Süddeutsche Zeitung

Großformat:Die nächtlichen Schatten des Jazz

Der Fotograf Will McBride begleitete 1961 die Dreharbeiten zu "Tobby", dem ersten Spielfilm des Regisseurs Hansjürgen Pohland - ein Meisterwerk der Beatnik-Ära. Wir zeigen Szenenbilder des restaurierten Werks.

Von Andrian Kreye

Als der 27-jährige Regisseur und spätere Pionier des Autorenfilms Hansjürgen Pohland 1961 seinen Film über den fiktiven Schlagzeuger Tobby drehte, der mit dem Fahrrad durchs sommerliche Berlin irrt, hatten sich Jazz und Film gerade erst gefunden. Man sieht Pohlands Film die Vorbilder an. John Cassavetes' "Shadows", Jacques Rivettes "Paris nous appartient" oder Jean-Luc Godards "Außer Atem" waren impressionistische Aufzeichnungen zielloser Tage und Nächte mit Modern-Jazz-Soundtracks. Handlung spielte kaum eine Rolle. Viele wichtiger waren die radikale Lässigkeit der Protagonisten, das Gespür der Kameraleute für die klaren Linien der "Midcentury Modern"-Architektur und Lichtflecken des Nachtlebens, die Gesten, Blicke und Dialoge, die planlos schienen und doch vor allem der Versuch waren, die Improvisationen des Modern Jazz und der abstrakten Malerei in eine Filmsprache zu übertragen.

Auch Hansjürgen Pohland zeigte seine Figuren vor einer Kulisse kosmopolitischer Moderne, die er hart gegen den Trümmermief der noch ungeteilten Stadt schnitt. Seine Hauptfigur, die der reale Jazzmusiker Toby Fichelscher spielte, beweist seine antibürgerliche Haltung gleich in den ersten Einstellungen. Da zündet er sich noch im Bett eine Zigarette an, trinkt ein abgestandenes Bier dazu und weigert sich, ans Telefon zu gehen. Die folgende Handlung (dass ihn Gewissensbisse plagen, ein lukratives Angebot als Schlagersänger anzunehmen) ist dann nur Vehikel für eine Odyssee durch Clubs, Studios, Betten und für tiefgründige Gespräche über Jazz als Antipode zu Ordnung, Geld und Pflichtgefühl.

Will McBride (im Foto mit Kamera) war als Exil-Amerikaner mit Hang zu Subkulturen der ideale Standfotograf. Die Zeitschrift Twen druckte seine Szenenbilder damals auf sieben Seiten, flankiert von einer positiven und einer negativen Besprechung des Films. Der war mit seinem losen Narrativ so ungewöhnlich, das er oft als Dokumentarfilm beschrieben und nur selten, meist auf Festivals, gezeigt wurde. Die deutsche Kinemathek hat das Original nun restauriert und wird ihn am 26. Oktober in Berlin einmalig zeigen. Die Arbeitskopien der Szenenbilder sind auf dieser Seite erstmals zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2018
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