Süddeutsche Zeitung

Großbaustelle:Der Deutschen neue Kleider

Jahre nach dem Streit der Historisten gegen die Modernen wird die Rekonstruktion des Berliner Schlosses Realität: architektonisch ein Kompromiss, städtebaulich eine Herausforderung.

Von Jens Bisky

Der Kasten steht. An diesem Freitag wird im Schloss der Republik Richtfest gefeiert. In vier Jahren sollen sich darin die Humboldt-Universität, das Museum für asiatische Kunst und das Ethnologische Museum sowie die Ausstellung "Welt. Stadt. Berlin." als Humboldt-Forum präsentieren. Bislang läuft es gut auf der Baustelle, Termine werden eingehalten, unvorhergesehene Kosten vermieden. Berliner spotten im Vorübergehen über das "Parkhaus der Kulturen" und melden sich in Scharen zu den Baustellenrundgängen. Nur die Kuppel über den Löchern, die demnächst das Eosander-Portal darstellen werden, erinnert derzeit an landläufige Schlossvorstellungen.

Nun, es ist ein Rohbau, errichtet nach den Möglichkeiten und Gepflogenheiten des 21. Jahrhunderts. An einigen Stellen wurde bereits mit dem Einmauern der Betonteile begonnen; weit über drei Millionen Ziegel werden hinzukommen und gut 3000 Schmuckelemente. Erst Ende des Jahres 2017 wird man einen ausreichenden Eindruck gewinnen von der römischen Palastfassade, die Andreas Schlüter in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts dem Schloss verordnete, und der Art ihrer Rekonstruktion. Schon jetzt aber lässt sich beobachten, wie der Neubau den städtischen Raum verändert, die Gegend zwischen Fernsehturm und Zeughaus, Museumsinsel und Staatsratsgebäude.

Für die kleinteilige Großstadt Berlin, das Gebilde mit den vielen Dorfkernen und Kiezzentren, ist das Schloss der Republik sehr groß: 184 Meter lang von Ost nach West, 117 Meter breit von Nord nach Süd. Diese Mitte hat jetzt ein Zentrum, einen Schwerpunkt. Vorbei die Zeiten, in denen hier die Leere von Aufmarsch- oder Parkplätzen, von Brache und Wiesen das urbane Leben stillstellte, was vielen gefiel, und der Boulevard Unter den Linden in die Offenheit aus Nichts, Verkehr und Ruhezonen führte, die manche gern für immer erhalten hätten.

Drei Millionen Ziegel und 3000 Schmuckelemente sollen aus dem Betonkasten Barock machen

Der Haupteingang ist an der Westfassade, sie wird zur stadtzugewandten Schauseite. Zu Schlüters Zeiten stand sie noch nicht, damals war Portal I - von der Spree her das erste an der Südseite - das wichtigste. Man kennt die Ansicht von Druckgrafiken, Gemälden und Fotografien, den Blick über die Lange Brücke hinweg auf die Schlossfront, die 1701 keck modern war.

Damals stand auf der Brücke Schlüters Reiterstandbild des Großen Kurfürsten. Als die Internationale Expertenkommission 2002 einen Schlossneubau mit den historischen Maßen und Proportionen sowie historisierenden Fassaden an drei Seiten empfahl, schloss sie eine Wiederaufstellung des Reiterdenkmals nicht aus. Aber es wird wohl vor dem Schloss Charlottenburg bleiben. Berlin hat die Brücke, die heute Rathausbrücke heißt, ohne Rücksicht auf den Schlossbau erneuern lassen. Was da nun steht, würde jeder ambitionierten Kleinstadt zur Ehre gereichen, aber der Mittelpfeiler, auf dem der Kurfürst mit seinem Gaul und den Sklaven zu Pferdes Füßen einst stand, ist abgerissen. Im Süden des Gebäudes lag der historische Schlossplatz, und er muss nun irgendwie gestaltet werden. Gegenwärtig findet sich dort nur übrig gebliebene Fläche, eine Durchquerungsaufgabe.

Wer in der Gestaltung dieses Straßenraums versagt, wird den entscheidenden Coup des Schlossarchitekten Franco Stella kläglich verpuffen lassen. Den Wettbewerb gewann Stella vor allem, weil er eine Nord-Süd-Passage durch das Gebäude entwarf, sein "Schlossforum". Es wird Tag und Nacht geöffnet sein und vom Lustgarten zur Breiten Straße führen, vorbei an Treppenhäusern und Büros, durch eine Schlucht des Rationalen und des Rasters, Barock ohne Ornamente, Bauschmuck.

"Hier bitte nichts ausstellen!", ist die erste Reaktion, wenn man derzeit durchs Gebäude streift. Der Blick auf Berlin durch die Fensterlöcher ist zu aufregend, zu interessant: So hat man das breitstraßige Nest an der Spree noch nicht gesehen.

Dass Schinkels Altes Museum der Schlossfassade antwortet, ihr bürgerlich-selbstbewusst entgegentritt, gehört zum kunsthistorischen Allgemeinwissen. Und doch schien die Front ionischer Säulen in den vergangenen Jahrzehnten bloß Behauptung, seltsam proportioniert. Ihr Witz leuchtet, wenn man durch die Schlossfenster schaut, unmittelbar ein. Der Lustgarten bekommt wieder einen Rahmen, die Fassaden reden miteinander, streiten - nur Raschdorffs Hohenzollerndom schreit. Wie sehr diese wilhelminische Maßlosigkeit stört und nervt, wird nun ebenfalls unmittelbares Erlebnis.

Im ersten Obergeschoss stören Einbauten für die Zentral-und Landesbibliothek, die hier gar nicht einziehen wird, den Blick. Statt Büchern will Bürgermeister Müller die kosmopolitische Metropole ausstellen. Gutes Thema, denkt man und läuft durch die Raumflucht. Aber was wollen die zeigen, mit welchen Objekten bestehen neben den glanzvollen Museumssammlungen und der Kunstkammerherrlichkeit der Universität? Man kann in Gedanken alle Berliner Museen nach geeigneten Exponaten durchforsten, ohne ans Ende der Berlin vorbehaltenen Räume zu gelangen. 4000 Quadratmeter sind gar nicht so wenig. Also lieber ins Reich der Museen. Zum Richtfest werden die zwei großen Kuben bespielt, die sich rechts und links vom Foyer, 14 Meter hoch über das erste und zweite Geschoss erstrecken, künftige Heimat für Südseeboote und Häuser Ozeaniens.

Der Schlossneubau zu Kulturzwecken ist ein Parlamentsprojekt, vom Bundestag beschlossen, nachdem Einzelne - etwa der Journalist Joachim Fest, der große Verleger und Berlinkenner Wolf Jobst Siedler, der Unternehmer Wilhelm von Boddien - in den Neunzigern den Aufbau des 1950 gesprengten Schlosses vorgeschlagen hatten. Wer auf der Höhe der Zeit sein wollte, Architekten, Kunsthistoriker, das Neu-Berliner Milieu, war dagegen. Am Ende des verbitterten Streits gab es klare Verlierer: alle, die den Palast der Republik erhalten oder bauen wollten, was ihnen modern, zeitgemäß, gegenwärtig erschien.

Wie wird man den Neubau einst bewerten? - Als Monument des Hegemons, der keiner sein will

Doch der Neubau bietet keinen Anlass, eine Preußenrenaissance zu befürchten. Schließlich wurde zugunsten der Museumsnutzung darauf verzichtet, einen der wichtigsten preußischen Orte zu rekonstruieren: den Weißen Saal. Im Osten des Schlüterhofs ließe sich irgendwann Schlüters Gigantentreppenhaus nachempfinden, aber das wird am Kompromisscharakter des gesamten Gebäudes nichts ändern.

Was haben wir da vor uns? Wolfgang Thierse nennt das Gebäude eine Collage. Doch zum Architektur-Capriccio fehlt das Launige, Verspielte. Die Ostfassade Stellas, in der Stadt heftig umstritten, von Bürgerinitiativen attackiert, hält es mit geometrischer Strenge. Für Belebung müssen die Bürger sorgen. Im Westen hat Stella mit der Eingangshalle einen 30 Meter hohen Raum geschaffen, der auf zeitgenössische Weise so monumental wirkt wie der Marmorsaal im neuen Palais Friedrichs II. In Berlin gibt es solche Riesenhaftigkeit kaum. Wird sie überzeugen?

Das Haus könnte späteren Historikern dazu dienen, die Mentalität der Berliner Republik zu erklären: überrascht von der Einheit, misstrauisch gegenüber Heilsversprechen und nationalem Auftrumpfen, auf der Suche nach einem sanften Selbstbild, unsicher in der Formgebung. Es wird wohl ein Monument des Hegemons, der keiner sein will, das Symbol einer Macht der Mitte, die auf die beschwichtigende Kraft der Kultur hofft und doch ahnt, dass sie dabei enttäuscht werden wird.

Der Streit wird andauern, jeder darf noch einmal wiederholen, was er schon 2001 gesagt hat. Man wird gewiss feststellen, dass die 300 für eine Ausstellung zur Geschichte des Ortes vorgesehenen Quadratmeter zu wenig sind. Wer das historische Schloss Schlüters und Eosanders kennenlernen will, wird weiter zum Schloss Charlottenburg fahren, wo Möbel und Veduten davon erzählen, oder nach Köpenick, wo mit dem Silberbuffet das Prunkstück des gewesenen Rittersaals zu bewundern ist.

Der Rohbau hat, wie die meisten Baustellen, seinen eigenen Charme, der im Zuge der Fertigstellung verschwinden wird. Nicht Konzeptpapiere, sondern Kuratoren und Steinmetze werden nun entscheiden. Für die Schmuckteile formen Handwerker mit selten gewordenem Können Tonmodelle, von denen Gipsabgüsse gefertigt werden, nach denen dann Fassadenteile in Stein gemeißelt werden. Dies wird man dann sehen: Wir bleiben auch nach dem Jahrhundert der Avantgarden mal mehr, mal weniger glückliche Historisten.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2015
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