Thunberg-Buch: "Sie ist das Kind, wir sind der Kaiser"

Familie Thunberg

Greta Thunberg neben ihrer drei Jahre jüngeren Schwester Beata und ihren Eltern, die ihr Leben mittlerweile dem Klimaschutz widmen.

(Foto: privat)
  • Was äußerlich daherkommt wie ein Buch von Greta Thunberg, ist größtenteils eine biografische Erzählung der Mutter.
  • Darin beschreibt sie den Wandel der Familie von Durchschnittskonsumenten zu Klimaaktivisten. Leider mystifiziert sie dabei die Krankheit ihrer Tochter.
  • Die Stärke des Buches liegt in einem Abschnitt, in dem sich Greta Thunberg selbst zu Wort meldet.

Von Alex Rühle

Schade, dass das Ganze in einer Mogelpackung daherkommt. Vom Umschlag schaut einen das Gesicht von Greta Thunberg an, auf Vorder- wie Rückseite. Hinten drauf groß die Frage: "Wer ist Greta Thunberg?" Darunter der Satz: "Die junge Klimaaktivistin, die die Mächtigen das Fürchten lehrt - dies ist Greta Thunbergs ganz persönliche Geschichte und die ihrer Familie." Vorne als Autorenzeile: "Greta & Svante Thunberg, Beata & Malena Ernman". Kurzum: Wer dieses Buch zur Hand nimmt, der muss denken, dass es hauptsächlich aus der Feder von Greta Thunberg stammt. Also bisschen shame on you, S. Fischer Verlag, für diese Aufmachung. Denn dieses Buch wurde nun mal in den allergrößten Teilen von Gretas Mutter Malena Ernman geschrieben.

Die ist in Schweden weltberühmt, eine Opernsängerin, die 2009 den nationalen Wettbewerb für den Eurovision Song Contest gewann, Mitglied der Königlichen Schwedischen Akademie. Ihr Mann Svante, Schauspieler und Produzent, trat zugunsten seiner Frau beruflich kürzer, gemeinsam mit den zwei Töchtern reiste das Paar während der ersten Familienjahre quer durch Europa, von Opernhaus zu Festival, Aix-en-Provence und Salzburg, ab und zu eine CD, viel Zeit zu viert, und regelmäßig Flüge, Tokio, USA, wo Ernman eben Engagements bekam. Man glaubt ihr aufs Wort, dass es wunderbare Jahre waren.

Bis ihre Tochter Greta anfing, sie für diesen Lebensstil zu kritisieren, beharrlich, faktenbasiert, immer wieder: Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung sind verantwortlich für die Hälfte der ausgestoßenen Treibhausgase. Am schädlichsten ist das Fliegen. Also warum hört ihr nicht endlich damit auf? Und wenn ihr schon dabei seid, lasst auch endlich die Fleischfresserei sein. Heute nimmt Malena Ernmann internationale Engagements nur noch an, wenn sie mit der Bahn erreichbar sind. Und ernährt sich, genau wie ihr Mann, vegetarisch bis vegan.

Das ist der eine Erzählstrang: Der Wandel einer Familie von bräsigen Durchschnittskonsumenten zu (selbst-)kritischen Klimaaktivisten, die versuchen, ihren ökologischen Fußabdruck, der anfangs größer ist als der eines Yetis, auf Birkenstockgröße zu schrumpfen. Der andere Erzählstrang ist viel dunkler. Als Greta in die fünfte Klasse kommt, verändert sich ihr ganzes Wesen. "Unsere Tochter verschwindet in eine Art Dunkelheit und hört quasi auf zu funktionieren", schreibt die Mutter. Greta verstummt, hört auf Klavier zu spielen, zu lachen. Die Ärzte diagnostizieren Asperger und damit zusammenhängend Mutismus, was bedeutet, dass Greta nur noch mit den engsten Familienangehörigen spricht. Nachdem sie sich dann auch noch weigert zu essen, beschließen die Eltern den radikalen Bruch: Schluss mit der Solo-Karriere, die Gesundung der Tochter soll ab sofort im Mittelpunkt stehen.

Als einige Zeit darauf bei Gretas Schwester Beata ADHS im Verbund mit Asperger und akustischer Überempfindlichkeit diagnostiziert wird und die Familie im kafkaesken Lebenslabyrinth psychiatrischer Notaufnahmenächte und immer neuer Therapieansätze nebst Diagnose-Kabbalistik verschwindet, bricht die Mutterselbst mit Burnout zusammen - und erfährt im Zuge dessen, dass auch sie an ADHS leidet, was nur nie erkannt wurde.

Das inhaltliche Grundproblem dieses Buches ist nun, dass Malena Ernman das eine mit dem Anderen kausal vermengt, die (Familien-)Krankheit also als sensibles Symptom für den Zustand der Welt deutet. Greta Thunberg hat vielleicht Recht, wenn sie in Interviews immer wieder behauptet: "Wenn ich kein Asperger hätte, wäre das hier nicht möglich gewesen." Mit "das hier" meint sie die weltweiten Schulstreiks, die sie initiiert hat, indem sie seit August 2018 jeden Freitag zivilen Ungehorsam übt und statt in die Schule zu gehen, für eine bessere Klimapolitik auf dem Stockholmer Mynttorget sitzt. Zu Asperger gehört oft eine außerordentliche Fähigkeit, sich zu fokussieren. So wie andere Aspergerkinder mathematische Sonderfähigkeiten ausbilden, hat Greta Thunberg sich immer tiefer in die Auswirkungen des Klimawandels eingearbeitet und seither den Eindruck in einer völlig irren Schizowelt zu leben: Wie können alle weitermachen wie bisher, wenn doch klar ist, dass das grundverkehrt, weil irreversibel zerstörerisch ist?

Während Greta aber in ihren Interviews und Reden die Dinge so beeindruckend nüchtern auf den Punkt bringt, beschreibt ihre Mutter die Krankheit ihrer Tochter zuweilen mit irritierend begeistertem Pathos. Etwa wenn sie schreibt, ADHS und Asperger seien eine "Superkraft", ein "Über-den-Tellerrand-Hinausblicken, von dem so viele Künstler sprechen." Im Anschluss daran imaginiert sie eine Massenbewegung "ausgebrannter Menschen auf einem ausgebrannten Planeten" und setzt so metaphorisch die eigene Erkrankung mit der Zerstörung des Planeten in eins - wodurch der Burn-Out zur direkten psychosomatischen Konsequenz der ökologischen Krise wird. Mag sein, dass sich "die Anzahl der ADHS- und Autismusdiagnosen in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt" hat, wie sie schreibt, aber wer dazu recherchiert, findet Texte, die erklären, dass nicht die Zahl der Erkrankungen explosionsartig zugenommen hat, sondern dass heute mehr Schwankungen des Charakters als Krankheit gedeutet werden als vor fünf Jahren - und dass es Zeitdiagnosen und Krankheitsmoden gibt. Wenn man aber Äpfel mit Birnen vergleicht, kommen Kraut und Rüben dabei raus. Me too , Feminismus, Krankheitssymbolik und Leistungsdogma, streckenweise wird da alles mit der Klimakrise zu einem etwas unübersichtlichen Gesamtszenario verrührt.

"Und wir wollen, dass ihr endlich sagt, wie die Dinge wirklich sind"

Greta selbst meldet sich auf Seite 99 erstmals zu Wort - mit einem Brief an uns, die Erwachsenen, die doch wissen, dass wir falsch leben und trotzdem immer so weiter machen, auf Kosten der Zukunft und all jener, die darin werden leben müssen. Dieser Brief ist klar und konsistent, so wie alles, was danach von ihr an Zitaten kommt. "Ihr sagt immer, dass (...) ihr alles Erdenkliche für eure Kinder tun würdet. Es klingt so zuversichtlich, wenn ihr das sagt. Und wenn ihr meint, was ihr sagt, dann hört uns bitte auch zu - denn wir wollen euren übertriebenen Elan nicht. Wir wollen eure Geschenke nicht, eure Pauschalreisen und Hobbys, eure ganze grenzenlose Freiheit. Was wir wollen, ist, dass ihr euch in der akuten Nachhaltigkeitskrise, die um euch herum in vollem Gange ist, ernsthaft engagiert. Und dass ihr endlich sagt, wie die Dinge wirklich sind."

Das ist die Stärke dieses Buchs: Gretas klare Stimme, die den Konsumirrsinn genauso unverantwortlich findet wie das feige Gesäusel vom sanften Umstieg. Wie kann man noch ernsthaft glauben, dass beides geht: Wohlstand as usual und ökologisch leben. Es bräuchte radikales Umsteuern. Bisschen Teslafahren reicht nicht.

Das Buch erschien in Schweden im Herbst letzten Jahres. Es endet deshalb kurz bevor sich Greta erstmals in Stockholm auf die Straße setzte. Das Paradoxe beim Lesen: Je lieber man dieses Mädchen gewinnt, desto klarer kristallisiert sich das Gefühl heraus, dass man dieses Buch gar nicht lesen sollte. Dass es Greta selbst wahrscheinlich lieber wäre, wenn man stattdessen Vorträge des Klimaforschers Kevin Anderson auf Youtube anschaut. Wenn man endlich konsequenter lebt. Und wenn man sie selbst nicht die Last tragen lässt, dass sie, die noch vor Kurzem nicht mit anderen Menschen sprechen konnte, multiple Symbolfigur, kindliche Unschuld, Stimme einer Generation und Seherin des Untergangs sein muss.

Greta & Svante Thunberg, Malena & Beata Ernman: Szenen aus dem Herzen. Deutsch von Ulla Ackermann, Gesa Kunter und Stefan Pluschkat. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019. 256 S., 18 Euro.

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