Süddeutsche Zeitung

Großformat:Kluger Dreiklang

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Der Bildhauer Carl Constantin Weber hat für die Schlosskirche in Varel ein Portal entworfen, das nicht nur eine Zugangs-, sondern auch eine Glaubensfrage beantwortet.

Von Gerhard Matzig

"Neu, unbekannt oder verschollen": Der Anspruch dieser Seite an Kunstwerke, die hier präsentiert werden, wird von der Petruspforte der Schlosskirche in Varel paradoxerweise in dreifacher Hinsicht erfüllt. Neu wäre das plastisch aus Kupfer modellierte, architektonisch sinnfällige, räumlich sinnliche und theologisch-spirituell erfahrbare Kirchenportal schon deshalb, weil seit den Umbauten in den Sechzigerjahren ein unansehnliches Holzprovisorium (links oben) dafür sorgt, dass die kunsthistorisch bedeutsame Kirche am Jadebusen in Niedersachsen noch immer ohne repräsentativ ausstrahlenden Zugang auskommen muss. Endlich eine Pforte, die ein würdiges Portal und keine funktionalistische Tür ist: Das wäre neu. Unbekannt, weithin, dürften auch die Pläne des Potsdamer Bildhauers und Künstlers Carl Constantin Weber sein. Er hat sich schon vor Jahren mit dem Entwurf eines Bronzeportals in einem dankenswerterweise vom Förderverein der Schlosskirche ausgelobten Wettbewerb durchgesetzt. Und als verschollen muss dieser einst siegreich überzeugende Wettbewerbsbeitrag insofern gelten, als seither mangels finanzieller Mittel fast schon wieder Gras über die immer virtueller werdende Bronze gewachsen ist. Beinahe jedenfalls. Denn aktuell denkt das Land Niedersachsen darüber nach, der Stadt Varel unter die Arme zu greifen. Das Weber-Portal wäre es sicher wert. Der Bildhauer nutzt die Situation geschickt, um aus dem eindimensionalen Zugang räumlich sowie vom suggestiven Narrativ her baukünstlerische Komplexität zu gewinnen. Die Figur des Petrus interpretiert er dabei ambivalent. Simon Petrus ist ja nicht nur ein nach dem richtigen Weg im Glauben suchender, sondern auch ein menschlich-fehlbarer Charakter. Die (protestantische) Kirche würde mit diesem Portal die Menschen in ihrer Fehlbarkeit einladen und zugleich den Weg des Glaubens bildmächtig markieren. Wobei sich der Petrus dank der bildhauerischen Interpretation von Vor- und Rückseite auch als Wesen der Ökumene zeigt: katholisch-heilig und protestantisch-menschlich. Die Laibungen selbst aber sind humanistisch ausgedeutet. Von diesem klugen Dreiklang lebt der Entwurf, dem zu wünschen ist, er möge wahr werden in einer Welt, die sich zunehmend schwer damit tut, Kirchen einladend wirken zu lassen. Portale sind großartige und zugleich gastfreundliche Einladungen. Portale öffnen sich, Türen gehen mitunter nur zu.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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