Süddeutsche Zeitung

Grünes Gewölbe in Dresden:Wenn weißes Gold im Spiegel glänzt

Nach der Wiedereinweihung der Frauenkirche erhält Dresden ein weiteres Wunderwerk zurück. Am 1. September wird das "Grüne Gewölbe" offiziell eingeweiht.

Gottfried Knapp

Es klingt ein wenig aufschneiderisch, wenn man behauptet, dass Deutschland in diesen Tagen eines seiner Weltwunder zurückerhält. Doch anders kann man das Ereignis, das in Dresden zu feiern ist, kaum charakterisieren. Kein Bauwerk, kein Museum in Deutschland ist seinen konkurrierenden Mitbewerbern auf internationaler Ebene so deutlich überlegen wie das von August dem Starken im "Grünen Gewölbe" des Dresdner Schlosses zusammengetragene Schatzkammermuseum, das alle anderen kaiserlich-königlich-fürstlichen Kunst- und Wunderkammern dieser Erde zumindest partiell arm aussehen lässt.

Vor zwei Jahren wurden die kunsthistorisch wichtigsten Stücke aus der Sammlung des Grünen Gewölbes im ersten Stock des Schlosses, also direkt über der historischen Raumfolge, die dem Ganzen den Namen gab, in sachlich prägnanter Form wieder ausgestellt.

Dichtes Trommelfeuer der Eindrücke

Nicht weniger als eine Million Besucher hat sich dort seither zwischen den Vitrinen, die erstmals ein Umschreiten der Preziosen möglich machen, hindurchgezwängt und das Staunen geübt vor der niederschmetternden Fülle erstrangiger Meisterstücke des Kunsthandwerks.

Auf welchem Niveau es im Stockwerk darunter, also in den Originalräumen des historischen Gewölbes, jetzt, nach der Restaurierung, weitergeht, war schon zu ahnen gewesen, als in den beiden Sonderausstellungssälen im Obergeschoss ein paar Monate lang die Bernsteinarbeiten aus der Sammlung zu sehen waren: aberwitzige Kleinplastiken, Spielfiguren, ja ganze Möbelgarnituren aus dem honigfarbigen Stoff.

Dass die Staatlichen Kunstsammlungen neben ihren Dresdner Aktivitäten fast ständig auch noch repräsentative Sonderausstellungen aus den Beständen der Kunstkammersammlung um die Welt schickten, konnten sich die Besucher, die dem dichten Trommelfeuer der Eindrücke im Neuen Grünen Gewölbe ausgesetzt waren, ohnehin kaum vorstellen.

Jetzt, nach vier Jahren des Restaurierens, Konservierens und Rekonstruierens in den beschädigten oder zerstörten Räumen des historischen "Gewölbes", ist es so weit. Die 3000 Kunstobjekte und Schmuckstücke, die bislang im Museum nicht gezeigt werden konnten oder die bewusst zurückgehalten wurden, weil sie ihre alte Stelle im barocken Gesamtkunstwerk wieder einnehmen sollten, sind auf ihre angestammten Plätze in der revitalisierten historischen Raumfolge zurückgekehrt.

Quadrupelfugen aus Gold, Silber und Edelsteinen

Sie kommen nun, wo viele Plätze auf den kunstvoll geschnitzten Konsolen vor den Spiegelwänden bewusst nicht mehr besetzt sind, weil die vormals dort platzierten Objekte in den perfekt temperierten Vitrinen im Obergeschoss ihren endgültigen Standort gefunden haben, markanter zur Geltung als zuvor in der gedrängten Überfülle des Barocks. Wie die alten Fotos zeigen, haben die Gestalter Augusts des Starken vor den starkfarbigen und verspiegelten Wänden komplizierte Quadrupelfugen aus Gold, Silber, Edelsteinen, Perlen, Elfenbein und Email aufgeführt.

Vor allem aber die Säle selber, die ja als hochrangiges bildnerisches Gesamtkunstwerk des Barocks zurückzugewinnen waren, kommen nun, wo nicht mehr Hunderte von skulpturalen Ausnahmeobjekten die Aufmerksamkeit abziehen, erstmals in ihrem ganzen elitären Individualismus zur Wirkung. Wer freilich eine minutiöse Neuschöpfung aller bildnerischen Details wie etwa beim Bernsteinzimmer im Schloss Zarskoje Selo erwartet, der wird eines Besseren belehrt.

Jeder der sieben historischen Räume des Grünen Gewölbes hatte bei der Bombardierung Dresdens sein eigenes Geschick und wurde darum bei der Wiederherstellung auch eigens behandelt. In den drei völlig zerstörten Räumen auf der Hofseite konnten bei den Bergungsarbeiten nur angeschmolzene Reste der vergoldeten Wappenreliefs aus Kupfer und ein paar Splitter der grandiosen gold-roten Spiegelglasmalereien aus dem Juwelenzimmer geborgen werden.

In zweien der Außenräume aber und vor allem im großen Pretiosensaal an der Ecke zum Theaterplatz hin haben die prächtigen Renaissance-Gewölbe mit ihrem einzigartigen weißen Stuckdekor aus der Zeit um 1550, aber auch die farbkräftigen barocken Einbauten mit den malachitgrünen Bemalungen der Pfeiler und Wände, die dem Ensemble den Namen "Grünes Gewölbe" eingebracht haben, hinter den meterdicken Mauern die gewaltigen Druckwellen aus der Stadt und die Brände in den Nachbarräumen erstaunlich gut überstanden.

Eintauchen in das Großwerk August des Starken

Die heutigen Besucher des Historischen Grünen Gewölbes - es nimmt nunmehr den gesamten Ostflügel des Schlosses ein - werden zunächst in die große Pfeilerhalle des Vorgewölbes geführt, in dessen Dämmer, nach dem Muster der Ausstellung im Obergeschoss, die Kunstkammerstücke der Spätgotik und der Renaissance in hell ausgeleuchteten Vitrinen effektvoll zur Schau gestellt sind. Im oktogonalen Raum im Eckturm korrespondieren - eine überraschende Pointe - die meisterlichen Bibelreliefs des Riemenschneider-Schülers Peter Dell mit den schlichten Hinterlassenschaften Luthers und anderer Reformatoren.

Durch eine Klimaschleuse, die das staubfreie Grüne Sanctissimum atmosphärisch perfekt von der Normalität des Vorgewölbes trennt, betritt man den ersten Raum des begehbaren Schatzhauses: das mystisch abgedunkelte Bernstein-Kabinett. Es zählt noch nicht zur Suite des alten "Gewölbes" und blieb darum ohne Dekor. Hier leuchten in entspiegelten Glasvitrinen die Wunderdinge aus Bernstein über grüngrauen Serpentinit-Sockeln magisch auf.

Im Elfenbeinzimmer taucht man dann ein in das Großkunstwerk, das August der Starke 1723/24 in die Gesellschaftsräume des Renaissance-Schlosses hat hineinmodellieren lassen. Hier, wie im Zimmer der Barockbronzen, dem räumlichen Pendant auf der Hofseite, haben die Restauratoren die verlorene Wandgestaltung mit den zahllosen Sockeln, Konsolen und Simsen und mit der malerischen Simulation einer allseitigen Marmor-Inkrustation in liebevoller Kleinarbeit nach Fotografien rekonstruiert.

60 verschiedene Farbtöne sollen dabei angewandt worden sein. Die bleichen Virtuosenstücke der Elfenbeindrechsler im ersten Raum des Rundgangs und die in ganz Europa zusammengekauften Tischbronzen der barocken Großmeister im letzten Raum kommen in ihren maßgeschneiderten Ausstellungsnischen vor dem gemalten Marmorprunk prächtig zur Geltung.

Blitze aus Licht

Fast ganz authentisch augustinisch ist aber der Rausch, den man in den weitgehend erhaltenen, lediglich konservatorisch behandelten großen Räumen an der Nordwestecke des Schlosses, im Weißsilberzimmer, im Silbervergoldeten Zimmer und im Pretiosensaal, bekommt. Da sorgen verspiegelte Wände und Pfeiler für eine schwindelerregende Multiplizierung der phantastisch durch die Glaswände kurvenden Gold-Rot- oder Gold-Grün-Ornamente. Über die ganzen Farb- und Glaswände aber sind vergoldete Konsolen verteilt, die ihrerseits plastische Meisterstücke, schön nach Genres geordnet, ins gespiegelte Tages- oder Kunstlicht oder vor den simulierten räumlichen Durchblick heben.

Den Gipfel der perspektivischen Verschränkungen markiert aber wohl der vom Pretiosensaal aus zugängliche, innen vollkommen verspiegelte Achteckraum im Eckturm: Mit seinen Zierpilastern und Kapitellen aus Spiegelglas lässt er die Hundertschaften der Groteskfigürchen und Kleinstatuen, die auf herausstehenden Konsölchen vor den Spiegeln posieren, im grenzenlos offenen, golden durchwirkten Raum herumschweben.

Eine Steigerung ist da allenfalls noch auf materieller Ebene möglich. Und diese Steigerung wird im aufwendigst rekonstruierten Juwelenzimmer vor den goldrot bemalten Spiegelwänden und unter den schwer hängenden goldenen Girlanden lustvoll zelebriert. Die Schmuck- und Juwelenschätze der sächsischen Fürsten, die alles, was auf diesem Gebiet sonst zusammengetragen werden könnte, kümmerlich aussehen lassen, beschießen aus ihren neuen prächtigen Sicherheitsschreinen heraus den Betrachter bei jeder Bewegung mit Tausenden von brillanten farbigen Blitzen. Wer hier nicht in Deckung geht, der wird dem alten Mythos "Grünes Gewölbe", den man schon tief versunken glaubte, endgültig verfallen.

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Quelle:
SZ vom 30. August 2006
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