Großformat:Sesam, pop up!

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(Foto: Roman März, Akademie der Künste, Berlin, Anna-Seghers-Archiv; © Pierre Radvanyi)

Anna Seghers prägte mit Romanen wie "Das siebte Kreuz" den antifaschistischen Kanon wie kaum jemand sonst. In den Zwanzigerjahren aber bastelte sie Kinderbücher wie dieses für "Ali Baba und die 40 Räuber".

Von Sonja Zekri

Als Anna Seghers noch Netty Reiling hieß, ihre Flucht aus Nazi-Deutschland und das Exil in Mexiko gleichermaßen Zukunft waren wie ihr Aufstieg zur gefeierten Dichterin der DDR, bastelte sie Kinderbücher. Es war die Zeit nach ihrem Studium und vor der Heirat mit dem ungarischen Soziologen László Radványi, als sie Mitte der Zwanzigerjahre für ein paar Monate wieder bei ihren Eltern in Mainz einzog. Längst war sie Kommunistin, kritisch gegenüber allem Bürgerlichen, wollte "ungestüm an meine eigene Arbeit" gehen, voll Hoffnungen auf eine "baldige bessere Zukunft", wie sie in kurzen Einträgen in ihr Tagebuch schrieb. In den Vierzigern wird sie mit Werken wie "Das siebte Kreuz" und "Transit" den Kanon antifaschistischer Literatur prägen wie kaum jemand sonst.

Mit Mitte zwanzig aber widmete sich die angehende Schriftstellerin - sie hatte gerade ihre erste Erzählung in der Weihnachtsausgabe der Frankfurter Zeitung unter dem Pseudonym Antje Seghers veröffentlicht - ein Märchen aus "1001 Nacht": "Ali Baba". Mit Schere und Büroklammern fertigte sie dafür vier aus- und einklappbare Papierskulpturen, welche die Geschichte des Holzsammlers Ali Baba und der 40 Räuber mit einem Schatz im Berg Sesam illustrierten. Anna Seghers schrieb den offiziös klingenden Titel "Die Tiffelbücher - Folge I" auf den Einband. Tiffel war ihr Spitzname in der Familie. Ob sich die junge Frau ablenken oder nur andere Ausdrucksformen als die Literatur ausprobieren wollte oder womöglich beides, lässt sich nicht mehr klären, denn Seghers geizte mit Selbstaussagen.

Sehr wohl aber ist der Weg des "Tiffelbuchs" rekonstruierbar: Ihre Eltern schickten ihr ihre gesamte Bibliothek ins Exil nach Paris, darunter ihre Märchenbücher mit einer schönen Insel-Ausgabe von "1001 Nacht" - und das selbstgemachte Ali-Baba-Tiffelbuch. Als Seghers weiterfloh nach Mexiko, überdauerten die Werke den deutschen Einmarsch nach Frankreich in einem Keller. Ihr Sohn Pierre fand die Bände nach dem Krieg und schickte sie nach Ostberlin, wo Anna Seghers inzwischen zu Ruhm und Ehre gekommen war. Heute liegen die Dioramen im Anna-Seghers-Archiv der Akademie der Künste in Berlin.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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