Großformat:Sprayen als Ritual

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Das "Tag" mit der Verschleierten wurde in den deutschen Medien zum Symbolbild. Dabei dachte der iranische Graffiti-Künstler und Filmemacher Azin Feizabadi an eine ganz bestimmte Frau.

Von Catrin Lorch

Der kleine Kopf prangte auf Plakatflächen und Backsteinmauern, auf Stromkästen und an Haustüren. Ein "Tag" in Himbeerrot, es zeigt das Gesicht einer Frau, gerahmt von den Falten und dem Knoten ihres Kopftuchs. Das Signet eines anonymen Sprayers, gesprüht mit der Schablone, gehörte nach der Jahrtausendwende in Kreuzberg fast zum Straßenbild, es fiel auf im Ornament der Zeichen, zwischen den mit dickem Stift gekrakelten Namenszügen und bildhaften Schriftzeichen. Irgendwann verschwand das Signet wieder, wurde abgewaschen oder zugeschmiert mit anderen, neueren Botschaften.

Doch da hatte das Nachleben des Motivs in den deutschen Medien schon begonnen - und das Bild der Frau machte eine Karriere, die an das Konterfei Barack Obamas auf den "Hope"-Plakaten erinnerte. Denn ein Fotograf hatte das schöne, ernste Gesicht aufgenommen und an Redaktionen verkauft, die in Zeiten der Migrationsdebatte gierig waren nach Bildern. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung druckte es in leuchtendem Rot im Jahr 2015 auf der Titelseite zum Thema "Kopftuchverbot. Runter damit!" und verwendete es - drei Jahre später - noch einmal an gleicher Stelle neben der Schlagzeile "Integration. Ein Mädchen verschwindet".

Spiegel.de stellte das Gesicht neben einen Text des Religionskritikers Hamed Abdel-Samad "Der Islam ist wie eine Droge", die FAZ verwendete es zur Illustration eines Essays von Alice Schwarzer unter der Überschrift "Der Terror begann im Multikultiviertel". Jungle World setzte es für die Geschichte "Integrationsdebatte. Zu Gast bei Freunden" auf den Titel und ließ die Schrift quer über die Stirn laufen, wie auch das Magazin Focus nicht zimperlich war, das den Satz "Die Multikulti-Lüge" wie einen dicken Stempel auf die Falten des Kopftuchs setzte. Die Ausschnitte aus Magazinen, die Ausdrucke von digitalen Medien erinnern in der Reihung an Andy Warhols Siebdrucke von Marilyn Monroe - ein Magazin reihte die Köpfe tatsächlich viermal nebeneinander zum Rapport.

Hat sich irgendjemand in all diesen Jahren einmal gefragt, wer die Frau ist? Eher nicht, sagt Azin Feizabadi. Er ist der anonyme Graffiti-Künstler und erzählt, dass nur der Focus sich die Mühe gemacht habe, herauszufinden, dass das Motiv von einem "iranischen Street-Art-Künstler" stammt. Die Identität der Abgebildeten hat niemanden interessiert. Dabei ist es ein Foto seiner eigenen Mutter, das ihm als Zwanzigjährigem bei den Überlegungen zu einem Tag eingefallen sei. "Denn meine Mutter hatte - dreißig Jahre zuvor - in Teheran genau das Gleiche gemacht. Sie war durch die Stadt gezogen und hatte politische Botschaften auf die Wände und Mauern gesprüht, als Gegnerin des Schahs", erzählt er. "Es war wie eine Wiederholung, als sei das Sprayen ein Ritual."

Dass das Konterfei dieser linken Revolutionärin nun Artikel zu Ehrenmorden, unterdrückten Musliminnen oder verfehlter Integrations-Politik bebildert, ist eine eigenartige Pointe. Aber auch die Medien, die einfühlsam das Thema Integration diskutieren, fragten nicht, wen sie da abbilden oder aus welchem Kontext das Motiv stammt. "Das Bild ist ja nicht so weit reduziert, dass es zu einer abstrakte Entfremdung wird. Jeder Iraner könnte sofort nachvollziehen, dass hier ein Individuum dargestellt ist", sagt Azin Azin Feizabadi, der heute als Filmemacher arbeitet und immer noch in Deutschland lebt. Für dieses Großformat hat Azin Feizabadi noch einmal die alte Schablone herausgesucht. Ausdrücklich weist er darauf hin, dass sich so eine Zeitungsseite als Vorlage eignet: Wer die Umrisse des Porträts ausschneidet, kann es mit etwas Farbe aus der Sprühdose oder mit einem Pinsel endlos vervielfältigen - auf Hauswänden, Mauern, T-Shirts oder Tapeten.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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