Großformat:Des Nachts bey Mondenschein

Lesezeit: 1 min

(Foto: Bach-Archiv Leipzig)

Vor 300 Jahren fertigte der Magdeburger Organist Georg Tegetmeyer eine Orgeltabulatur an, die auf eine verschollene Handschrift von Johann Sebastian Bach verweisen könnte.

Von Helmut Mauro

Handelt es sich hier um seltene Hieroglyphen oder kindliche Schreibversuche? Die präzise Handschrift spricht dagegen. Es ist eine sogenannte Orgeltabulatur, verfasst in der ihr eigenen Tonbuchstabenschrift, die mit Zusätzen, Zahlen und Symbolen als platzsparende Variante zur gängigen Notenschrift entwickelt wurde und insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert gebräuchlich war. Die abgebildete Tabulatur stammt vom Magdeburger Organisten Georg Tegetmeyer, wahrscheinlich nach Vorlagen aus dem Schülerkreis des Nürnberger Orgelkomponisten Johann Pachelbel; es zeigt ein Stück desselben. Pachelbel bildet ein historisches Bindeglied zwischen den großen Orgelschulen der Zeit, der süddeutschen und der norddeutschen. Das Leipziger Bach-Archiv hat diese Handschrift jüngst angekauft, sie war bislang unbekannt und weckte die Neugier des Direktors des Archivs, Musikwissenschaftler Peter Wollny.

Aber was hat dieses Buchstaben-Blatt mit Bach zu tun? Das ist eine lange Geschichte, die man kurz etwa so erzählen könnte: Johann Pachelbel wurde 1677 als herzoglicher Hoforganist nach Eisenach berufen. Er blieb zwar nur ein Jahr, lernte aber dort die Familie Bach kennen. Er befreundete sich mit Johann Ambrosius Bach, dem Vater Johann Sebastians, wechselte aber schon 1678 als Organist an die Predigerkirche Erfurt, wo er dem älteren Bruder Johann Sebastian Bachs, Johann Christoph, Orgelunterricht gab.

Etwa zwanzig Jahre später kopierte der junge Johann Sebastian Bach im Haus dieses Bruders Johann Christoph, zu dem er als Neunjähriger mit seinem Bruder Johann Jacob nach dem Tod der Eltern gezogen war und von dem er nun unterrichtet wurde, "des Nachts bey Mondenscheine" allerlei Orgelstücke in Tabulaturschrift, unter anderem aus einer handschriftlichen Sammlung seines Bruders, die "voll Clavierstücke von den damaligen berühmtesten Meistern Frobergern, Kerlen, Pachelbeln" war. Sollte also, fragt sich nun Peter Wollny vom Bach-Archiv, Tegetmeyer in seinen Abschriften das Repertoire der verschollenen Mondschein-Handschrift bewahrt haben? Das wäre eine hübsche Überraschung, an der Wollny derzeit fieberhaft arbeitet - er will bald stichfeste Beweise vorlegen.

© SZ vom 04.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: