Werden Tausende Dokumente aus dem Nachlass von Cornelius Gurlitt demnächst im Internet abrufbar sein? Im Umfeld der Familie gibt es solche Hinweise, dass Geschäftsunterlagen von Hildebrand Gurlitt, dem NS-Kunsthändler, dessen Sammlung als "Schwabinger Kunstschatz" berühmt wurde, demnächst online eingesehen werden können. Ein umfangreiches Projekt, bei dem nicht nur die Seiten von Geschäftsbüchern, Adressbüchern und Kalendern auf gut 15 000 Digitalseiten zugänglich gemacht werden sollen, sondern auch Fotografien und Geschäftskorrespondenz. Dazu Abbildungen der Vorder- und Rückseiten von Kunstwerken sowie Detailaufnahmen. Die Namen von Käufern und Verkäufern sollen nicht geschwärzt werden - ein für den Kunstmarkt beispielloser Vorgang.
Die ersten Seiten sollen sogar schon in den nächsten Tagen online gestellt werden, bis Ende September wären dann alle Unterlagen veröffentlicht - eine Fundgrube für Provenienzforscher, aber auch für die möglichen rechtmäßigen Besitzer von "Raubkunst": Weil nicht nur die Sammlung von Hildebrand Gurlitt Werke aus jüdischem Vorbesitz enthielt - sondern weil er als bedeutender Kunsthändler während der NS-Zeit, der auch für das geplante Führermuseum in Linz einkaufte, historisch bedeutende Dokumente hinterlassen hat.
Es handelt sich dabei nicht um die Kisten voller Unterlagen, die in der Wohnung von Gurlitt in München sichergestellt wurden, als Beamte dort im Jahr 2012 dessen Sammlung beschlagnahmten. Sondern um Schriftstücke, die Christoph Edel, der amtlich eingesetzte Betreuer von Cornelius Gurlitt, sichern ließ, als sich der im Frühjahr 2014 bereit erklärte, Werke aus seinem Besitz zu restituieren und sein Erbe selbst aufzuarbeiten. Danach fuhren Kunsttransporter vor der Villa am Rande Salzburgs vor, in der Cornelius Gurlitt jahrelang gelebt hatte. Die Räumung und Bergung von insgesamt 25 000 Dokumenten und 250 Kunstwerken dauerte gut fünf Tage. Doch die Aufarbeitung des Materials brach ab, als Cornelius Gurlitt im Mai 2014 starb. Seither hat niemand mehr die Dokumente gesichtet oder sortiert, auch die von der Bundesregierung eingesetzte Task Force nicht.
Weil der Kunsterbe in seinem Umfeld "Conny" genannt wurde, hat die Berner Zeitung das bislang noch nicht offiziell bestätigte Unterfangen nun "Conny Leaks" getauft. Die Zeitung mutmaßt, dass die Auseinandersetzung zwischen Angehörigen des verstorbenen Cornelius Gurlitt und dem Kunstmuseum Bern der Hintergrund für die Aktion sind: Seit Cornelius Gurlitts Cousine Uta Werner einen Erbschein beantragt hat, muss das Nachlassgericht die Gültigkeit des Testaments überprüfen, in dem das Schweizer Museum als Alleinerbe eingesetzt wurde.
Solange deutsche Gerichte sich mit dem Fall beschäftigen, liegen die Unterlagen weiterhin in München. Anfang dieser Woche hatte Uta Werner deswegen auch beim Nachlasspfleger Stephan Brock um Erlaubnis zur Veröffentlichung nachgefragt. Aus dem Umfeld von Uta Werner ist zu hören, dass ihr Schritt zur transparenten Aufarbeitung der Sammlung beitragen soll und sie die Provenienzforscher bei ihrer Arbeit unterstützen möchte: Der Name Gurlitt solle nicht länger für Unrecht stehen. Deswegen hatte sie auch schon Verzögerungen bei der Restituierung von Gemälden kritisiert.