Großformat:Die Idylle wurde ihm unerträglich

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Ein Bild des Malers Walter Gramatté von der Idylle am Starnberger See aus dem Jahr 1918 galt lange als verschollen. Jetzt ist es unter einer trostlosen Stadtansicht aufgetaucht - dank einer aufmerksamen Restauratorin.

Von Catrin Lorch

"Heute habe ich angefangen zu malen", schreibt Walter Gramatté am 17. Juli des Jahres 1918 an seine Verlobte Hetta Lindhorst. Er ist gemeinsam mit seinem Freund Hermann Kasack, einem Dichter, in Bernried am Starnberger See und will die bayerische Landschaft malen. "Ich will versuchen, mich jetzt mit der Landschaft abzufinden. Vor der Natur. Eine Form zu finden, einen Ausdruck, es muß ja möglich sein, ich muß nur wieder nach Haus, das ist es, drei Wochen sind zu kurz, man müßte Jahre haben." Die Ferienwochen, in denen er sich dem Bild der Landschaft widmet, sie müssen glücklich gewesen sein: Gramatté fährt "vormittags und abends" mit einem Boot an eine versteckte Stelle im Schilf, um zu baden und von dort aus "die ganzen Alpen" in den Blick zu nehmen.

Doch schon kurze Zeit später trübt sich die Stimmung des im Jahr 1897 in Berlin geborenen Gramatté, der als Sanitätshelfer im Ersten Weltkrieg einberufen worden war. "Hetta, ich beginne mich unglücklich zu fühlen. Ich weiß nicht, was ich tun soll . . . Ich finde die Schönheit nicht mehr, sehe sie wohl, doch kann nicht zu ihr. Die Landschaft lastet auf mir, hebt mich nicht mehr zu sich empor, die Berge stürzen sich in meine Brust, das Wasser zerrt an mir und saugt . . ." Die sonnigen Tage sind vorbei. Auch das Bild von der bayerischen Landschaft galt als verschollen. Doch jetzt - 100 Jahre nach seiner Entstehung - ist es wieder aufgetaucht. Denn es war noch da, im Verborgenen.

Maike Grün, der Restauratorin des Doerner Instituts der Sammlung Moderne Kunst in München, fiel schon bei der ersten Begutachtung der "Landschaft mit Laternen (Regennacht)", die als Leihgabe ans Haus kam, der strahlendblaue und wiesengrüne zarte Rand auf, der auch vom Rahmen nicht verdeckt wurde (Abbildung oben). Die Untersuchung im Labor holten das verlorene Bild zurück - jedenfalls als Schatten: Auf Röntgenbildern (Abbildung rechts) zeichnet sich ein Alpenmassiv ab, im Vordergrund ist eine Berghütte zu sehen, dazwischen Tannen. Der Künstler hat mit der düsteren Stadtlandschaft bewusst seine strahlenden Sommer-Erinnerungen zugemalt. Und zwar am 13. Dezember 1918, einer politisch dramatischen Zeit. Mit großem Geschick ließ er dabei nicht nur den Rand stehen - als Hinweis auf die verlorene Idylle - sondern bezog auch das leuchtende Blau in die Komposition ein, das als kleine Flecken das fahle weiße Licht sprenkelt, in dem sich das steinerne Massiv des Gipfels aufgelöst hat.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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