Süddeutsche Zeitung

Deutsche Gegenwart:Liebe, eine knappe Ressource

Lesezeit: 3 min

In Gunther Geltingers  "Benzin" reist ein schwules Paar durch Südafrika.

Von Christoph Schröder

Dieser Roman vibriert von der ersten Seite an. Eine Mischung aus Verlustangst und Begehren, aus Verzweiflung und Abenteuerlust, aus Selbstekel und erotischen Fantasien treibt ihn an. Gunther Geltingers Helden sind unterwegs auf einer schnurgeraden Straße in Südafrika: Alexander und Vinzenz, beide Mitte vierzig. Alexander ist Naturwissenschaftler und verdient das Geld; Vinz ist Schriftsteller, hat zwei Romane veröffentlicht, in denen sich, wie in "Benzin" selbst, Lebensrealität und persönliches Umfeld auf eine Art mit Fiktion vermischen, die Vinz im gemeinsamen Freundeskreis nicht nur Zustimmung eingebracht hat. Denn Vinz, das wird sich herausstellen, ist ein ebenso radikaler Schriftsteller wie Gunther Geltinger selbst; einer, der den Schmerz nicht scheut und dessen literarische Darstellung erst recht nicht.

Vinz und Alexander sind seit Jahren ein Paar, und es ist einer der Grundkonflikte, inwieweit eine schwule Beziehung anders mit den Anfechtungen von Routine, Alltag und emotionaler Vernachlässigung umgehen muss oder kann als eine heterosexuelle. Schon seit Langem haben die beiden eine Abmachung: Sex außerhalb der Beziehung ist in Ordnung, über Nacht wegbleiben oder sich verlieben ist verboten.

Die Beziehung hat offensichtlich einen Knacks, der sich in Afrika binnen weniger Tage zu einem Abgrund auftut. Sie reisen zu zweit in einem Mietwagen, und vielleicht suchen sie auf den endlosen Pisten in Südafrika nicht nur Abstand, sondern auch Gefahr. Sechzig Prozent der Südafrikaner, so wissen sie, halten Homosexualität für inakzeptabel. Die Stimmung im Auto ist angespannt. Die Warnungen, die man ihnen vor der Reise mitgegeben hat, tun ihre Wirkung: Nicht anhalten, falls ein Verletzter auf der Straße liegt, niemandem vertrauen. Die alten kolonialen Konflikte und das schlechte Gewissen der weißen Urlauber in einem vom Apartheidsystem befreiten Land reisen mit. Und nicht nur die: Da ist auch noch Manuel, den Vinz über eine Dating-App kennengelernt und in den er sich zu Hause in Köln verliebt hat. Auf seine erlösenden Nachrichten auf dem Mobiltelefon wartet Vinz ebenso sehnsüchtig wie darauf, dass der Kältepanzer zwischen ihm und Alexander zerspringen möge.

"Benzin" ist ein rasantes Buch von großer technischer Raffinesse. Die Übergänge zwischen Romanrealität und Vinz' Imagination sind fließend; es kann passieren, dass eine geschilderte Szene übergangslos allein in der Vorstellungskraft des Schriftstellers Vinz weitergeführt und anschließend zum Ausgangspunkt zurückgespult wird, von wo aus sie einen anderen, unerwarteten Verlauf nimmt.

Die verzweifelte Hoffnung, die Welt verändern zu können, indem sie im Text neu erschaffen wird

Die elegante Überblendung und die doppelte Perspektive sind weder Spielerei noch Selbstzweck, sondern in Vinz' ästhetisches Programm integriert, nach dem seine Romane das Leben im Wortsinn beschreiben, überschreiben und umgekehrt. Es ist ein Sehnsuchtsprogramm, das eine geradezu verzweifelte Hoffnung in die Literatur setzt, nämlich die Hoffnung, die Welt zum Besseren hin verändern zu können, indem sie im Text neu erschaffen wird. Die Wechselbeziehung von Kunst und Realität, die Geltinger auch schon in seinem Debüt "Mensch Engel" erzählerisch ausgeführt hat, hat nichts Angestrengtes. "Benzin" ist ein mitreißendes Buch und sein Sog zieht mitten hinein in das Grenzgebiet zwischen westlichen Projektionsvorstellungen und afrikanischer Realität.

Es dauert nicht allzu lange, bis genau das geschieht, was nicht hätte geschehen sollen: Auf der endlosen dunklen Straße tut es einen Schlag, ein Reifen platzt, und im Scheinwerferlicht erkennen Vinz und Alexander einen verletzten Mann. Gegen jede Vorsicht steigen sie aus und kümmern sich um ihn; er hat eine Wunde am Kopf (ein Täuschungsmanöver?) und eine Verletzung am Arm (eine Simulation?). Sie nehmen den jungen Mann, der sich als Unami vorstellt, mit, setzen ihn auf die Rückbank, den Schraubenschlüssel stets griffbereit, aber mit schlechtem Gewissen. Der Konflikt zwischen moralisch richtigem Handeln und Selbstschutz, der aber den kolonial gefärbten Blick auf die Ureinwohner als bedrohliche Wilde einschließt, ist eine der Triebfedern des Romans. Unami wird zu ihrem Begleiter, Reiseleiter und zu einer symbolischen Persona, auf der Vinz und Alexander ihre Wünsche und Defizite abladen, mal mit schlechtem Gewissen, mal mit einer Rücksichtslosigkeit, die auch darauf zielt, den jeweils anderen zu verletzen.

Unami erweist sich als Flüchtling aus dem benachbarten Simbabwe. Gegen jede äußere Logik fährt das Trio genau dorthin zurück, in Richtung Victoriafälle. Die Situation wird zusehends unübersichtlich. Während Alexander mit Unami, dessen Zustand sich stetig verschlechtert, medizinische Hilfe sucht, gerät Vinz in eine lebensgefährliche Abenteuergeschichte.

Geltinger schreibt derb über Sex und ungemein zärtlich und differenziert über Liebe

Gunther Geltinger erzeugt in seinem Roman selbst die Atmosphäre, die Vinz "eine hochfrequente Nervosität, das Seelenfieber des Reisens" nennt. Der Titel "Benzin" ist mehrdeutig. Die Schergen des diktatorischen Regimes in Simbabwe haben den Schlauch eines Autoreifens mit Benzin gefüllt, ihn Unamis Bruder um den Hals gelegt und angezündet. Jenseits dieser konkreten Bedeutung geht es in diesem Buch aber auch permanent um den Kampf um verknappte Ressourcen der Aufmerksamkeit: um Begehren und Begehrtwerden, um Sex, Empathie, Rücksichtnahme und darum, von seinem Gegenüber so angeschaut zu werden, wie man es verdient hat.

Es gibt in "Benzin" bestechend gut formulierte Einsichten über die Liebe, deren Abflauen und das, was dann möglicherweise noch übrig bleibt. Gunther Geltinger schreibt ausgesprochen derb über sexuelle Verrichtungen, die nicht selten als reine Trieb- und Saftabfuhr daherkommen, aber ungemein zärtlich und differenziert über das, was einem Geschlechtsakt vorausgeht oder folgt.

Die Welt in "Benzin" ist heillos, aber sie ist sprachlich brillant gefasst. Was am Ende von Vinz' und Alexanders Liebesgeschichte übrig bleibt, ist offen. Aber es gibt einen neuen Roman, Vinz' dritten, und diesen, Geltingers dritten.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2019
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