammelband, 1990 bei Reclam Leipzig erschienen, ist seine Adornopreis-Rede von 1980, die gegen "Neokonservativismus" der Postmoderne zu Felde zieht. Diesen Angriff auf unterschiedliche französische Denker wie Jacques Derrida und Michel Foucault hat er in dem Buch "Der philosophische Diskurs der Moderne" (1985) dann weiter ausgebaut.

Dieses Buch erschien 1992, also im wiedervereinigten Deutschland. Darin formuliert Habermas seine Theorie der "deliberativen Demokratie" - eine Versöhnung der kritischen Theorie mit dem westlichen Rechtsstaat. Dieser wird begründet durch eine Verbindung von Republikanismus (Volkssouveränität) und Liberalismus (individuelle Freiheit): beides sei "gleichursprünglich" und ohne das andere nicht zu haben. Und eine Annäherung an die Wahrheit gebe es nur durch Perspektivwechsel und "intersubjektiven Konsens". Das demokratische "Diskursprinzip" lautet: "Gültig sind genau jene Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können."

In der Steinzeit entstanden die menschliche Sprache und religiöser Kult. Darin sieht Habermas eine "archaische Quelle" der Moral und der Solidarität. Deswegen sei die Philosophie weder heute noch historisch eine "geborene Gegnerin der Religion". Und deswegen hat sich Habermas als großes Alterswerk eine "Genealogie von Glauben und Wissen" vorgenommen. Es wird Ende September bei Suhrkamp erscheinen und stolze 1700 Seiten umfassen.

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SZ vom 18.06.2019
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