Großformat:Gebastelte Wirklichkeit

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Der Künstler Lutz Fritsch lässt seine roten Stelen normalerweise in Städten und Landschaften aufragen. Wenn er sie in alte Postkarten hineinmontiert, wirken die so geschaffenen Panoramen fast real.

Von Catrin Lorch

Die Größe? Meist monumental. Ein Werk von Lutz Fritsch kann schon mal gute 25 Meter hoch sein - wie etwa seine Skulptur "Rheinorange". Die breite Stele steht unübersehbar in der Mündung von Rhein und Ruhr bei Duisburg; von Kunst im öffentlichen Raum zu sprechen, wirkt fast zu beiläufig für so ein Wahrzeichen.

Die minimal gestalteten Werke des 1955 in Köln geborenen Künstlers sind trotz ihrer Dimensionen, der funktionalen Formgebung und der schlichten Lackierung - in Tönen, die irgendwo zwischen Rostschutz und Straßenschild changieren - fast unauffällig. Auf den ersten Blick bemerkt womöglich nicht jeder Autofahrer, der in den Kreisel im Bonner Norden einbiegt, dass inmitten der Verkehrsinsel kein Fahnenmast, sondern ein gewaltiger Pol aufragt, dessen Gegenüber sich auf einem Rondell an der Autobahnausfahrt nach Köln erhebt. Mit Eingriffen wie "Standortmitte, Köln - Bonn", die in der Landschaft, aber auch mitten in Städten oder Industrieruinen aufragen, wurde Fritsch zu einem der bedeutendsten Künstler seiner Generation. Das führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass viele seiner Werke auch ausgeführt werden. Weil Lutz Fritsch nicht auf Leinwand, sondern in der Landschaft arbeitet, bleibt sein Œuvre begrenzt.

Und so kam es vielleicht zu dieser kleinen, handgebastelten Serie "Postkarten lügen nicht", für die der Künstler Flohmärkte und Antiquariate durchforstet. Alte Postkarten sind ihm die liebsten, Urlaubsansichten, auf denen sich Architektur und Panorama in idealem Licht ausbreiten. Vor leuchtend blauem Himmel und einem fast schwarzen Waldgrün. Da setzt er vorsichtig an und platziert seine schlanken, roten Skulpturen - auf Augenhöhe mit San Marco, inmitten norditalienischer Bergseen oder hinter klassischen Säulen. So eine Serie wirkt wie die Kartengrüße, die Touristen in der Nachkriegszeit entlang einer klassischen Bildungsroute verschickten.

Die kleinen Collagen verwandeln jedoch die formatierten Panoramen: Fritschs Pole sind nicht mehr aus der Landschaft wegzudenken. Und schon weil die Postkarten allesamt beschrieben, verschickt und abgestempelt sind, wirkt es zuweilen, als seien die Stelen vielleicht doch real, als ob sie von ganz allein der Erfindung durch den Künstler hinterhergewachsen seien.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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