Süddeutsche Zeitung

"Guardians of the Galaxy Vol. 2" im Kino:Geniale Spaßvögel unterwandern das streng geführte Marvel-Imperium

Die "Guardians of the Galaxy" sind eines der letzten Kino-Biotope, wo wirklich noch herrlicher Unsinn möglich ist. Und weisen damit einen Weg in die Zukunft des Blockbusterkinos.

Von Tobias Kniebe

Manchmal muss man etwas weiter zurückgehen, um zum Kern der Dinge vorzustoßen. Hier zum Beispiel bis zur sagenhaften Filmfirma Troma in New York, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren mit ihren bizarren, äußerst billig produzierten Horrorspäßen von sich reden machte. Da fiel dann mal ein Hausmeister in ein Giftfass und mutierte zum grässlich verunstalteten Rächer ("The Toxic Avenger"); oder Lemmy von Motörhead gab den Erzähler einer Shakespeare-Adaption, in der sich Romeo und Julia als sexbesessene Inzest-Geschwister entpuppten ("Tromeo und Juliet").

Aus dieser versunkenen Welt, wo jeder Dollar zweimal umgedreht und jedes Gummikostüm dreimal verwendet wurde, führt nun eigentlich kein direkter Weg ins Herz des Marvel-Superhelden-Konzerns, in dem seit ein paar Jahren die reichste und mächtigste Kinoproduktionsmaschine der Gegenwart brummt. Vieles spricht inzwischen aber für die These, dass der gerissene Troma-Gründer Lloyd Kaufman dort erfolgreich einen Doppelagenten eingeschleust hat. Sein Name ist Gunn, James Gunn.

James Gunn, das ist verbürgt, war in seiner Jugend Troma-Drehbuchautor und Lloyd Kaufmans rechte Hand. Dann ging er nach Hollywood, wo er durch Filme wie den Nacktschnecken-Schocker "Slither" auf sich aufmerksam machte, und bekam schließlich von Marvel das Angebot, irgendwas mit den "Guardians of the Galaxy" zu machen, dem bis dato unbekanntesten Marvel-Superhelden-Team. Gunn sagte zu, hielt wahrscheinlich kurz Rücksprache mit seinem Agentenführer und postulierte dann seine erste irrsinnige Forderung: Alles, was die "Guardians" auf der Leinwand anstellen, muss musikalisch von gut abgehangenen Feelgood-Gassenhauern aus den Siebzigerjahren begleitet werden, am besten sogar von längst vergessenen One-Hit-Wondern.

Dem ganzen Bierernst des Actionkinos wird hier der Stecker gezogen

Das war womöglich als Sabotageakt gedacht, als subversive Troma-Aktion. Durch Umstände, die sich nicht mehr ganz rekonstruieren lassen, erhoben die Marvel-Bosse jedoch keinen Einspruch - und also kam im Jahr 2014 "Guardians of the Galaxy Vol. 1" ins Kino, in dem ein uralter Walkman und Mixtape aus den Seventies tragende Rollen spielen und diese Songs tatsächlich alles dominieren. Jede Szene wirkte so, als hätte James Gunn sie mit breitem Grinsen inszeniert.

Auf das, was dann passierte, war niemand so recht vorbereitet: Die Zuschauer liebten nicht nur das wild zusammengewürfelte "Guardians"-Team, in dem auch ein zynischer Waschbär und ein Baum mit sehr eingeschränktem Wortschatz mitmischen, sie liebten vor allem die Idee, dass Weltraumkämpfe ab sofort von Bands wie Blue Suede oder den Runaways begleitet werden müssen. Der Soundtrack erreichte Platin- und der Film Blockbusterstatus - und seit diesem Erfolg ist die "Guardians"-Welt jetzt eines jener Kino-Biotope, wo wirklich noch herrlicher Unsinn möglich ist.

James Gunn, der Agent und Mastermind, kostet das in seiner Fortsetzung genussvoll aus. Ein zweites Seventies-Mixtape ist aufgetaucht, es ist noch ein wenig wilder zusammengestellt als das erste. Die ganze Eröffnungssequenz des neuen Films besteht nun zum Beispiel daraus, dass "Mr. Blue Sky" von Electric Light Orchestra ungekürzt durchläuft und jemand dazu tanzt. Im Hintergrund findet zwar noch eine Weltraumklopperei mit irgendeinem Krakenmonster statt, aber James Gunn macht klar, dass dieser Kampf eigentlich keine Aufmerksamkeit mehr verdient - der Grund ist egal, der Ausgang ist eh klar, dem ganzen Bierernst des Actionkinos wird hier auf eine Weise der Stecker gezogen, der wirklich an die besten Troma-Tage erinnert. Der Tänzer im Vordergrund aber - nur um den ganzen Wahnsinn korrekt wiederzugeben - ist Baby Groot, ein hüftschwingendes Baum-Kleinkind mit großen schwarzen Kulleraugen.

Wer besiegt wen, wer rettet wieder die Galaxie, wann kommt die nächste Weltraumschlacht voller Spezialeffekte? All das ist hier eher unwichtig. Stattdessen wird beim Anflug auf einen herrlich psychedelischen Hippieplaneten George Harrisons "My Sweet Lord" angespielt, und dann ist auch mal Zeit, sehr intensiv und sehr lang über Familie und Beziehungen zu reden.

Denn die "Guardians", die im ersten Teil zur Fünfer-Gang zusammengefunden haben, sind eine Art Wahlfamilie aus Verlassenen und Versehrten. Da ist der waffenvernarrte Waschbär Rocket, aus einem Genlabor entkommen; die grünhäutige Gamora, von ihrem bösen Adoptivvater zur tödlichsten Kämpferin der Galaxie ausgebildet; der Muskelprotz Drax, dessen Frau und Kind ermordet wurden, und der Schatzjäger Peter Quill, halb Erdling, halb Gott, der seinen extraterrestrischen Vater nicht kennt und für immer auf der Musik seiner früh verstorbenen Mutter hängen geblieben ist - daher die Mixtapes. Groot, der sprechende Baum, musste sich beim letzten Abenteuer für die anderen opfern - überlebt hat aber im wahrsten Sinne des Wortes ein Spross, der jetzt heranwächst.

Gegen die Wahlfamilie stehen die Herkunftsfamilien mit ihren Traumata. Der Vatergott (Kurt Russel) erscheint und zwingt seinen Sohn Peter, sich selbst zu erkennen. Gamora muss den ewigen Krieg gegen ihre missbrauchte Schwester Nebula beenden, vermeintliche Schurken entpuppen sich als wahre Familienmenschen, und alle kümmern sich rührend um den Babybaum. Was bei allem Irrsinn am Ende den Weg in die Zukunft weist: Ein Blockbusterkino, das dem Fetisch seiner Computer-Kämpfe endlich abgeschworen hat, hätte wieder Raum für Humor, Subversion - und sogar Gefühle.

Guardians of the Galaxy Vol. 2. - Regie und Buch: James Gunn. Kamera: Henry Braham. Mit Chris Pratt, Zoe Saldana. Disney, 136 Min.

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SZ vom 27.04.2017/doer
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