Zadie Smith wohnt schon länger nicht mehr in Willesden. Wenn sie mit ihrer Familie von New York in ihre Geburtsstadt London zurückkehrt, residiert sie am Queen's Park. Aber die Gegend, in der die Autorin von "Zähne zeigen" ihre Jugend verbrachte, ist nicht weit. Und immer, wenn sie von ihren prägenden Jahren spricht, erwähnt sie Willesden Library, die öffentliche Bücherei, die für sie das "Tor zu größeren Chancen" aufgestoßen habe. "Ich habe mein Erwachsenenleben in Bibliotheken verbracht, die Gemeindebüchereien sehr klein aussehen lassen - so klein, dass manche finden, man könne sie reuelos schließen", sagte sie vor ein paar Jahren. "Aber ich hätte nie die Universität besucht, wenn ich nicht 100 Meter von der Bücherei in Willesden Green aufgewachsen wäre." Solche Büchereien ebneten vielen den Weg "in ein anderes Leben", sagte Smith.
Vergangenes Jahr wurde die Bücherei in Willesden für elf Millionen Pfund renoviert und erweitert. Sie hat einen Bestand von 40 000 Büchern, eine kleine Kunstgalerie und einen Performance-Bereich. Das mag wie ein Triumph kommunaler Vernunft klingen, wie eine Bekräftigung der Erkenntnis, wie wichtig es nicht zuletzt für die Bildungsgerechtigkeit ist, die Infrastruktur der Büchereien in England zu erhalten. Dieser Eindruck relativiert sich allerdings rasch, wenn man berücksichtigt, dass die Verwaltung des Stadtteils Brent zugleich sechs weitere Büchereien dichtmachte. Manche, wie die in Kensal Rise, wurden von lokalen Initiativen übernommen und im kleineren Rahmen weitergeführt. Die meisten hingegen sind als öffentliche Ressource verloren.
Brent zog immer wieder Aufmerksamkeit auf sich, vor allem wegen der zahlreichen Autoren, die hier leben oder von hier stammen, und sich für die Rettung der public libraries starkmachten. Dennoch ist es eine von vier Kommunen in England - gemeinsam mit Sefton, Stoke-on-Trent und Sunderland -, die seit 2010 die Hälfte ihrer Büchereien geschlossen haben.
Schon heute schneidet das Land bei der Alphabetisierung junger Menschen katastrophal ab
Das Büchereiensterben ist also keineswegs auf den Nordwesten Londons beschränkt. In den vergangenen sechs Jahren haben an die 350 öffentliche Büchereien im Zuge einer Sparwelle geschlossen. Rund 8000 Arbeitsplätze gingen verloren. Mehr als hundert weitere Bibliotheken sollen bis Ende 2016 dieses Schicksal teilen.
Die Kommunen geben dabei mehrheitlich die Sparzwänge der Regierung in Westminster weiter. Die meisten städtischen und regionalen Haushalte werden von London aus zugeteilt. Wie dieses Budget ausgegeben wird, bleibt der Stadtverwaltung überlassen. Da Dienstleistungen wie Straßenreinigung oder der Betrieb öffentlicher Sportstätten aus demselben Topf finanziert werden, setzen viele Gemeinden bei vermeintlich entbehrlicheren Bereichen an - zum Beispiel den Büchereien.
Da sich aber die ersten Schließungen als sehr unpopulär erwiesen, fand man subtilere Formen, um deren Leistungen auszuhöhlen. Ian Anstice, selbst Bibliothekar, betreibt die Website "Public Library News", auf der alle Bibliotheksschließungen verzeichnet sind. Er hat diese Taktik so beschrieben: "Verkürzte Öffnungszeiten, eine Reduzierung des Budgets für Neuanschaffungen, weniger Personal und Instandhaltung." All das sei "schädlich für die Institution, da selbst die loyalsten Nutzer der Bibliotheken sich letztlich enttäuscht abwenden", so Anstice.
Nach der jüngsten Erhebung des Ministeriums für Kultur, Medien und Sport ist in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der Erwachsenen, die das Angebot öffentlicher Büchereien nutzen, um dreißig Prozent gesunken. Der größte Abfall ist bei den 16- bis 24-Jährigen festzustellen: 2005 nutzten noch 51 Prozent dieser Altersgruppe regelmäßig örtliche Bibliotheken. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 25,2 Prozent. Als der am häufigsten genannte Grund wurde "zu wenig Zeit" genannt. Eine bedenkliche Entwicklung in einem Land, das laut einer Studie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa schon jetzt die schlechteste Alphabetisierung junger Menschen in der gesamten entwickelten Welt aufweist.
Elizabeth Ash, Schirmherrin der "Library Campaign" zur Erhaltung einer flächendeckenden britischen Bücherei-Infrastruktur, diagnostiziert eine tiefe Krise, fragt aber auch nach Ursache und Wirkung: "Die versteckten Einschnitte sind das größte Problem: Offene Türen, aber wenig Angebot, ein marginalisierter Betrieb, der sich auf Freiwillige stützt, die weder die Ausbildung noch die Unterstützung erfahrener Bibliothekare haben."
Die Regierung hat nun eine parlamentarische Arbeitsgruppe eingerichtet, die Lösungen für den Leserschwund finden soll. Die vom aus dem Amt geschiedenen Schatzkanzler George Osborne verordneten Budgetkürzungen werden von derselben Regierung aber weiterhin umgesetzt, während die Hunderte von Millionen Pfund, die durch den Ausstieg Großbritanniens aus der EU frei werden sollten, einstweilen ein vages Versprechen bleiben. "Die ganze Welt hat uns früher um unser System öffentlicher Büchereien beneidet", sagt Ian Anstice: "Jetzt dient es Bibliothekaren weltweit als mahnendes Beispiel, wenn sie Kollegen erschrecken wollen."