Es ist ein Brief voller Zorn. Karl-Dieter Grüske hat ihn geschrieben, von 2002 bis 2015 Rektor beziehungsweise Präsident der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und sechs Jahre lang Vizepräsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Sein Zorn gilt einem Buch mit dem Titel "Wissen in Bewegung", erschienen Ende 2018 zum 275. Geburtstag der FAU. Je mehr Grüske darin las, desto wütender wurde er. Das sollte eine Festschrift sein? Grüske setzte sich hin und schrieb empört dem gegenwärtigen Präsidenten der FAU. Er warf dem Autor mangelnde Recherche und "unwissenschaftliche Arbeitsweise" vor und monierte Textstellen mit "persönlich herabwürdigendem Charakter". Sein Gesamturteil: "Es werden ganze Fächer abgewertet, es werden Halbwahrheiten produziert. Der Autor diffamiert."
Unwissenschaftliches Arbeiten, schlechte Recherche, Halbwahrheiten, Diffamierung - träfen diese Vorwürfe einen Prüfling, er müsste um seine akademische Zukunft bangen. Doch sie gelten einem Kollegen, sogar einem besonders prominenten. Autor des Buches über die FAU ist Gregor Schöllgen, im Herbst 2017 emeritierter Professor an eben dieser Erlanger Universität, bekannt aber vor allem als umtriebiger Biograf und Mitherausgeber der Werke Willy Brandts. Im Außenministerium, dessen Akten er mitediert, ist er gern gesehen als Ausbilder für das diplomatische Korps, regelmäßig im Fernsehen, und selbstverständlich schreibt er, wie auf seiner Website zu lesen ist, "für alle großen deutschen Zeitungen", bisweilen auch für die Süddeutsche.
Zuletzt trat der Historiker für Neuere und Neueste Geschichte mit einer tausendseitigen Biografie über Gerhard Schröder hervor. Fotos von der Buchvorstellung 2015 in Berlin zeigen Schöllgen entspannt und selbstsicher zwischen dem ehemaligen Bundeskanzler und dessen Nachfolgerin Angela Merkel, vor ihnen die versammelte Hauptstadtpresse. Hier gehöre ich hin, suggeriert die Körpersprache des Buchautors, dessen neues Werk die Kanzlerin in höchsten Tönen lobt.
Ausgerechnet dieser Spitzenforscher wird vom früheren Präsidenten und weiteren Ex-Kollegen der Erlanger Universität abgewatscht wie ein Erstsemester. Es geht um seine Arbeitsmethoden, um Distanz und Nähe zu zahlenden Auftraggebern und darum, ob er mit seinem großen Namen andere kleinmacht. Es geht also bei alldem, was sich da gerade abspielt, um nicht weniger als Schöllgens guten Ruf.
Wer eine Studie finanzierte, konnte selbst entscheiden, ob sie publiziert wird
Rückblende. Schöllgen hat den Höhepunkt seiner Laufbahn als Forscher und Hochschullehrer erreicht, als ihn die Erlanger Universität 2007 beim jährlichen dies academicus mit der traditionellen Festrede betraut. Er entwirft darin ein neues, leidenschaftliches Bild der Geisteswissenschaften, die er sich als "Dienstleister" vorstellt. Wie die technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten sollen auch Fächer wie Geschichte, Germanistik und Soziologie in Zukunft Drittmittel einwerben. Die Wissenschaft lebe schließlich von Aufträgen: "In Aufträgen dokumentiert sich Nachfrage", verkündet er, und wo keine Nachfrage bestehe, habe sie auch "keine Legitimation". "Niemand ist ohne Geschichte", erklärt Schöllgen dem Saalpublikum. "Wir kapitalisieren diese Geschichte."
Das findet er auch heute noch richtig so. "Wir werden von der Öffentlichkeit alimentiert, also sind wir ihr auch Rechenschaft darüber schuldig, was wir tun. Wenn sich die Öffentlichkeit nicht dafür interessiert, macht nicht sie einen Fehler, sondern wir", erklärt Gregor Schöllgen im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.
Entspannt sitzt er beim Besuch der Redaktion in Nürnberg vor einer Tasse Kaffee und einem Mineralwasser. Er beginnt das Gespräch mit dem Habitus: Mir kann keiner was. Die Vorwürfe wehrt er ab: "Dieser Kleinkrieg ist für mich nicht relevant." Mit dem Buch habe er "kontrolliert provozieren" und eine Debatte anstoßen wollen. Nicht nur über die FAU und insbesondere deren Philosophische Fakultät, sondern auch über die Frage "Wo steht die deutsche Universität heute?" Dass die Reaktionen "so heftig und emotional ausfallen würden, damit habe ich nicht gerechnet".
Diese Debatte wurde aber schon vor knapp zwölf Jahren angestoßen und auch da schon von Gregor Schöllgen. Damals, beim dies academicus 2007, präsentierte er sich seinen Professorenkollegen als strahlendes Vorbild. Kurz zuvor hatte er unter dem Dach der Erlanger Universität als einem organisationsrechtlich unselbständigen Teil des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte das Zentrum für angewandte Geschichte (ZAG) gegründet, für das er nach eigenen Angaben in den folgenden zehn Jahren insgesamt 1,8 Millionen Euro an Drittmitteln eingesammelt hat. Der Dienstleister Schöllgen kapitalisierte die Geschichte und riskierte gleichzeitig seinen Ruf - und den der Universität.
Schöllgen modernisierte das ehrwürdige Genre der Hagiografie im Wissen, dass so mancher Firmengründer seinen Gästen aus nah und fern die Unternehmensgeschichte überreicht - in Schweinsleder gebunden als Privatdruck. Warum aber sollte das Geld privat versickern und nicht Schöllgens Lehrstuhl zur Ehre gereichen? Etliche fränkische Unternehmerfamilien zeigten sich aufgeschlossen und öffneten dem Historiker und seinem Team ihre Archive. Die Firmen bezahlten dem ZAG die Recherchearbeit mit bisweilen sechsstelligen Summen und erwarben dafür auch das Recht, eine etwaige Publikation als Erste zu lesen und über ihre Veröffentlichung zu entscheiden.
Heraus kamen Bücher, die in seriösen Häusern wie Propyläen, C.H. Beck oder dem Berlin-Verlag erschienen. Als Verfasser steht Gregor Schöllgen auf den Buchtiteln; das Autorenhonorar ging an ihn. Für die Firmen war diese Art angewandter Geschichte eine solide PR-Investition, für den Lehrstuhlinhaber Schöllgen kein schlechter Nebenverdienst, für seine Mitarbeiter im ZAG fiel auch noch etwas ab.
Eine der von ihm betreuten Firmen nahm sich dann auch der vermeintlichen Festschrift an, mit der sich die Universität selber zum 275. Geburtstag beschenkte. Schöllgen hatte 2008 bereits über den "Eiskönig" Theo Schöller geschrieben, wohl auch deshalb war die Schöller-Stiftung jetzt so großzügig, der notleidenden Erlanger Alma mater unter die mageren Arme zu greifen. Was lag näher, als einen beidseits bekannten und geschätzten Autor auch das Buch zum Universitäts-Jubiläum schreiben zu lassen?
Bei einer geschenkten Festschrift, mag man sich in der Hochschulleitung gedacht haben, muss man es nicht so genau nehmen mit den Überprüfungen. Vielmehr ließ man das Werk gleich ins Englische übersetzen und schickte es, versehen mit einer Grußkarte des Präsidenten Joachim Hornegger, hinaus in alle Welt: "Lassen Sie sich inspirieren, mit den besten Empfehlungen."