Es muss irgendwann in den Zwanzigerjahren gewesen sein, als ein Kubaner die Collage erfand. Gleichzeitig mit der Avantgarde, ungefähr zu der Zeit, als Max Ernst, Hannah Höch oder Kurt Schwitters als Künstler erstmals mit Schere und Klebstoff Bilder aus Illustrierten, Zeitungspapier oder Schnittmustern zusammensetzten, arbeitete, in vielen Tausend Kilometern Entfernung, auch Felipe Jesus Consalvos an ganz ähnlichen Collagen.
Im Jahr 1891 in Havanna geboren, war er allerdings kein Künstler, sondern drehte Tabak in einer Zigarrenfabrik. In seiner Freizeit setzte er große Bilderbögen aus dem zusammen, was andere wegwarfen: Zigarettenschachteln, Magazinbilder, alte Familienfotos und Briefmarken. Als Consalvos in den Zwanzigerjahren in die USA ging, muss er viele Blätter in seinem Gepäck gehabt haben, die er bei Umzügen von Miami nach New York und weiter nach Chicago mitschleppte, ein Schatz, von dem die Welt nichts ahnte. Und der nach seinem Tod Anfang der Sechzigerjahre auch fast verloren gegangen wäre - hätten Kunstkenner die Werke nicht zufällig bei einem Garagenverkauf von Kunstkennern entdeckt.
Hatte Consalves zu Lebzeiten geahnt, dass er Zeitgenosse von so bedeutenden Kunstrichtungen wie dem Dadaismus, dem Surrealismus oder der Pop-Art war? Dass sein einsames Arbeiten viel von dem vorwegnahm, was in der Kunst des 20. Jahrhunderts bedeutend wurde? Sicher nicht. Es ist fraglich, ob er selbst seine Bilder überhaupt als Kunst sah - oder als sehr privates Projekt. Die Kunstgeschichte stellt seine bunten Collagen inzwischen in eine Reihe mit so bedeutenden Outsidern wie Henry Darger oder Martín Ramírez - weswegen Museen wie das Philadelphia Museum of Art jetzt auch kubanische Zigarettenschachteln und strahlendbunte Zigarrenbanderolen zu ihrer Sammlung zählen.