Lateinunterricht in Großbritannien:Große Erwartungen

Jahrestag der Kaisererhebung Hadrians

Die Ermine Street Guard ist ein Verein, der die Gesellschaft der Römer nachstellt. Hier patrouillieren Mitglieder zur Feier des 1600. Jahrestages der Kaisererhebung Hadrians als römische Soldaten verkleidet am Hadrianswall bei Hexham, England.

(Foto: Danny Lawson/dpa)

Warum London Latein als Schulfach fördern will.

Von Laura Hertreiter

Die britische Regierung hat einen Plan für das Ende der Bildungsungerechtigkeit: Latein. Alea iacta non est, aber Bildungsminister Gavin Williamson will das Fach an staatlichen Schulen ausbauen. "Wir wissen, dass Latein den Ruf hat, ein elitäres Fach zu sein, das nur wenigen Privilegierten vorbehalten ist", sagte er dem Daily Telegraph. "Das Fach kann jungen Menschen so viele Vorteile bringen, also möchte ich diese Kluft schließen."

Der deutsche Altphilologenverband beeilte sich, den britischen Vorstoß recht hoffnungsfroh zu loben, durch Latein ergäben sich "Ansätze zu trans- und interkultureller Bildung in einem vom Zusammenleben zahlreicher Ethnien, Sprachen und Religionen geprägten Europa". Aber bekommt man tatsächlich Zugang zur Bildungselite, sobald man die u-Deklination beherrscht?

Kindern, die kostenlose staatliche Schulen besuchen, steht ein steiniger Start bevor

Zur Faktenlage: Während in Deutschland im Schuljahr 2019/20 knapp sechs Prozent aller Schülerinnen und Schüler Latein lernten, wird die Sprache in England nur an 2,7 Prozent der öffentlichen Schulen gelehrt. Und an knapp der Hälfte der privaten. Überhaupt sorgt das britische Schulsystem massiv für soziale Ungerechtigkeit im Land. Wer Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen, wo Karrieretreppenlifte bereitstehen. Kindern, die kostenlose staatliche Schulen besuchen, steht ein steiniger Start bevor, sie sind häufiger von Armut und Gewalt betroffen. Das Land werde dominiert von einem Privatschul-Alumni-Zirkel von sieben Prozent, stellte die Expertenkommission Sutton Trust 2019 fest. Dass sie Latein können, dürfte für all das eher nicht maßgeblich sein. Wobei die übergroßen Erwartungen noch lang nicht heißen müssen, dass die Idee schlecht ist.

Wer sich durchs große Latinum gepaukt hat, ist im Vorteil mit Fremdwörtern und neuen Sprachen. Und da gibt es in Großbritannien ein Problem: Nach dem Brexit hat die Regierung auch das Erasmus-Programm für Studierende verlassen, die Pandemie hat Sprachkurse lahmgelegt, Experten aus dem Ausland kommen schwieriger ins Land. Geplant ist nun ein vierjähriges Latein-Pilotprogramm an 40 staatlichen Schulen, vor allem in sozial schwachen Gegenden, für umgerechnet 4,7 Millionen Euro.

Boris Johnson übrigens hat vor zwei Jahren zu Protokoll gegeben, er habe "fast nichts anderes gelernt als Latein und Griechisch. Und jetzt regiere ich das Land. Es ist also eine perfekte Ausbildung". Mit dem neuen Fach hängt er also auch irgendwie sein Konterfei in die Klassenzimmer, in parabola.

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