Süddeutsche Zeitung

Großformat:Sonne aus Velour

Das Architektenkollektiv um Heinz Graffunder entwarf den Palast der Republik in Ostberlin. Die Innengestaltung folgte bis zum Teppichdesign der Forderung nach "heiterer Eleganz".

Von Sonja Zekri

Auf den ersten Blick könnte man das Teppichdesign aus dem Berliner Palast der Republik als kantige Antwort auf die kapitalistische Pril-Blume verstehen. Hier wie dort verbanden sich geometrische Klarheit und eine optimistische Farbgebung zu dem, was in Ostberlin als Leitsatz für die gesamte Innenausstattung des "Volkshauses" galt: "heitere Eleganz". Der Architekt Heinz Graffunder und sein Kollektiv hatten für das gigantische Gelände des abgerissenen Stadtschlosses einen doppelt nutzbaren Bau entworfen. Im Palast der Republik, so versprach Erich Honecker bei der Grundsteinlegung im November 1973, werde die Volkskammer tagen, aber auch "Frohsinn und Geselligkeit der werktätigen Menschen" eine "Heimstatt" finden.

Im größten Stahlskelettbau der DDR ergingen sich Staatsmacht und Volk gleichermaßen - und zwar auf den extrabreiten Velour-Teppichen aus der Produktion des VEB Halbmondteppiche aus Oelsnitz im Voigtland. Leiterin der Gruppe "Farb- und Formgestaltung" im Graffunder-Kollektiv war die Berliner Designerin Gertraude Pohl, die sich nach einem ausgefeilten pädagogischen Konzept für Boden, Wand und Decke an der sechseckigen Grundform des technisch hochmodernen großen Saals orientierte. Jede Etage bekam eine eigene Farbe in "heller, festlicher Grundhaltung", wie es im Heinz-Graffunder-Archiv heißt.

Im Sonnenton des abgebildeten Teppichmusters erstrahlte der zweite Stock: Foyers und Bars, dazu Palast-, Spree- und Lindenrestaurant. Zwei gelbe Musterfliesen fanden mit Graffunders Modellen, Querschnittszeichnungen, Dokumenten, Fotos und sogar einem Kinderbastelbogen ihren Weg ins Baukunstarchiv der Berliner Akademie der Künste. "Graffunder scheint an den gelb-orange-farbenen Teppichmustern einen besonderen Gefallen gefunden zu haben, denn nur diese und nicht etwa Muster des roten und grünen Teppichs aus den anderen Geschossen haben sich in seinem Archiv erhalten", sagt die Leiterin des Baukunstarchives Eva-Maria Barkhofen.

Und doch konnten die Baukunstarchivare lange nicht zuordnen, wo genau der gelbe Teppich verlegt worden war. Erst vor wenigen Monaten entdeckte Barkhofen in einem Berliner Antiquariat eine Postkarte des Lindenrestaurants in all seiner psychedelischen Gediegenheit. Danach gab es keinen Zweifel mehr. Die einstigen Besucher des Palastes hätten das Rätsel natürlich ebenfalls lösen können. Wer je die Puhdys gehört, wer "Ein Kessel Buntes" erlebt, Bowling gespielt oder auch nur einen Brief aufgegeben hatte (auch das ging, im Palast gab es eine Post), der dürfte den unbedingten Willen zu Heiterkeit und Eleganz nicht vergessen haben.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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