"Guilty of Romance" im Kino:Fragmente eines Körpers der Liebe

Detektivin und Sex-Sklavin, Hausfrau und Pornodarstellerin, Professorin und Prostituierte: Mit "Guilty of Romance" beendet Sion Sono seine Hass-Trilogie und schickt drei Frauen auf einen erotischen Passionsweg. Nur woran sie zu tragen haben, lässt er offen.

Philipp Stadelmaier

Die Frau ist immerhin Detektivin im Polizeirevier Shibuya in Tokio, klar und kompetent, mit Tochter und einem Mann, der ihr den Rücken frei hält. Und doch gibt es da diesen unsichtbaren Anrufer. "Du magst es doch, meine kleine Sklavin zu sein", zischt er. Sie muss dieser Stimme folgen.

Film "Guilty of Romance" von Sion Sono

Im dritten Teil von Sion Sonos "Hass"-Reihe spielt Makoto Togashi als Mitsuko eine von drei Frauen, die ein Doppelleben führen. 

(Foto: Rapid Eye Movies)

Dann ist da die Hausfrau in der kalten Designerwohnung. Pünktlich jeden Morgen fährt ihr Mann ins Büro, um Bestseller zu schreiben. Sie platziert ihm die Hausschuhe millimetergenau, gießt ihm voller Liebe den Tee auf. Dennoch: Wenn sie heimlich den Anruf bekommt, ob sie den nächsten Pornofilm drehen will, wird sie nicht nein sagen.

Und schließlich ist da noch die Professorin im Hörsaal, Grundkurs japanische Poesie, dominant und stringent in ihrer Analyse. Tagsüber. Nachts bieten ihr Männer Geld, auf den Straßen des Vergnügungsviertels, oft einen schäbigen Preis: Sie ist nicht mehr die Jüngste. Sie wird annehmen, jedes Mal.

Drei Frauen sind es, deren Doppelleben und Obsessionen Sion Sonos "Guilty of Romance" erforscht, während er zugleich die Genealogie eines bizarren Mordfalls nachzeichnet, der sie verbindet. In einem Abrisshaus im Love-Hotel-Distrikt von Tokio wurde eine weibliche Leiche gefunden, grotesk zusammenmontiert mit Teilen einer Puppe.

Der Mord bleibt lange mysteriös, seine soziologische Botschaft scheint alsbald überdeutlich zu sein: Das Opfer wird die von unerfüllbaren Sehnsüchten geplagte Japanerin selbst sein, mit bürgerlichem Hintergrund, "guilty of romance". Ist sie also Opfer einer chauvinistischen Gesellschaft, die ihre Sexualität ausblendet im Ideal unberührter Reinheit? Die sie buchstäblich auf den Status einer Puppe reduziert, in Prostitution und Pornografie komplett verdinglicht? Jedenfalls wird es Zeit, dass sie ausbricht. Selbst wenn sie es mit dem Leben bezahlen muss.

Lustvolle Befleckung einer rigiden Sterilität, Exzess und Ekstase. Was sonst, wenn der Schriftsteller sich die Leidenschaft für seine Romane aufhebt, seine Frau aber mit beklemmender Höflichkeit behandelt (einmal lässt er sie sogar seinen Penis berühren - aber nur ausnahmsweise!). Oder wenn die Mutter der Literaturprofessorin - ganz Angehörige der alten Elite - von der Blutreinheit ihrer Kaste raunt, die ihre Tochter mit ihren zornig enthüllten Prostitutions-Eskapaden für immer verdorben habe.

"Guilty of Romance'" ist der Abschluss von Sonos "Hass"-Trilogie. Wäre die Triebfeder seiner Heroinen also das: ein Kreuzzug des Hasses gegen die Gesellschaft? Der Film zeigt uns eher: das Bürgertum nervt, sicher - die Soziologie allerdings auch. Denn einerseits sind die Männer die Feinde, und gleichzeitig alles andere als das. Männer spielen hier in jeder Hinsicht nur Nebenrollen: Meistens harmlos, durchaus liebenswürdig, etwas naiv und blind, ohne jede Autorität. Revoltieren - gegen so etwas? Nein, sagt der Schriftsteller einmal, man sei hier doch nicht in der Ehehölle von Henrik Ibsens "Puppenheim" - seine Frau solle ruhig arbeiten gehen.

Bleibt den Männern höchstens, ein paar alberne Fratzen zu schneiden und zu versuchen, so ein wenig Farbe in die eigene Fadheit zu bringen - wie jener Zuhälter-Clown in weißem Malermantel, eine obszöne und überzeichnete Manga-Figur, der pinke Farbbomben über den Brüsten der Hausfrau zum Platzen bringt, während er mit ihr Sex hat. Wenn er einen Anflug echter Bedrohlichkeit gewinnt, dann nur in der Überbetonung seiner lächerlichen Künstlichkeit.

Auf dem Weg durch Nacht und Selbsterniedrigung

Nein, bei den Männern lohnt sich der Hass nicht wirklich. Vielleicht ja wenigstens bei den Vätern? Die ersten beiden Teile der "Hass"-Trilogie weisen in diese Richtung. In ihnen hatte eine übermächtige und im Film inkarnierte Vaterfigur, die in "Love Exposure" priesterlich, in "Cold Fish" satanisch ausfiel, über die zunächst Unschuldigen eine Schuld verhängt. Und sie so mit dem Bösen und dem Hass infiziert wie mit einem Virus: Schuld wurde ihr Schicksal. Gerade hier aber, im dritten Film der Reihe, der die Schuld sogar im Titel trägt, sind die Frauen eben nicht mehr Opfer eines solchen väterlichen Schuldspruchs. "Guilty of Romance" wird den Vater des Hasses schuldig bleiben - der einzige Vater, der vorkommt, ist lange tot. Es ist der Vater der Professorin, der sie, wie man erfährt, früher heimlich begehrt und gemalt hatte - aber die Auflösung dieser Urszene enttäuscht noch die letzten, düstersten Erwartungen.

Wenn es also beinahe ständig Nacht ist in "Guilty of Romance", wenn Dauerregen fällt wie ein Schleier vor unseren Augen, dann, weil wir uns schwer tun, klar zu sehen, was Sonos Frauen treibt, wovon weg und zu was hin. Sion Sono taucht diese Nacht in ein Farblicht, das sie eher weiter verdunkelt als erhellt: als würde es in ihr jenen unsichtbaren und unzugänglichen Ort entstehen lassen, den der Film permanent umkreist. Der Ort hat sogar einen Namen: das "Schloss" - in Anlehnung an den Roman von Franz Kafka. Ein Ort, den alle suchen und niemand betreten kann. Der Sonos Heldinnen unwiderstehlich anzieht und dabei ganz unbestimmt bleibt. Der ihrem aktiven Eskapismus die Ahnung eines passiven, masochistischen Zuges beimischt.

Vielleicht ist dieses "Schloss" nicht mehr als ein Wort - ein Wort, das auch in dunkelroten Lettern über dem Tatort phosphoresziert. Wenn uns etwas führen kann in Sonos Film, dann ist es nicht Kafka, nicht Buñuels "Belle de jour", nicht Visconti und Mahler (dessen "Adagietto" aus "Tod in Venedig" hier immer wieder ertönt) - sondern allein die Frage nach der Bedeutung der Worte selbst. Bedeutung sei nichts abstraktes, erläutert die Professorin einmal der Frau des Schriftstellers, die ihre Schülerin geworden ist auf dem Weg durch Nacht und Selbsterniedrigung - Bedeutung habe einen Körper. Ihre Zuhörerin versteht nicht und weint. Und sie versteht, weil sie weint. Denn Sono zeigt ihre Tränen, gibt ihnen ein Bild und einen Körper, und uns damit die Bedeutung des Wortes "Träne" - im Kino.

Im Kino müssen Worte zu Bildern und Körpern, müssen durchlebt und erfahren werden. Wenn das, was sie bezeichnen, jedoch unsichtbar ist - wie "Liebe" und "Schuld" - dann werden sie erlitten. Noch hat die Liebe für dich keinen Körper, sagt die Professorin ihrer Schülerin - aber bald. Ihre Verkörperung wird zur Passion von Sonos Kino. Aus den Frauen macht er die Agentinnen dieser Passion. Die Ermordete am Anfang des Films zeigt den Preis dafür an: ihren Tod.

Koi no tsumi, Japan 2011 - Regie und Buch: Sion Sono. Kamera: Sohei Tanikawa. Mit Megumi Kagurazaka, Miki Mizuno, Makoto Togashi, Kanji Tsuda. Verleih: Rapid Eye Movies, 150 Minuten.

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